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Schule unterm Hakenkreuz - Die Martin-Luther-Schule in Plettenberg

Es handelt sich hier um eine Produktion des LWL-Medienszentrums in Münster, die für unsere Zwecke dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt wurde. Im Begleitheft heißt es u.a.:

Markus Köster: Ein schulgeschichtliches Filmdokument und seine Bedeutung für die historische Bildung

„Wer die Jugend hat, hat die Zukunft!" Diese Parole markierte ein zentrales Credo der Nationalsozialisten. Entsprechend bildete die organisatorische und ideologische „Erfassung" der heranwachsenden Generation einen wichtigen Schwerpunkt ihrer Herrschaftspolitik. Neben der Hitlerjugend wurde auch die traditionelle Erziehungsinstanz Schule in den Dienst der Manipulation und Mobilisierung der Jugend gestellt. Während Lehrkräfte, die die „falsche" politische Überzeugung oder „Rassezugehörigkeit" besaßen, ihren Dienst nach der NS-Machtergreifung umgehend quittieren mussten, durchdrang die nationalsozialistische Weltanschauung nach und nach den Unterrichtsstoff sämtlicher Schulfächer und Schulformen. Zwar betonen Zeitzeugen und Historiker, dass längst nicht alle und alles im schulischen Alltag der Jahre 1933 bis 1945 den ideologischen Vorgaben der NSDAP folgte; trotzdem war die Schule im „Dritten Reich" ganz unzweifelhaft massiven Verformungen ausgesetzt. Zugleich geriet sie unter Konkurrenzdruck: Vor allem die Hitlerjugend machte ihr das Monopol auf die Erziehung der Jugend streitig. Das verstärkte den ideologischen Anpassungszwang, zumal Lehrer sich auch vor Denunziationen linientreuer Schüler schon bald nicht mehr sicher sein konnten.

Während über die Aktivitäten von Hitlerjugend und BDM auch aus Westfalen eine ganze Reihe von zeitgenössischen Filmdokumenten existieren, sind Aufnahmen, die den Schulalltag dokumentieren, so gut wie unbekannt. Deshalb bilden die beiden Filmrollen über die Martin-Luther-Schule, die das Stadtarchiv Plettenberg vor einigen Jahren dem LWL-Medienzentrum für Westfalen zur Archivierung und Erschließung übergeben hat, ein auch überregional höchst bedeutsames Filmdokument. Schöpfer der Filme ist der Plettenberger Fotograf und Amateurfilmer Ludwig Müller (1900-1972). Seit 1934 besuchte Müllers Tochter die Martin-Luther-Schule. Wahrscheinlich war das für ihn der Anstoß, um über mehrere Jahre hinweg - vermutlich bis 1940 - den Alltag dieser Volksschule mit der Filmkamera zu begleiten. Die Bilder wurden anschließend von ihm geschnitten und - weil sie stumm waren - mit Texttafeln versehen.

Die wahrscheinlich ohne direkte propagandistische Absicht entstandenen Aufnahmen Müllers eröffnen einen unmittelbaren, anschaulichen Einblick in den Schulalltag der 1930er Jahre. Dieser Alltag war in hohem Maße von Maximen geprägt, die schon seit Kaisers Zeiten galten: Die Erziehung zu „Ruhe und Ordnung", zu Pflichtbewusstsein und Disziplin, zu Sparsamkeit, Lebenstüchtigkeit, Heimat- und Vaterlandsliebe. Zugleich enthüllen Müllers Filmaufnahmen aber auch, in welchem Ausmaß Schule und Unterricht in jener Zeit ideologisch beeinflusst und deformiert wurden. Eine Reihe von Zwischentiteln, die Müller vermutlich nach den Angaben der Lehrerschaft der Martin-Luther-Schule einfügte, benennen explizit die nationalsozialistischen Erziehungsvorgaben: die zentrale Rolle der „Leibesertüchtigung" ebenso wie die der „Erb- und Rassenlehre"; die „wehrtechnischen Ziele" des Modellbaus und auch die Einschwörung der Mädchen auf ihre Rolle als „deutsche Hausfrau" und Mutter.

Nicht zuletzt rücken Müllers Aufnahmen in verschiedenen Sequenzen die Vorbereitung der jungen Generation auf den Krieg ins Bild: Scheinbar harmlose Aktivitäten wie das Sammeln von Kastanien „im Dienste des Vierjahresplanes" stehen neben Schießausbildung und Luftschutzübungen. Und auch ideologisch werden die Schüler durch die Behandlung von Themen wie „Deutschtum im Ausland" und „Das Versailler Diktat" auf Hitlers Kriegspläne eingestimmt.

Aus heutiger didaktischer Sicht bietet dieses außergewöhnliche Filmdokument gerade im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I vielfältige Anknüpfungspunkte für eine lebendige Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus. Ganz generell vermitteln Filme eine unmittelbar beeindruckende, anschauliche Vorstellung von historischen Ereignissen und bauen damit Distanz zum vergangenen Geschehen ab; sie sind imstande, emotional anzusprechen und zum Nachdenken anzuregen - Geschichte wird durch sie sichtbar und nachvollziehbar. Das gilt um so mehr, wenn ein Film über sein Thema eine Brücke zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler schlägt und sie wie hier mit den alltäglichen Schulerfahrungen damals Gleichaltriger vertraut macht. Es ist speziell für Jugendliche ein gewichtiger Unterschied, ob sie in einem Text lesen, dass das Hitler-Regime alle Lebensbereiche ideologisch zu durchdringen versuchte oder ob sie diesen totalitären Indoktrinationsanspruch ganz konkret an dem ihnen vertrauten Beispiel „Schule" erfahren können.