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Rundbrief des Abschlussjahrgangs 1943 der Luisenschule Essen (1943-1984)

Der „Rundbrief“ der Klasse H8 der Essener Luisenschule stammt aus dem Besitz der 1924 geborenen Erika Mayer, die unter ihrem Mädchennamen Tiemann dieser Klasse, die 1943 die Schule abschloss, angehörte. Ihre ausführliche Lebensgeschichte findet sich ebenso auf dieser Website wie ein von ihr angelegtes Fotoalbum aus der RAD-Zeit.

Offenbar gab es unter den Schülerinnen die Verabredung, per „Rundbrief“ auch nach Ende ihrer Schulzeit untereinander in Kontakt zu bleiben und sich so über die jeweiligen Geschicke und Erlebnisse zu informieren. So fanden für die Kriegszeit naturgemäß Schilderungen zum RAD und zum Aufenthalt in einer Lehrerbildungsanstalt Eingang in die Schilderungen. Nach langer Pause wurde das Büchlein dann ab 1951 fortgeführt und beinhaltet rückblickende Berichte.

Digitalisate des „Rundbriefs“ finden sich im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln.

Klasse H 8 der Luisenschule fand sich zur Abiturfeier im Stadtwald zusammen.

Essen 25.VIII.43

„Gefährten vergangener Freuden und Leiden!“

Fast traue ich mich nicht mehr, Euch zu schreiben, denn ich höre schon Euer berechtigtes Schimpfen, weil der Rundbrief erst jetzt das Licht der Welt erblickt. Ich könnte zwar sagen, daß ich oft wenig Zeit gehabt habe, um aber bei der Wahrheit zu bleiben, will ich auch gleich gestehen, daß ich manchmal einfach noch keine Lust hatte. Nun ist aber inzwischen nahezu ein halbes Jahr vergangen, und da gibt es ja doch schon allerlei zu erzählen.

Zunächst möchte ich Euch mitteilen, daß die 1. Schule am Platze, denn das war die Luisenschule

doch immer für das hohe Lehrkollegium, beim letzten Angriff etwas abgekriegt hat. Besonders soll der Teil beschädigt sein, in dem der Bioraum und die Bücherei liegen. Es ist doch eine Schande um Opa Köhls Reich! Stellt Euch vor, vielleicht wird niemals wieder in diesen heiligen Hallen eine andächtige Prima den Offenbarungen lauschen, die vom Pult her in den Raum klingen und in der einmaligen Erkenntnis gipfeln, daß rot und weiß beim zwischenalterlichen Erbgang rosa ergeben. (Denn bis alles wieder in Ordnung ist, ist Köhl sicher schon in den Ruhestand getreten) Aber schön war es doch! Oder geht es Euch anders. Wenn jetzt in der

 

 

Erinnerung noch einmal die verschiedenen Erlebnisse an uns vorbeiziehen, glaube ich, daß wir alle den „Alten“ recht geben, die da sagen, die Schulzeit sei eine herrliche Zeit! – Nach dem Angriff haben sich dann alle „Angehörigen“ der Luisenschule eingesetzt und die wertvolle biologische Sammlung und die Bibliothek, soweit das möglich war, geborgen. Alle, ob Studienrat, Schülerin oder O. sollen sich feste beteiligt haben. Nun steht der Umzug nach Süddeutschland vor der Tür. Die Abreise kann jeden Tag bestimmt werden. –

Ich bin ja, wie Ihr wißt, bei der Hitler-Jugend und habe in den vergangenen Monaten schon manches Schöne erleben

können. Im Mai habe ich nämlich einen Transport zum Bodensee begleitet und mir dort das herrliche, alte Meersburg anschauen können. Auf der Rückfahrt bin ich über Straßburg gekommen. Wer von Euch das Straßburger-Münster kennt, weiß ja, was für ein Erlebnis sein Besuch ist. –

Die Fahrt durchs Rheintal bei gutem Wetter war einfach wunderschön. – Kaum war ich wieder in Essen, da kam die Einberufung zum Führerinnennachwuchslehrgang der RFJ in Schorndorf bei Stuttgart. In dem Lehrgang habe ich manches lernen können. Außerdem habe ich dann auch ein Stückchen vom schwäbischen Land gesehen.

Im Juli habe ich ein Sommerlager

 

 

in Sonsbeck bei Xanten geführt. Die meiste Zeit nimmt jedoch die Arbeit im Ringverband in Anspruch und dann natürlich der Einsatz nach Angriffen. –

Ich habe mich nun endlich zum Studium entschlossen und beginne, wenn alles klappt, mit dem Wintersemester in Bonn. Wenn also der Rundbrief wieder zu mir kommt, kann ich Euch dann über meine neue Arbeit „Bericht erstatten“.

Euch allen einen rechtherzl. Gruß!
Ludwine Winnesberg

Neustadt-Wied 25.9.43

Liebe Kameradinnen!

Sitz da so ein armes Häuflein vom vergangenen Leben welker aber bunter Herbstblätter am Ästchen, und der Wind pustet daran vorbei, dass sie alle, jedes einzeln, in eine andere Himmelsrichtung fliegen. Das eine Blättchen hält’s länger in der Luft aus und landet im Trockenen, das andere im Dreck und das dritte klebt bald wieder am nächsten Baum fest!

Ich glaube, so ist es unserer Prima ergangen, die nach der vormittäglichen Prüfung ihre Schulseele freudig aufgab. Nun hat Ludwine mit einem prächtigen Aufruf die Erzählung über das bisherige

 

 

Schicksal eines Blättchens begonnen. Sich schickte sie mir vor einem Monat zu, damit auch ich meinen Bericht eintrage:

Gleich nach unserer Prüfung bin ich in die Malerklasse der Meisterhandwerkerschule gegangen. Ich war so froh, dass endlich mein Wunsch in Erfüllung ging! Aber da traf plötzlich und wirklich unerwartet die Einberufung zum R.A.D. ein. Vier Tage später sagte ich schon mit anderen Maiden: „Fröhlich sei das Mittagessen!“ Und wieder vier Tage später lag ich mit einer Angina auf der Heilstube. Allerdings war die Angina so unglaublich gehässig, mich sechs Wochen in ein Krankenhaus zu bringen und mir ausserdem noch

das Herz ein wenig anzubrechen. Da war’s mit der R.A.D.-Zeit aus!

Nun bin ich schon seit vier Monaten im Westerwald nahe am Rhein und erhole mich wunderbar, so dass ich sogar wieder etwas arbeiten und unternehmen kann. Inzwischen ist aus der Essenerin eine Koblenzerin geworden. Die neue Heimat, die ich durch eine Dienstversetzung meines Vaters gewonnen habe, gefällt mir ausgezeichnet. Sie schickte mir als erste Begrüssung den Herrn an den Bahnhof, der uns vor dem Abi geprüft hat. Das heisst vielmehr, er ging wenig furcht- und aufregungserweckend vor mir

 

 

her. Ich habe heimlich lachen müssen und die Begegnung als ein gutes Vorzeichen angesehen. Wie ich glaube, vergessen wir alle recht gern die hässlich grauen Schulstunden und sehen die frohen noch viel sonniger.

Leider kann ich nur bestätigen, was Ludwine über das Aussehen der 1. Schule am Platze schreibt. The Tommy hat recht wenig Rücksicht auf den Teil genommen, in dem Frl. Fabers und Frau Lamers‘ Reiche lagen. Damit waren wir wohl die letzten Schülerinnen, die dort bis zu ihrem Schulende gewirkt und Radau geschlagen haben.

Geht es Euch auch so, dass diese Zeit sehr weit zurückliegend erscheint? Mir ist die Spanne

vom März bis heute wie eine Entdeckungsfahrt ins Leben vorgekommen, und ich glaube, dass wir alle viele unserer Schulideale aufgeben oder neu festigen müssen. Die neue, grössere Verantwortung dem Leben gegenüber macht glücklich. Mit dem Wunsche, dass es uns allen so gehe wir dem Genie, das willig eine alte Welt in sich zerstört, um die neue, bessere darauf aufzubauen, und nicht wie dem Brotgelehrten, der das Alte ängstlich hütet, grüsst Euch
Gretel Pott

Ich möchte Euch sagen:
„Gefährten vergangener Freuden und Leiden habt Mut!“

 

 

Es folgen nun die L.B.A. Studentinnen, 6 an der Zahl.

Sie und überhaupt alle Kameradinnen in Nord und Süd, Ost und West werden gebeten Ihre Heimatanschrift hinten ins Buch einzutragen, zwecks anknüpfen neuer Verbindungen, die vielen verloren gegangen sind.

Beverungen 15.10.43

Liebe Kameradinnen!

Als erste dieser sechs darf ich mich in das Buch eintragen. Es ist ein großer Vorteil, denn so kann ich den äußeren Lebensweg beschreiben, alle anderen aber müssen ihre inneren

Veränderungen kundtun.

Nach unserem Abitur war ich zunächst mit einer Freundin in Thüringen: Ich erholte mich gründlich von allen Strapazen und mit frischen Kräften ging es im Mai in die zweisemestrige Lehrerbildung hinein. Auf sechs wöchentlichen Hochschulbesuch in dem komfortablen aber geschmacklosen Bau folgten 2 Dortmunder Angriffe und unsere Hochschule wurde beschlagnahmt. Wohin mit so viel Menschen so schnell, fragte sich unser Direktor. So folgten eine Woche Ferien und drei Wochen Praktikum. Ich wurde in eine Stadtschule nach Siegen be-

 

 

ordert und mußte ein 2. Schuljahr unterrichten. Ich kam den ersten Morgen hin, der Klassenlehrer ging (ob aus Hilfsbereitschaft, Mitgefühl oder wirklichem Zahnweh, wer kann es sagen!) zum Zahnarzt. So bestand ich wenigstens ohne Zuschauer und ohne Kritik mein tapferes Gefühl vor meiner ersten Klasse. Eine Beschreibung der Gefühle möchte ich nicht geben. Mitfühlende Seelen können sich bestimmt hineinversetzen, denn nach 6 Wochen Vorlesungen, Übungen mit 2 Terrorangriffen und immerwährender Eisenbahnverkehrsstockung, hatte ich noch vom Unterrichten kei-

ne Ahnung. (Methodisch und der eigenen Wesensart gemäß zu unterrichten ist sehr schwer; überhaupt, die Lehrerausbildung ist doch ernster und schwieriger anzusehen, als man es allgemein tut.) Aber ich habe mich durchgekämpft und Siegen ist mir jetzt eine schöne Erinnerung (denn es ist ja auch Garnisonsstadt.)

Inzwischen wurde uns als Schule die Baugewerkschule in Höxter eingerichtet. Nach der Stadt Siegen kam für uns sechs als nächste Episode also Höxter. Als Wohnraum gilt uns das weite schöne Weserland, denn nur ganz wenige bekamen in Höxter selbst

 

 

Zimmer, es ist von Soldaten und Evakuierten übervoll. Ich wohne nun in Beverungen, 14 km von Höxter entfernt. Jeden Morgen fahre ich mit der Bahn und muß dann noch ¾ Std laufen. Aber das macht nichts, ich habe ja viel Leidensgefährten. Beverungen ist ein liebliches kleines Städtchen am schönsten Teil der Weser. Es ist Herbstanfang und die Sonne vergoldet alles, Bäume, Häuser, Gänse und Kühe, Burgen und Dörfer und das Wasser, das leise langsam dahinfließt und dir alles noch einmal wie chinesische Malerei widerspiegelt. Es

ist dies schönstes deutsches Land, Heimatland Hans Grimms, Hoffmann von Fallerslebens, Heimatland Raabes, Heimat von Webers „Dreizehnlinden“ (Kloster und Schloß Korvey bei Höxter) Wir alle freuen uns des Landes, unseres Lebens, sitzen oft am Wasser und träumen und denken manchmal an die Zukunft: Was wird sie bringen, mir und all den anderen, wohin wird sie uns noch führen!

Erika Sander

 

 

Beverungen, 17.10.1943

Liebe Kameradinnen!

Allen recht viel liebe Grüsse aus Beverungen.

Nach der eingehenden Schilderung von Erika bleibt mir garnicht mehr viel übrig zu schreiben. Ihr könnt Euch nun sicher alle ein Bild von dem lieblichen Städtchen und seiner Lage inmitten des schönen Weserberglandes machen. Ich gehöre nun auch zu den Glücklichen, die hier ungestörte Tage verbringen dürfen und ich muss gestehen, dass es mir nirgendwo anders so gut gefallen hat wie gerade

hier. Aber bevor ich hierher kam, verbrachte ich auch meine Zeit des Praktikums in Siegen und versuchte mein „pädagogisches Talent“ in einem dritten Schuljahr. Nach kurzen Ferien begannen wir wieder mit frischen Kräften hier in Höxter.

Da gerade Höxter und seine Umgebung so ausserordentlich reich an selten Pflanzen ist und eine so bedeutende geologische Entwicklung hinter sich hat, wurden natürlich viele Excursionen in den Stundenplan aufgenommen, die uns in den Solling, nach Karlshafen, zur Brunsburg, einer der ältesten Volksburgen über-

 

 

haupt, und zum Köterberg führten. Auch volkskundlich gesehen ist diese Gegend hier so unaussprechlich reich. Es gibt hier herrliche, reich verzierte Fachwerkhäuser, ein Teil von ihnen hat den 30jährigen Krieg überdauert, der hier sehr grosse Verwüstungen angerichtet hat. Bemerkenswert sind die alten Sprüche an den Balken in Hochdeutsch, Plattdeutsch oder auch Latein.

Man lernt doch auf diese Weise sehr viel besser alles kennen, was Kunstgeschichte, Erdkunde und Biologie angeht, da man alle Beispiele vor Augen hat.

Man behält doch alles sehr viel besser, was man einmal gesehen hat und in dieser Beziehung vermag uns Höxter viel mehr zu bieten als Dortmund, wenn wir auch dort manches bequemer hatten.

Ich glaube, dass die herrlichen Erlebnisse dieses Landes nicht spurlos an uns vorübergehen werden, dass sie mithelfen, unser Leben zu bestimmen.

Allen möchte ich eine ähnlich schöne Studienzeit gönnen und in diesem Sinne grüsst Euch
Gerda Rhode.

 

 

Beverungen, den 14.XI.43.

Liebe Kameradinnen!

Verzeiht, dass ich den Brief so lange hielt. Ich konnte mich gar nicht dazu aufraffen zu schreiben, denn mein Lebenslauf läuft mit dem von Gerda und Erika ganz und gar parallel und der ist von den beiden ja nun schon ausgiebig geschildert worden.

Wie Ihr also hörtet, sind wir recht oft und liebreich hin- und herverschickt worden, um endlich in Ruhe die hohe Kunst der Pädagogik in Höxter erlernen zu können.

Die Ruhe haben wir sehr begrüsst und haben es ihr mit zu verdanken, dass wir jetzt schon trotz allem dem Examen entgegensegeln, dem Examen, das uns zu legitimen, würdigen Erziehern deutscher Jugend macht.

Wir haben bisher eine schöne Studienzeit verlebt. Auf der Hochschule hatten wir das Glück, sehr gute Dozenten anzutreffen, sodass wir trotz der kurzen Zeit allerhand lernten. Ich darf sagen, dass mich der Aufbau, die Eigenart des Lehrens und die Art der Stoffe überraschten als ich nach Dortmund

 

 

kam. Ich sah meine guten Erwartungen weit übertroffen. Auch habe ich jetzt eine andere Auffassung und Ansicht von dem Beruf der Volksschullehrerin. Man sollte ihn nicht immer als kleinlich hinstellen, denn er fordert ungeheure Verantwortung und grösseres Wisses als man glauben mag. Er ist gross und schön, wenn man ihn ideal sieht, was man doch bei anderen Berufen zu tuen pflegt.

Unser Studentenleben ist einzig schön. In unserm hübschen Städtchen Beverungen fühlen wir uns wohl, ja fast heimisch, denn sein

Aussehen, wie seine Bewohner sprechen das Persönliche an. In den sonnigen Sommer- und Herbsttagen war es eine Freude dem Treiben und Werken der Leute zuzusehen und es bot ein farbigfrohes Bild, wenn sie mit ihren Wagen, beladen mit Körben voller Äpfel, Birnen, Kürbisse, Tomaten und Gemüse ankamen und ein noch schöneres, wenn die neuen Studentinnen selber ernten gingen (erlaubt oder unerlaubt). Letzteres dann meist auf der Landstrasse, die uns morgens nach Höxter führt.

Das liebliche Wesertal ist ja schon hinreichend gelobt und bewundert worden.

 

 

Ich kann es auch nur immer wieder preisen, nun nicht mehr in Sommer- oder Herbsteszeit als es noch sonnig-grün oder prächtig bunt zu nennen war, sondern eingehüllt in schützendes Weiss, denn heute fiel der erste Schnee.

Wenn Euch einmal die Möglichkeit geboten wird herzukommen, so ergreift sie nur mit ausgestreckten Armen, es wird Euch nicht gereuen.

Die langen Winterabende werden natürlich nicht nur mit Arbeiten verbracht, sondern da sitzen wir in unseren warmen „Buden“ und singen zur Laute, lesen vor oder strik-

ken lachender Weise an Socken und Handschuhen. Nicht zu vergessen sind dabei die Leckerbissen, die die jeweilige Gastgeberin heimlicher Weise zubereitet und auf die dann durchaus nicht ein jeder mitfühlend zu Gunsten des andern verzichtet. Dennoch: Ich kann nur sagen: „Unsere Gemeinschaft ist ideal.“

Wenn ich nun den Rundbrief wieder in die Hände bekomme wird sich ja manches geändert haben. Ich bin neugierig, zu hören, wie es Euch allen ergangen ist.

Ich grüsse Euch herzlich
Liesel Stammel.

 

 

Beverungen, den 15.11.43

Lieber Kameradinnen!

Heute ist nun endlich der langerwartete Rundbrief auch zu mir gedrungen. Ich will darum schnell meinen Bericht dazu liefern, sodaß er nicht erst wieder auf die lange Bank geschoben wird.

Also ich gehöre auch zu den sechs L.B.A. Studentinnen und sende allen aus Beverungen frohe Grüße. Ich bin aber nicht mit Erika, Gerda und Liesel in dem selben Lehrgang. Denn ich bin ja in einer Spezialausbildung zur Hauswirtschafts- und Sportlehrerin, die drei Semester dauert.

Meinen äußeren Lebensweg brauche ich Euch nicht mehr zu schildern, denn der deckt sich ziemlich

mit dem der andern Fünf. Nach vier Wochen Stadtschulpraktikum in Bielefeld, wo wir zum ersten Mal auf die Menschheit losgelassen worden sind, bin ich nach kurzen Sommerferien nach Beverungen übergesiedelt. Die Zeit in Bielefeld wird mir immer eine liebe Erinnerung bleiben. Durch das Praktikum haben wir schon einen kleinen Einblick dahinein bekommen, wo wir später wirken werden. Aber ich bin auch zugleich davon überzeugt worden, daß diese Arbeit Freude macht, und dieser Beruf mir volle Befriedigung geben wird. Denn gerade mit meinen Fächern (Hauswirtschaft, Handarbeit und Sport) gewinnt man die Begeisterung der Kinder sehr schnell.

Drei Monate sind wir

 

 

nun schon hier in Beverungen bezw. Höxter. Die Zeit vergeht mir wie im Fluge. In den ersten Wochen unseres Hierseins hatten wir sehr viel freie Zeit, die wir auch weidlich ausgenutzt haben. Meine Wohnung liegt direkt an der Weser, sodaß ich jeden Tag darin schwimmen konnte. Und nachdem der richtige Anschluß da war, habe ich täglich dort gepaddelt. Die restliche Freizeit benutzten wir dazu, um die herrliche Gegend kennenzulernen.

Nach den vielen schönen Sommer- und Herbsttagen hat nun der Winter hier endgültig seinen Einzug gehalten. Gestern lag das ganze Wesertal unter einer weißen Decke. Aber der Winter bringt auch seine Freuden mit sich. Wir

werden wahrscheinlich mit unserm ganzen Semester im Januar zum Skilaufen fahren, daß ja auch schließlich mit zur Ausbildung einer Sportlehrerin gehört. Der Ort ist noch nicht genau bestimmt; entweder nach Thüringen oder ins Erzgebirge.

Ihr seht also, mir geht’s gut und es gefällt mir hier ausgezeichnet. Abschließend kann ich wohl sagen, obwohl ja die Schulzeit die schönste Zeit sein soll, daß ich noch keine Sehnsucht dahin zurück gehabt habe. Und ich stimme ganz dem Liede bei: „Es gibt kein schöner Leben, als Studentenleben ..... Man ist viel freier und wird auch als erwachsener Mensch geachtet und demgemäß behandelt.

 

 

Wenn der Rundbrief nun wieder zu mir kommt, bin ich sicher schon bald Lehrerin in ‚Amt und Würden‘. Ich bin gespannt, was man von Euch weiter hört.

Es grüßt Euch alle recht herzlich
Erika Schafstein

Essen, 23.4.44.

Meine lieben Kameradinnen!

Nun hat der Brief mich erreicht und ich bin an der Reihe, Euch von mir zu berichten. Ihr werdet Euch sicher wundern, aber ich bin Essen immer noch treu geblieben. – Was soll ich eine lange Vorrede halten, ich will Euch kurz von meinem Dasein berichten.

Zunächst einmal kam ich - - - lacht bitte nicht, - im blauen Kittel an die Werkbank, freiwillig bitte, - denn ich will ja Elektro-Ingenieur-Assistentin werden. Doch hört: - - - - -

1. Teil: Werkstatt:
„Die ganze Lehrwerkstatt ist voll. Auf dem Olymp thront Meister Kroll. Nehmt d. Metall, sprach er von seinen Höh’n und feilt, bis nichts mehr ist zu seh’n.

 

 

Dann werde ich sagen, ob der Feilstrich gerade, / und ob ihr wandelt auf dem richtigen Pfade. So ruft er aus! Uns sehr zur Qual. Sein Näschen wirkt wie ein Gamma-Strahl. Und mit dieser kurzen Welle entdeckte er mit Blitzesschnelle jede fehlerhafte Stelle, damit wir nicht machten alles Schrott u. das Siemens-Haus bankrott.

Als die Zeit in der Werkstatt war vorbei, ging’s mit frischem Mut in das Alltagsallerlei.

2. Teil: Mathematik
Zunächst vor allen anderen Sachen mußten an die Mathematik wir uns machen. Herr X in seinem Sinn, er wälzte die Formeln her u. hin. Die ganze Klasse sitzt dann stumm, ehrfürchtiges Staunen rings herum. Wenn uns das Glück mal

hold ist, merken wir, was gewollt ist. Für manche ist es kein Vergnügen, sie können die Kurve einfach nicht kriegen. Nichts vermag sie auf den richtigen Weg zu führen, da muß man es eben noch einmal probieren.

3. Teil: Elektrotechnik, welche Qual, wenn es gibt ein Integral, das sind Formeln zu ergründen, wir können den Kontakt nicht finden. Schnell ist ein Kurzschluß meist behoben, nur ein kl. Knopf wird verschoben u. mit viel Schwung schaltet er ein die automatische Sicherung. Ach, eine Leitung ist so voller Tücken, wir müssen Widerstände überbrücken. Aber es ist furchtbar schlecht, wenn man

 

 

will u. kann nicht recht. Dadurch wird die Sache heiter u. wir kommen garnicht weiter. Doch unseres Meisters Geisteskräfte walten, er muß den 4. Gang einschalten, u. mit Temperament u. Schwung geht Elektrotechnik u.

(Achtung! Preisausschreiben: Wer konstruiert Umformer, der die hochfrequenten Wechselstromsätze unseres Herrn XY im Zeitlupentempo wiedergibt?

Angebote an die Elektro-Assistentinnen des 3. Semesters, Essen, Siemens-Haus!)

4. Teil: Physik
Wer weiht uns ein in alle die Patente, das ist der Meister der Physik, der uns belehrt mit viel Geschick. Wir sitzen schon mit hohen Augenbrauen gelassen da u. möchten gern

erstaunen. Da er ist so lang u. dünn schwingt er durch den Äther hin. Doch die Schwingung reicht nicht aus, denn es wird kein Ton daraus. Und wir müssen uns bequemen, einen Stock zur Hilfe nehmen. Und mit einem Fensterleder, quietscht er, daß es hört ein jeder. – Es schwebt empor in das Gefilde hoher Geister, wir schauen staunend auf zu unserem Meister. Und wenn die Uhr dann 4.30 schlug, wir hatten nichts, u. doch genug!!!

5. Teil: Arbeitskunde!
Meine Damen u. Herren, ich bin romantisch, u. ich schwärme so für die Natur. Nebenbei noch bring ich Sie allmählich auf des Walzwerks unbekannte Spur. Was sind denn verlorene Köpfe,

 

 

wie macht man Aluminiumtöpfe, was fertigt man aus Schraubenstahl, das ist uns wirklich so egal. Was sind Schrauben, was Matritzen, wir können nicht mehr stille sitzen, denn schon 2 Stunden dauert die Erklärung, das ist zuviel bei der Ernährung.

6. Teil: Werkstoffkunde:
Der Vater aller Diktatoren ist uns als Meister auserkoren. Freundlich lächelnd kommt er rauf u. macht dann die Mappe auf. Heute kommen wir zum Zinn, schreiben sie nur alle hin. Und er stellt dann 30 Fragen, bei uns konnt er so was wagen. Hatten wir auch wenig Zeit, lösten wir sie doch zur Zufriedenheit. Denn was unser Geist nicht packte, suchten wir eifrig in den Akten. Ganz im Ver-

trauen will ich Euch sagen:
„Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“

Ich glaube, daß Ihr mir alle beistimmt.

Mit meiner kurzen Schilderung will ich heute meinen Gruß an Euch alle beschließen und verbleibe Euch
Marianne Bäcker.

 

 

Essen, den 17.5.44

Liebe ehemalige H 8

„Hört und staunt“: Heute hat man mir dieses wertvolle Dokument hergebracht und ich setze mich gleich hin, Euch von meinen Heldentaten zu berichten. Ich habe ein herrliches Jahr hinter mir, man kann fast sagen, daß es ein Jahr der Erholung auf Staatskosten war.

Nach dem Abi hatte ich leider keine Zeit mehr, mich von den „ungeheuren Anstrengungen“ auszuruhen. Die Einberufung zum R.A.D. wartete schon und rief mich nach Kaffzig in Pommern. Leider

kann ich nun keine Lobeshymnen über das reitzende Städtchen anstimmen. Der Ort in dem mein Schweiß so reichlich geflossen ist, hat seinen Namen mit Recht verdiehnt. Es war ein ganz elendes Kaff. Allerdings hat Pommern landschaftlich alle meine Erwartungen übertroffen. Oft haben wir über die holperigen Wald- und Heidewege, die uns zu den einzelnen Bauern führten geschimpft, denn sie waren die Ursache so manchen kaputten Rades. Der R.A.D. ging schneller dahin, als ich es erträumt hätte. Wenn ich zurückdenke, war es doch eine schöne

 

 

und auch nützliche Zeit.

Nun Ihr würdigen Lehrerinnen holt Euch einen Stuhl, wenn Ihr noch nicht sitzen solltet. Denkt Euch, ich habe schon mehr praktische Erfahrung im Unterrichten als Ihr. Wenn Ihr also irgendwelche Schwierigkeiten im Unterricht habt, wendet Euch vertrauensvoll an mich, ich werde Euch gern mit einem Rat zur Seite stehen. –

Nun werdet Ihr die Hände über Euren holden Häuptern zusammenschlagen und sagen: wie kann man einen jungen Menschen so ohne jede Erfahrung vor die Klasse stellen. Das hab ich am ersten Tag

auch gesagt. Als ich zum ersten mal in mein 6. Schuljahr hineinging war mir wahrlich nicht wohl zu Mute. Doch bald hatte ich mich eingelebt. Bis Weihnachten hatte ich das Vergnügen, an der Mädchenschule zu unterrichten und dann gings wegen Lehrermangels rüber zu den Jungens. Da übernahm ich nun den 2. und 3. Jahrgang. Es war herrlich. Vor allen Dingen war das Kollegium bedeutend besser. Mit Lehrern läßt sich immer besser auskommen, als mit alten Lehrerinnen.

Das war meine Tätigkeit am Vormittag. Nun werdet Ihr

 

 

vermuten, daß ich den Nachmittag brauchte um mich vorzubereiten, aber da irrt Ihr Euch gewaltig. Nach 2 monatiger Amtstätigkeit hatten wir das schon nicht mehr nötig. Wir fuhren rum nach Königshütte, Beuthen, Kakowitz ins Kino, Theater. Am 1. Mai waren wir sogar in Bad Reinerz im Glatzer Bergland. Die Fahrt hat sich wirklich gelohnt. Das Industriegebiet Oberschlesien hat nämlich keine landschaftlichen Schönheiten, das haben wir Anfangs sehr vermißt, aber man gewöhnt sich auch an den Anblick roter Backsteinhäuser, Fördertürme und Hütten. Die Bevölkerung

ist noch sehr polnisch. Das hat uns auch in der Schule einige Schwierigkeiten gemacht. Ich könnte Euch noch stundenlang von meinem herrlichen, freien, sorgenlosen Leben, ohne Alarm, in bis 11h erleuchteten Städten erzählen, aber dann werdet Ihr beim Lesen das Gähnen kriegen. Noch eins, Euch Lehrerinnen zum Trost. Auch ich habe den Lehrerberuf achten gelernt. Nach meiner Ansicht ist der Volksschullehrer noch wichtiger als der Studienrat. Der Kriegshilfsdienst war also auch nur gut für mich. Seit einer Woche liegt er nun hinter mir.

 

 

Ein neuer Lebensabschnitt hat nun für mich begonnen. Ich studiere in Bonn Biologie. Lästert bitte nicht zu viel!!
und laßt Euch herzlich grüßen.
Erika Tiemann.

Essen-Borbeck, 18.1.51.

Liebe Kameradinnen!

Vor einigen Jahren, es sind nun schon sieben her, hat man mir diesen Rundbrief gegeben. Ich wurde wohl damals durch die vielen Angriffe daran gehindert einen Bericht über meine damalige Tätigkeit zu schreiben. So kam es, daß dieses Büchlein mit vielen anderen Büchern in den Keller wanderte und dort sieben Jahre geruht hat. Vor einigen Wochen fand ich es dort beim Aufräumen wieder, und ich will es nicht unterlassen Euch kurz zu berichten, was ich alles während dieser Zeit erlebt habe.

Ich gehörte auch zu denjenigen, die den LBA Lehrgang in Höxter

 

 

mitgemacht haben. Ich wohnte damals mit Irmgard Schaumann zusammen in Godelheim. Dort verlebten wir ein schönes und sorgenfreies Jahr. Nach Ablegung der Prüfung bekam ich meine erste Anstellung in Erkrath. Erkrath ist ein kleines Städtchen ganz in der Nähe von Düsseldorf. Die Schule, an der ich tätig war, lag mitten im Ort. Es waren nur junge Kollegen und Kolleginnen dort, womit ich oft Wanderungen ins Neandertal machte. So denke ich noch gern an die fünf Jahre zurück. die ich dort verlebt habe. Im Januar 1948 machte ich meine 2. Prüfung und reichte dann gleich meine Versetzung nach Essen ein. Ich war froh, daß mir dieses glückte und ich im Frühjahr 1948

meinen Dienst hier antreten konnte. Ich bekam eine Stelle an einer Volksschule in Dellwig, wo ich augenblicklich noch bin. Mein Beruf hat mir bisher viel Freude gemacht. Dennoch ziehe ich es vor nicht ewig Lehrerin zu bleiben. Ich habe mich Sylvester verlobt und werde wohl im Laufe des Jahres heiraten und der Schule ade sagen.

Ich gebe nun diesen Brief an Irmgard Schaumann weiter. Sie wird Euch wohl nicht nochmal sieben (Wochen) Jahre warten lassen.

Es verbleibt nun mit vielen Grüßen
Hilde Winter.

 

 

Essen-Steele, den 6.5.51

Lieber Kameradinnen!

Nun sind wohl nicht sieben Jahre vergangen aber doch einige Wochen, bis ich Euch jetzt schreibe. Worauf habe ich so lange gewartet? Ja, ich weiß es selbst nicht genau! Etwa, daß noch etwas geschehen würde wovon ich Euch berichten könnte? Ich habe nämlich nicht viel erlebt.

Während meiner Ausbildungszeit erging es mir wie den anderen Höxteranern auch. Nach einer kurzen Arbeitsdienstzeit wurde ich in Kamp-Lintfort, Kreis Moers würdige Lehrerin. Seit Dezember 1946 bin ich nun in Essen-Altenessen und werde,

wenn nicht unverhofft eine Versetzung kommt, wohl da bleiben.

In der Hoffnung, daß Ihr mehr und vor allen Dingen Gutes erlebt habt, und daß ich durch den Rundbrief bald davon hören werde, grüßt Euch
Irmgard Schaumann

 

 

Husum den 1. Juli ‘51

Liebe Klassenkameradinnen!

Sehr erfreut bin ich, daß der Rundbrief wieder ins Rollen gekommen ist und mich auch hier oben im äußersten Norden erreicht hat. Seit unserm letzten Schultag ist nun schon manches Jahr vergangen. Was hat sich in dieser Zeit alles ereignet!

Ich kam, wie so viele von uns, gleich im April zum Arbeitsdienst nach Kommern. In Steinau bei Schneidemühle habe ich ein wunderschönes Jahr verlebt. Erst als Maid und dann als Kameradschaftsälteste. Ich möchte diese Zeit nicht missen!

Meine Studienpläne mußten durch den totalen Kriegseinsatz erst einmal verschoben werden. Gleich nach meiner Entlassung wurde ich nach Krupp

kriegsdienstverpflichtet und arbeitete über ein Jahr bis zum Zusammenbruch in der Versuchsanstalt. Dort habe ich manches gelernt. Ich mußte elektromagnetische Messungen machen mit verschiedenen Metall-Legierungen bei hohen und tiefen Temperaturen. Anschließend Berechnungen zum Teil mit der Rechenmaschine, Rechenschieber oder auch Logarithmen, und dann das Ganze in Kurven aufs Papier bringen. Es war nicht immer leicht, von morgens 7 Uhr bis abends 7 Uhr am Schreibtisch zu sitzen oder vor dem Meßgerät zu stehen. Die Zahlen tanzten oft durcheinander. Zu Anfang gab es auch manchen Kurzschluß, wenn der Stromkreis nicht einwandfrei war. Doch dann erinnerte ich mich an die lehrreichen Physik- und Mathematikstunden von Frl. Travers! Nach einigen Wochen hatte ich mich eingearbeitet.

 

 

Meine Studienpläne mußte ich 1945 ganz aufgeben. Zunächst hinderte mich meine „politische Belastung“ am Anfangen und dann kamen finanzielle Schwierigkeiten durch die vorzeitige Pensionierung meines Vaters hinzu. Nachdem ich ein ganzes Jahr zu Hause war, fing ich im April 1946 in Bielefeld im Städt. Krankenhaus als sogenanntes „Pröbchen“ im Zehlendorfer Diakonieverein an. Nach 2 Jahren wurde ich nach Düsseldorf versetzt, wo ich dann auch mein Staatsexamen machte. Wie es dazu kam, daß ich Schwester wurde, kann ich heute garnicht mehr sagen. Ich habe in den Jahren den Schwesternberuf liebgewonnen und mir macht meine Arbeit sehr viel Freude. Seit drei Jahren bin ich im Operationssaal und nun perfekte Op-Schwester. Wenn Ihr also einmal irgend ein

ein Leiden habt, werde ich Euch gerne Narkose machen, aber dem Doktor das Messer zureichen! Habt Ihr Euch Arm oder Bein gebrochen, kann ich Euch kunstvoll einen Gipsverband anlegen! Im Augenblick bin ich zwar weit fort. Im Frühjahr wurde ich nach Husum versetzt. Zuerst war ich entsetzt. Die trüben Stunden, die eine weite Versetzung mit sich bringt, wurden anfangs durch das noch trübere, echt Husumer Nebelwetter vertieft. Aber je mehr man dann an Boden gewinnt und mit zunehmender Jahreszeit, sieht man klarer und erkennt, daß auch der äußerste Norden ein schönes Stückchen deutscher Erde ist. Meine Streifen in die Umgebung haben mich schon manch nettes Plätzchen entdecken lassen. Ganz in der Nähe in Hattstedt ist die kleine Kirche der Storm in „Aqui submersus“ ein Denkmal gesetzt

 

 

hat. Leider ist der Strand bei Husum nicht sehr schön. Das Wasser ist dort durch die zunehmende Verlandung schon ziemlich trübe durch den Schlick. Aber die Einsamkeit am Deich, die Möwen über der silbergrauen Fläche des feuchten Watts, das leise Rieseln und Glucksen zwischen den Quellern, wenn die Flut kommt, der weite Himmel über der weiten, friedlichen Landschaft ist wunderschön. Das kann man nicht beschreiben, das muß man erlebt haben. Es ist so wie in Storms Gedicht: „Meeresstrand“ („Ans Haff nun fliegt die Möwe“)

Wie mag es Euch in den vergangenen Jahren ergangen sein? Sicher ist schon mancher im Hafen der Ehe gelandet und hat nun schon Mutterpflichten. Ich denke noch manches Mal an den Tag im Stadtwald, als wir so fröhlich

beisammen saßen und unser Abitur feierten. Doch so schön konnte es ja nicht immer bleiben. Wie bald hat uns das Schicksal nach Ost und West zerstreuet.

„Doch sind wir auch fern voneinander,
es bleiben die Herzen sich nah;
und alle, ja alle wird’s freuen,
wenn einem was Gutes geschah!
Und kommen wir wieder zusammen
auf wechselnder Lebensbahn,
so knüpfen ans fröhliche Ende
den fröhlichen Anfang wir an.“

Euch Allen alles Gute wünschend grüßt Euch recht herzlich
Helga Jungk

 

 

Essen-Stadtwald, den 19. Juli 1951.

Meine lieben „alten“ Weggenossen vergangener Tage!

Daß sogar unsere Klasse einen Rundbrief auf die Beine brachte, überraschte und erfreute mich sehr. Es ist wohl schade, daß er viel zu lange „verschüttet“ war. Trotzdem will ich jetzt sorgen, soviel an mir liegt, daß er seinen Weg bald fortsetzen kann und mein Wunsch - und wahrscheinlich auch der Eure - ist es nun, ihn recht schnell kreisen zu sehen, um ihn bald wieder in der Hand zu haben mit Berichten von Euch allen. Damit Ihr seht, wer noch fehlt und Euch erinnert, wie wir ehmals ausschauten, habe ich unser Klassenbild an den Anfang des Buches gestellt. Ich hoffe, Ihr seid’s zufrieden. (Sollte noch jemand Interesse haben, solch

ein Bildchen in seinen Besitz zu bekommen, so mag er sich vertrauensvoll an mich wenden. Ich ließ damals für alle Abzüge machen, wurde sie dann aber nicht mehr los!) –

Und nun soll ich Euch von meinem Handeln und Wandeln erzählen? Es ist zwar nicht ganz leicht in Kürze zusammenzufassen, was innerhalt von 8 Jahren geschah, doch ich will versuchen, Euch so wenig wie möglich zu langweilen.

Wie bei etlichen von Euch auch kam ich, sogar „vorzeitig“ – wie das damals hieß – zum R.A.D. Mit etwas beklemmenden Gefühlen zog ich ins Lagerleben, wurde aber, das will ich Euch gleich sagen, angenehm überrascht. Das lag selbstverständlich an der Führung unseres Lagers – die sehr in Ordnung war – und ich hatte das Glück, daß unsere Belegschaft etwa zur Hälfte aus Abiturientinnen bestand.

 

 

Gewiß, es gab dunkle Tage genug. Doch sie sind vergessen und frdl. Erinnerung blieb. Als ich – ja stellt Euch vor, ich mit meiner politischen Einstellung (besser vielleicht, Ablehnung), zur K.Ä. avancierte, wurde mein, bzw. das Leben der K.Ä.‘s in unserem Lager erst richtig schön, da die Führung gern auf unsere Vorschläge und oft auch auf unseren Unfug bereitwillig einging. Übrigens, ich vergaß, ich verbrachte also 13 ½ Monate in Metternich bei Koblenz (unmittelbar beim Bezirk). Unser Lager war an einer Seite von der Mosel begrenzt, der wir nach vielen heißten Tagen gern unsere müden Glieder hingaben. Es war eine gute Zeit, auf die ich ungern verzichten würde. Nicht zu vergessen ist noch, wie gut Frau Lamers Kochkünste angebracht wurden. Die Maiden sahen es gern, wenn ich Küchenchef war, weil

es anscheinend am Essen zu merken war. Zwar, als ich im Mai 1944 heimkehrte, war meine Mutter eifrigst bemüht, mir die R.A.D.-Allüren wieder auszutreiben. Langsam aber sicher lernte ich, Zivilist zu sein. Seit 1944 also bin ich, mit einigen kurzen Unterbrechungen im elterlichen Haushalt. Wenn ich zwar meine Geschwister von ihrem Studentenleben erzählen hörte, sehnte ich mich manchmal auch hinaus, um anderes zu erleben, als all die häuslichen Kleinigkeiten und Sorgen. Als dann aber in kurzem Abstand meine Mutter zweimal lange im Krankenhaus sein mußte, und unser Haushalt der Hauptstütze beraubt wurde, war ich froh in alle Geheimnisse soweit eingeweiht worden zu sein, daß ich unsern 10-13 Personenhaushalt mit Tieren und allem was sonst drum und dran ist, vielmehr damals war, auch unter schwie-

 

 

rigen Nachkriegsverhältnissen führen zu können. Heute gibt es Leute, die es als etwas Außergewöhnliches hinstellen wollen, wenn ein Mädchen in unserem Alter es versteht, mit den verschiedensten Hausarbeiten fertig zu werden. Ich schätze, daß von Euch inzwischen manche ihren eigenen Haushalt hat und zurechtkommen muß. – Ich hoffe nun auch, im kommenden Jahr mein Glück im eigenen Haushalt zu bauen. Wenn’s noch nicht zu Ohren gekommen sein sollte, wisse also, daß ich mich Pfingsten verlobte. Nun mögt Ihr mir helfen, die Daumen zu drücken, daß es bald weitergehen kann!!?! –

Da noch keiner von meinen Vorschreibern erwähnte, daß unsere verehrte Klassenlehrerin Frl. M. Ruprecht bei einem Fliegerangriff ums Leben kam, möchte ich es denen sagen, die vielleicht nichts davon erfuhren. Wir wollen ihr ein gutes Andenken bewahren. Sie hat sich recht mit

uns geplagt. Fein, daß wir sie mit auf unserem Bild haben.

Euch allen, Ihr Lieben, wünsche ich viel Gutes und bleibe
Eure Hildegard de Nocker

 

 

Frankfurt, den 30.XII.51.

Liebe Leidensgefährtinnen verflossener Schulzeiten!

So ein ausklingendes Jahr hat doch etwas für sich und wenn es nur das ist, dass ich mich endlich zum Schreiben aufraffe, denn so Briefschulden mit ins neue Jahr hineinnehmen, ist immer etwas unbehaglich. Lästerzungen werden behaupten, dass ich immer schon faul gewesen sei, aber daran alleine lag es diesmal nicht. Zugegebenermassen habe ich den Rundbrief schon seit August, aber wenn Ihr ehrlich seid, müsst Ihr zugeben, dass Ihr ihn auch nicht gerade mit auf die Hochzeitsreise genommen hättet. (Für die, die es noch nicht wissen, sei es hiermit

feierlich bekannt gegeben, dass ich mich am 18. Aug. 51 freiwillig ins Ehejoch gestürzt habe. Bisher ist der Sturz noch ohne ernstliche Folgen geblieben!) Wenn man sich für hunderte von Glückwünschen und Geschenke bedanken muss, dann hat man das Schreiben langsam satt und der letzte Dankesbrief wurde gottlob heute auch endlich in den Kasten befördert. Ausserdem traf ich im Oktober beim 85jährig. Jubiläum d. Luisenschule so viele alte Klassenkameradinnen, die so schnell also gewiss nicht neugierig auf einen Bericht von mir sein können. Nehmt mir meine Saumseligkeit also nicht übel und seid gewiss, dass ich länger als 1 Kalenderjahr läuft, den Rundbrief nie behalten werde. (Das ist immer noch Gold gegen die „7 mageren Jahre“ bei Hilde Winter.)

 

 

Nachdem ich Euch ein wichtiges Ereignis in meinem Leben schon vorwegnahm, will ich jetzt lieber mal der Reihe nach berichten, sonst wird es zu kompliziert.

Ich will also beim Abi anknüpfen. An diese Ereignis kann ich mich noch erinnern, aber nicht mehr an die Feier im Stadtwald. Ich kann mich auch mit dem besten Willen auf dem Bild nicht entdecken. Wenn ich auch scheele Augen habe, aber so schlimm ist es nun wieder doch nicht mit ihnen. Vielleicht kann eine von Euch meinem armen, schwachen, überanstrengten Gedächtnis etwas nachhelfen. (Sollte es unter der im Frühjahr erlittenen Gehirnerschütterung doch etwas in Mitleidenschaft gezogen worden sein?) Ich kann aber ebenfalls

Erika König, Inge Harnes, Helga Dieckerhoff, Käthe Weinheimer u. Erika Sander nicht finden. Vielleicht waren wir vom Abitur noch so erschöpft.

Wie dem auch sei, zog ich im April 43 – froh, der Schule u. der Büffelei entronnen zu sein und voller Erwartungen – in den RAD und zwar ins hinterste Hinterpommern, wo die Welt mit Brettern zugenagelt ist: Kniprode im Kreise Bütow. So unvoreingenommen, hoffnungsfroh und voll guter Vorsätze ich meine RAD-Zeit begann, so bitter wurde ich enttäuscht. Wir 8 Abiturientinnen wurden von der engstirnigen und kleingeistigen Führung derart geschunden u. kritisiert, wie keine der anderen Maiden. Obwohl wir nie „etwas Besseres zu sein“ herauskehrten, spürte man anscheinend unsere Überlegenheit, die besonders in den Schulungsstunden

 

 

zutage trat und oft genug auch die Führerinnen in Verlegenheit setzte. Und sowas konnten diese natürlich nicht vertragen. Kein Wunder also, dass wir 8 uns umso mehr zusammenschlossen. Mit den übrigen Maiden verstanden wir uns ganz gut. Später wurde ich in ein anderes Lager versetzt, in dem eine wirklich nette und gebildete Lagerführerin war, für die wir durchs Feuer gegangen wären. Dann kam die Zeit des KHD, der mich in eine Munitionsfabrik in der Nähe von Berlin verschlug, und das gab mir gesundheitlich den Rest. Wir mussten in Tag- und Nachtschicht bei damals ziemlich erheblichen Angriffen auf Berlin Pulver mit einer Stampfmaschine in Verzögerungsröhrchen für Handgranaten füllen. Und das alles im Akkord. Das Pulver legte sich mir

auf die Lunge, so dass ich dauernd unter Asthma litt und einen ekelhaften Ausschlag an den Armen u. vor allen Dingen im Gesicht bekam. Ich sah aus wie ein Streuselkuchen. Nicht nur das ich vor lauter Jucken nie mehr zum Schlafen kam des Nachts, sondern auch psychisch nahm mich diese Entstellung vollkommen mit. Der Krankenstube entging ich so schnell wie möglich wieder, denn ich wollte unbedingt Weihnachten nach Hause, denn ausser Bettruhe konnte man mir dort nichts verordnen. Weihnachten zu Hause angekommen, brach ich vollkommen zusammen, denn nur d. eiserne Wille hatte mich bisher immer aufrecht erhalten. Bei meiner statiösen Figur traut Ihr mir sicher gar nicht zu, dass ich mal schlapp machte. Man hatte schliesslich ein Einsehen, dass die Arbeit

 

 

nicht ganz das Rechte für mich war und entliess mich dann vorzeitig im Januar 44. Ich war dann noch einige Monate zu Hause und erholte mich. Ich bin während der Zeit des vergeblichen „an mir Herumdokterns“ mit der Medizin in Berührung gekommen und nun wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Mein Entschluss stand fest und so konnte ich mich trotz „numerus clausus“ für das SS 1944 in Heidelberg immatrikulieren, wo meine beiden ältesten Geschwister bereits studierten.

Ich war voll Wonne u. Begeisterung. Wer Heidelberg, dies idyllische und unberührte romantische Städtchen, voll studentischer Traditionen kennt, der muss es ebenso wie ich aus ganzem Herzen lieben. Viel Neues brachte das 1. Semester. Es war

gar nicht so einfach, sich mit der fremden Materie vertraut zu machen – Bücher gab es fast keine – man war ein Neuling auf dem Gebiet, voller Hemmungen, aber auch voller Neugier und Wissbegierde. Zu meiner grössten Überraschung traf ich Ilse Böhm in Heidelberg wieder mit den gleichen Absichten wie ich. Man war also nicht ganz so verlassen und wir gingen stets gemeinsam zum Kolleg. Es war noch ein herrliches Semester ohne jeden Zwang, ohne Prüfungssorgen bis auf die Ablegung des kleinen Latinum, auf das wir dank Klaus Scholls Privatstunden genügend vorbereitet waren. Ich genoss in vollen Zügen die Freiheit und den herrlichen Sommer. Mit meinen beiden Geschwistern bewohnten wir im Anbau eines alten Heidelberger Studentenrestaurants ein grosses

 

 

Zimmer mit kleiner Küche. Wir waren frei und unabhängig und kannten keine Wirtinnensorgen. Wir hatten uns einen grossen Freundes- und Bekanntenkreis geschaffen, der ständig bei uns ein und ausging und sowohl ernste u. besinnliche Stunden, wie auch heitere und ausgelassene Fêten bei uns erlebte. Wir waren eine richtige Gemeinschaft, die auch in schweren Zeiten kurz vor dem Zusammenbruch eisern zusammhielt. Ich will nicht weiter von Heidelberg schwärmen, aber es gehört zu meinen schönsten Erinnerungen.

Tja, und dann war’s aus mit d. Studium, ich meldete mich freiwillig als DRK-Schwesternhelferin u. war bis zum Zusammenbruch im Luftwaffenlazarett Darmstadt tätig.

Kam dann wieder zurück nach Heidelberg u. wartete auf d. Wiedereröffnung der Universität. Als es so weit war, wurde ich sehr enttäuscht, denn da ich nur 1 Semester hatte, musste ich – zurück, marsch, marsch! – ins Vorsemester. Wieder richtig Mathematik büffeln u. Ovid etc. übersetzen. Ich habe geschwitzt, kann ich Euch sagen. Aber um den Preis, in H. weiterstudieren zu dürfen, war mir alles egal. Und dann kam die grösste Enttäuschung: ich wurde trotzdem nicht wieder in H. angenommen. Wutschnaubend ging ich nach Frankfurt, wo ich ohne weiteres ankam u. man kein Vorsemester für mich verlangte. Es war also verlorene Zeit f. mich gewesen u. hatte wieder ein Fachsemester dadurch eingebüsst. Ohne Aufnahmeprüfung ging es natürlich nicht ab, aber ich schaffte es und konnte mein Studium fortsetzen.

 

 

Ich trauerte noch lange meinem geliebten Heidelberg nach; man kam sich so verloren in Frankfurt vor u. es dauerte lange, bis ich einen Freundeskreis gefunden hatte, aber der war dann umso besser u. langsam lernte ich auch Ffm. lieben. Natürlich waren die sorglosen Studienzeiten vorbei. Man hungerte, fror, musste sich notgedrungen den streberhaften, nicht rechts u. links schauenden Kollegen anpassen u. mitbüffeln und mitjagen. 1 Std. vor Beginn raste man ins Kolleg, um auch nur noch einen Fenster- oder Treppenplatz im Hörsaal zu erwischen. So ging es den ganzen Vormittag u. nachmittags stand man im eiskalten Präpariersaal. Man sammelte Scheine, Scheine, Scheine und am Schusse des Sem. winkten die ewigen Semesterprüfungen, ohne die man nicht ins nächste kam, ebenso wenn der Nachweis fehlte, dass man so-

undsoviele Stunden“ geschippt hätte. Im Semester hatte man auch keine Ruhe oder Zeit, das Gehörte zu verarbeiten, man raste nur von Famulatur zu Famulatur. Dann nahte das Physikum, f. das man irrsinnig ochste, weil es die Andern taten, sonst fiel man eben gegen sie ab. Oft genug fragte ich mich vergeblich nach dem Sinn dieses Nachkriegsstudiums, das nichts wie Hetze u. Streberei war u. dann gab’s noch nicht mal Bücher. Wenn ich an das Physikum denke, glaube ich es oft selber nicht - und keiner von unsern hochverehrten Luisenschulpaukern würde es glauben -, dass ich so gut abgeschnitten habe. Frl. Travers würden die Augen übergehen, wenn sie wüsste, dass ich in Physik – wovor ich solche Angst hatte – sehr Ehre eingelegt habe. Sie hat doch immer zu mir gesagt: „Gehen ’S ab von der Schule, es gibt doch so viele

 

 

schöne Frauenberufe oder widmen ‘S sich der Musik.“ Ich wäre sicher eine schlechte Musikerin geworden, ob ich allerdings eine gute Ärztin sein werde, kann ich nicht sagen, aber jedenfalls bin ich mit Begeisterung dabei (Schlechte Verdienstmöglichkeiten haben allerdings beide Berufe!)

Tja, wenn die Begeisterung nicht gewesen wäre, es war manchmal sehr sauer. Nach d. Währungsreform kam ich in finanzielle Schwierigkeiten. Unser letztes „Vermögen“ war dahin, die Rente meiner Mutter liess auf sich warten. Alles, was ich zur Erlangung von Stipendien od. Studienbeihilfe unternahm, misslang. Also musste man selbst ran. Der Stud. Schnelldienst hatte immer allerlei Angebote. Man war nicht wählerisch: Babysitter, Holzhacken, Messejob (einmal z. B. verkaufte ich dort Traktoren) etc. Ausserdem

brachten wir regelmässig die Lebensmittelkarten ins Haus u. je nach Gegend fiel der Verdienst dabei sehr gut aus. Es fanden sich schliesslich Gönner, die mir bei d. Finanzierung d. Studiums halfen u. so waren die letzten Semester bedeutend angenehmer. Der Zwang liess nach, man war gesellig, ausgelassen, hatte auch mal Ferien u. Entspannung.

Tja, so kam’s dann, dass ich im letzten Frühjahr mein Staatsexamen machte u. bin nun richtig Dr. med. Im Sommer bin ich nun schon 6 Jahre in Ffm. u. werde dort wohl auch vorerst noch bleiben, weil mein Mann dort an der Frauenklinik tätig ist, speziell als gynäkologischer Pathologe, und er sich wahrscheinlich im nächsten ½ Jahr dort habilitieren kann. Ich bin zur Zeit ebenfalls an der Univ.-Frauenklinik tätig, natürlich für umsonst. Wenn aber mein Pflichtassistentenjahr rum ist, mache

 

 

ich ein kleines gynäkolog.-diagnostisches Laboratorium auf, nur privat u. das bringt dann das nötige Kleingeld, mit dem man sich das Leben endlich etwas erleichtern kann. (Grosse Praxis lohnt sich nicht) Wenn ich auch nicht geschäftstüchtig bin, so weiss ich doch jetzt, dass man vom „Idealismus“ u. d. „Ethik“ alleine auch nicht leben kann.

Unser nächster, grösster Wunsch für 1952 ist erst mal eine schöne Wohnung, denn 1 Zimmer macht einen mürbe. Und das weitere findet sich dann hoffentlich von selbst.

So, Ihr werdet aufatmen, dass ich zum Schluss komme, denn lange genug habt Ihr Euch mit meiner „bildschönen“ Handschrift amüsieren müssen. Seit wir in H. auf d. Uni unbedingt Latein schreiben mussten, habe ich sie mir verdorben. Na, sonst schrei-

ben die Ärzte noch viel schlimmer. Ich verspreche Euch, mich das nächste Mal kürzer zu fassen, denn bis dahin kann ja nicht so viel passieren (sonst ist das Buch so schnell voll). Und dabei fehlt in diesem Bericht noch Vieles, Vieles, was ich erlebt habe.

So, nun zu Euch zurück. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal etwas Technisches zu dem Rundbrief bemerken:
Bitte vergesst nicht, hinten im Buch Eure Adressen einzuschreiben, denn z. B. haben Ludwine Winnesberg, Gretel Pott, Irmgard Schaumann dies vergessen. Falls noch irgendjemand die Adresse von einer d. Fehlenden weiss, so schreibt sie auch dazu, sonst weiss der Nächste nie, an wen er noch schicken soll. Ich schreibe deshalb mal auf, wer meines Wissens noch fehlt. Helga in d. Wiesche (ho. Eickhoff) erhält es von mir.

 

 

1. Waltraud Harn
2. Käthe Weinheimer
3. Gisela Schmiedeskamp
4. Helga Dieckerhoff
5. Erika König
6. Waltraud Merlau
7. Grete Klockenhoff
8. Else Böhm
9. Inge Harner

So, lieber Rundbrief, nimm Deinen Lauf und mache alle ausfindig. Für 1952 wünscht Euch Allen ein fröhliches Glück auf
Eure Irmgard Fürer

d. h. jetzt schimpfe ich mich Cramer, meine Adresse bleibt aber wegen des zu befürchtenden Umzugs die in Essen.

Ffm, den 7.I.52.

Liebe Helga,
nun hat sich das Abschicken des Rundbriefes noch verzögert, weil ich durch meinen Göttergatten abgehalten wurde.

Guck doch mal im Telefonbuch nach oder riskiere einen Anruf, ob Else Böhm noch durch die von mir angegebene Adresse im Buch zu erreichen ist. Solltest Du noch welche wissen, schreib sie dazu.

Sollte ich demnächst mal wieder nach Esse kommen, schaue ich mal bei Dir rein. Bis dahin

 

 

alles Gute für Dich, Deinen Mann und die Filia hospitalis
Deine Irmgard.

alles Gute für Dich, Deinen Mann und die Filia hospitalis
Deine Irmgard.

Erftstadt, 15.5.84

Meine lieben Ehemaligen Mitschülerinnen!

32 Jahre hat dieser Rundbrief bei mir Geschlummert; ich habe mit Absicht den Brief Irmgards ins Buch geklebt, damit jedem meine „Schlamperei“ ins Auge fällt. Eine lange Entschuldigung gebe ich hier nicht, aber um Verständnis, wenn auch mit Augenzwinkern, muß ich bitten. In den fast 40 Jahren meiner Ehe bin ich 11 x umgezogen, die Bundesrep. von West nach Süd, von Süd nach Nord und dann wieder [..] bereist.

Dabei ist das Buch in Bücherkisten verschwunden und nur manchmal wieder ausgepackt worden. Die Gelegenheit es Euch mal wieder zu zeigen und nun mit gutem Willen auf die Reise zu schicken kam in diesem Frühjahr zum Treffen in Kettwig.

Eigentlich müßte ich jetzt meinen „Lebenslauf“ der letzten 40 Jahre aufschreiben, dann wäre aber kein freies Blatt mehr in diesem Buch. Außerdem bin ich, trotz Bemühen, keine V.I.P. geworden, d. h. Memoiren erübrigen sich. Das, was nun folgt ist der Versuch eines tabellarischen Lebenlaufs.

 

 

Nach dem Abitur bin ich, wie die meisten von uns in den R.A.D. eingezogen worden, gleich ganz weit von Essen in die Mark Brandenburg nach Liebenthal bei Wittstock/Dosse. Ein Jahr, davon dann das 2. Halbjahr in einer Arztpraxis war ich dort. Bis zum Beginn des Studiums, Okt. 1944 war ich in De Bilt in Holland – sportliche Vorausbildung. Dann bin ich zum Sportstudium nach Greifswald und von dort Sommer 1945 nach Hamburg zum Examen. So nebenbei habe ich im Januar 1945 geheiratet. Mein Mann war Marineoffizier und fuhr damals die berüchtigten 2 Mann-U-Boote. Ich glaube, darum hatte er es so

eilig. Von Hamburg bin ich dann (inzwischen war der Krieg beendet) nach Neustadt i. Holst. verschlagen worden und habe dort, weil Not am Mann war, an einer Volksschule unterrichtet.

1946 im Frühjahr wurde mein Mann aus der Gefangenschaft entlassen und wir sind gemeinsam nach Essen zu unseren Eltern gefahren. Im Febr. 1947 bekam ich ein kleines Mädchen, Ulrike, 1950 war der 1. Wohnungswechsel fällig nach Iserlohn. Meine 2. Tochter hat 9 Jahre auf sich warten lassen, im Januar 1956 wurde Cornelia geboren. Mehrere Umzüge Iserlohn – Dortmund – Essen – Oberursel – Offenbach – bis 1962 nach Quickborn in Holstein – Pinneberg – Quickborn

 

 

bis 1970 dann Steinbach/Ts. 1971 Erftstadt – 1977 innerhalb Erftstadts in dieses Haus, in dem ich hoffentlich jetzt bleiben kann.

In meinem Beruf als Sportlehrerin habe ich zwischendurch mal zur „Aushilfe“ gearbeitet aber alles in allem vielleicht 2 Jahre. Ein wenig Vereinsarbeit und Frauengymnastik um beweglich zu bleiben. 1966 habe ich mich dann auf Drängen von Freunden das 1. Mal bei einer Kommunalwahl um ein Mandat in einem Stadtparlament beworben und bin dann im März als Stadtverordnete für die F.D.P. in Quickborn in den Rat gewählt worden. Diese Arbeit

in der Kommunalpolitik mache ich bis heute, sie macht mir Freude und hat mich noch nicht gereut. Den Ehrgeiz „weiter auf der Politischen Treppe zu steigen“ habe ich nicht gehabt und nun denke ich langsam daran aufzuhören. Es ist schwer, aber seit Anfang 1984 ist mein Mann pensioniert und er möchte ganz gerne ein wenig mehr von mir haben.

Meine beiden Töchter haben studiert, geheiratet und Kinder bekommen.

Ulrike ist Sozialpädagogin in Wiesbaden und Christiane, mein Enkelkind gerade 14 Jahre geworden.

Cornelia ist Juristin und

 

 

hat einen 3 Monate alten Jungen: Philip. Beide arbeiten bezw. wollen in ihrem Beruf weiterarbeiten, d. h. im Falle Cornelia, die 100 m Luftlinie von uns entfernt wohnt, daß eine verläßliche, rüstige Omi fürs „Ein[..]“ parat ist. (Nun habe ich zum Schluß doch noch gepatzt). Die Zeit unseres Wohnens im Frankfurter Raum habe ich engen Kontakt mit Irmgard Furer gehabt und die Freundschaft hat nicht mit ihrem tragischen Tod im Frühjahr 1983 geendet. Die Zeit im Raum Hamburg hat mir eine ständige liebe Verbindung zu Ursula Wagner gebracht. Wir stehen auch jetzt noch

in Verbindung. Aber meine engste und freundschaftlichste Verbindung über all‘ die Jahre habe ich zu Hildegard Saatmann, den meisten von Euch ungekannt aber von der Sexta bis zur Obertertia in unserer Klasse. Hildegard Tetsch wohnt in Emmerich und zum nächsten Klassentreffen in Essen ist sie bestimmt dabei.

Dieser Rundbrief geht an Hildegard de Nocher, auch schon wieder mit Verzögerung. Ich wünsche ihr viel Freude beim Lesen und bitte, ihn dann an eine der nun älteren Damen, die unsere gemeinsamen Mitschülerinnen waren,

 

 

weiterzureichen. Bitte in etwas kürzerem Abstand.

Allen, die den Rundbrief lesen liebe Grüße und die Hoffnung, daß wir uns noch manches Jahr sehen können.

Eure Helga Eickhoff
geb. in der Wiesche

Essen, den 8.6.84

Meine Lieben,

Nach unserem Treffen 41 Jahr danach brauche ich ja nicht viel zu schreiben, zumal ich schon einmal in diesem wertvollen Buch eingetragen bin. Also nur tabellarisch:

Ich bin verheiratet seit 1954
von 1955-1965 schenkte ich sechs Kindern, 4 Söhnen und 2 Töchtern das Leben, das sich ihnen und uns wechselhaft gestaltete.

Wir wohnten zunächst in Holsterhausen An St. Stephan, vergrößerten uns nach dem 4. Kind für 7 Jahre nach Gelsenkirchen-Horst, um dann in unseren Neubau 1968 nach Burgaltendorf zu ziehen. – Obwohl das Leben nicht immer gerade sanft mit mir umsprang, hatte ich viel Freude an

 

 

meinen Kindern und bin, so denke ich, ein dankbarer, fröhlicher (meist), zugänglicher Mensch geblieben. In diesem Sinne grüßt Euch alle und wünscht Euch viel Genuß beim Lesen der Vorgeschichten

Hildegard Korstick
geb. de Nocker

Abcoude, den 6.7.84

Liebe ehemalige Mitschülerinnen,
wenn man dem zugesandten Päckchen ein so vergilbtes Büchlein entnimmt, weiß man, daß man von Helga mit Recht „ältere Dame“ genannt wird. Vor 40 (!) Jahren schrieb ich – 19jährig – einen schwärmerischen Bericht, als Großmutter halte ich ihn wieder in Händen. Und dann liest man all die „Lebensgeschichten“. Ich fand es wirklich faszinierend, entdeckte Parallelen zum eigenen Lebenslauf – und wurde ganz still beim Lesen der so eindringlichen Berichte von Erika und Irmgard. Man kann es einfach nicht fassen, daß sie

 

 

schon nicht mehr unter uns sind.

Nun kurz Einiges über mich:
Gemeinsam mit Erika und Gerda meldete ich mich damals in Höxter zum Schuldienst in Holland. Ich kam nach Sittard, wurde aber schon bald zum Arbeitsdienst in Referinghausen (Sauerld.) einberufen. Holland sollte ich so bald nicht wiedersehen. Kurzer Aufenthalt in und um Lüneburg, wo mit einfachsten Mitteln Flüchtlingskinder betreut und unterrichtet wurden und dann in die Osterferien nach Beverungen wo meine Mutter und Schwester sich aufhielten.

Dort erlebte ich dann den Einmarsch der Amerikaner.

Ich kennt die unruhige Zeit großer Veränderungen vermutlich selber zur Genüge.

Langsam begann nach der Zeit des Hungerns das geregelte Leben. Ich unterrichtete zunächst in Beverungen, dann in Niederense und schließlich in Essen an der jeweiligen Volksschule, alles insgesamt 9 Jahre lang.

Inzwischen lernte ich meinen Mann, einen Holländer aus Amsterdam, in Essen kennen. Wir heirateten 1954, bekamen 3 Söhne und wohnten bis 1973 in Amsterdam. Eine herrliche Stadt, wie Ihr sicher alle wißt. Leider wird sie schlecht verwaltet und ist ihrer Kriminalität wegen mehr und mehr berüchtigt. Ich

 

 

liebe die Stadt allerdings immer noch, weltweit und zugleich kleinstädtisch „gesellig“ wie sie ist, dabei baulich von so ungeheurer Schönheit.

Zwei unserer Söhne wohnen jetzt wieder dort, einmal, weil sie an der Uni arbeiten bzw. studieren, zum andern weil sie eben diese eigene Amsterdamer Atmosphäre lieben. Unser mittlerer Sohn wohnt mit Frau und Tochter Caroline nördlich von A’dam.

1973 zogen wir – damals noch die ganze Familie – in unser Haus in Abcoude. A. ist ein Dörfchen, 12 km südlich von A’dam und liegt zwischen zwei großen Seengebieten. Auf die Dauer gefallen uns

halt doch die Stille und der intensive Kontakt mit der Natur besser als das Stadtleben.

Bis zum Ende dieses Schuljahres (Aug. 84) gebe ich noch 3 x in der Woche Unterricht an einer Mittelschule (Deutsch!) Ich habe dann auch in Holland 9 Jahre lang unterrichtet (nach 3jähr. Kursus an der Uni in A’dam) Es hat manchmal Kraft gekostet, war aber sehr der Mühe wert.

Ja, jetzt hoffe ich, mit meinem Mann, der pensioniert ist, noch eine gute gemeinsame Zeit zu haben. Langweilen werden wir uns bestimmt nicht, Interessen

 

 

genug!

Euch hoffe ich ab und zu bei Klassentreffen zu sehen, gesund und wohlgemut!

Ich wünsche Euch alles Gute, und grüße Euch herzlich!

Eure Liesel
(Le Cat, geb. Stommel)

Essen, den 6.8.84

Ihr Lieben,
den ersten Bericht schrieb ich zu Beginn meiner Ausbildung und nun liegt das Ende meiner beruflichen Tätigkeit schon drei Jahre zurück.

Kopfschmerzen und Migräne, die mich schon während meiner Schulzeit plagten, zwangen mich, vorzeitig aus dem Dienst auszuscheiden; aber gebessert hat sich danach auch nichts. „Aber das ist nur äußerlich“, sage ich mir immer.

Kurz die Stationen meiner Lehrertätigkeit: Nach der ersten Prüfung 1944 in Höxter folgten

 

 

ein dreimonatiger Arbeitsdienst, dann eine kurze Tätigkeit an einer deutschen Schule in Holland und anschließender Aufenthalt in Lüneburg (siehe Liesel). Das Kriegsende erlebte ich an einer Schule im Kreis Unna, 1948 ließ ich mich nach Essen versetzen und seitdem war ich in Steele tätig, zuletzt an der kath. Hauptschule. Wenn ich an meine Tätigkeit als Lehrerin zurückdenke, so war sie doch recht vielseitig, umfaßte sie doch bis zur Einführung der Hauptschule und des Fachlehrersystems die ganze Palette der zu unterrichtenden Fächer. Dazu kamen Klassenfahrten, die trotz des Einsatzes rund um die Uhr auch für mich Erlebnisse

und Erfahrungen brachten, die ich nicht missen möchte. Die fortwährende Auseinandersetzung mit den verschiedenen „kleinen Persönlichkeiten“ und den immer wieder unterschiedlich zusammengesetzten Klassen läßt den Lehrerberuf so anregend, aufregend, befriedigend und manchmal auch frustrierend werden, wenn alle Bemühungen um einen Schüler oder eine Schülerin vergeblich zu sein scheinen.

Seit drei Jahren „genieße“ ich also nun den „Ruhestand“, obwohl das Wort „Ruhestand“ mir gar nicht gefällt. Es hat so etwas „Endgültiges“ und „Unbewegliches“ an sich,

 

 

das ich nicht auf mich beziehen möchte. Ich möchte mich weder zur Ruhe setzen noch möchte ich irgendwo stehenbleiben. Abgesehen davon, daß mich meine Geschwister und Nichten und Neffen auf Trab halten, habe ich nun viel Zeit zum Lesen und Dinge zu tun, die mir Freude machen.

Von einem Besuch bei Liesel brachte ich nun unsere „Memoiren“ mit, habe meine Erinnerungen dazugegeben und werde das Büchlein Ludwina anvertrauen mit den besten Wünschen für einen zügigen Umlauf und mit herzlichen Grüßen an Euch alle!
Eure Gerda.

Essen, den 27.12.84

Liebe Mitschülerinnen, Großmütter, Pensionäre ...,
Gerdas Wunsch „für einen zügigen Umlauf“ war offenbar nicht nachdrücklich genug, denn ich habe unser Buch mehrere Monate ruhen lassen.

Nachdem ich heute darin gelesen habe, ist mir der Wert dieses Bändchens bewußt geworden. Es ist gleichsam eine Chronik, gewährt Einblicke in Einzelschicksale und einen Zeitabschnitt von mehreren Jahrzehnten.

Wie unterschiedlich hat sich das Leben der einzelnen gestaltet, und wieviel Gemeinsamkeit gibt es dennoch im Verlauf!

 

 

Mit Enkelkindern kann ich nicht aufwarten, eine eigene Familie nicht vorweisen, aber Pensionärin bin ich inzwischen auch – und lebe immer noch in Steele, fast an alter Stelle (nur wenige Minuten vom alten Wohnhaus entfernt).

Wie ich es in meinem ersten Schreiben ankündigte, habe ich wirklich noch im Kriege mit dem Studium begonnen, und zwar an der Bonner Universität das Studium der Germanistik und Geschichte. Nach dem Krieg konnte ich in Köln weiterstudieren und 1950 die Lehrbefähigung für Realschulen (Mittelschulen) erwerben. Im September 1955 trat ich meinen Dienst an der Gertrud-Bäumer-Realschule in Essen-Altenessen an –
und wurde nach 34 Jahren auch

dort pensioniert. Während dieser langen Zeit habe ich allerdings unterschiedliche Aufgaben wahrgenommen: Unterrichtstätigkeit (Deutsch und Geschichte), Mitarbeit in der Lehrerausbildung als Fachleiterin f. Deutsch am Essener Bezirksseminar und die letzten 12 Jahre Direktorin der Gertrud-Bäumer-Schule.

Wenn ich auf die Arbeit in der Schule zurückblicke, kann ich mich dem anschließen, was Gerda darüber geschrieben hat. Das Schulleben ist aufregend und anregend; es erfordert viel Kraft, bietet aber auch die Chance, bewußt an der Entwicklung teilzunehmen, weil man einfach immer wieder herausgefordert wird, sich mit Veränderungen,

 

 

Neuerungen auseinanderzusetzen.

Da ich mich erst seit wenigen Monaten im Ruhestand befinde, genieße ich noch die Entlastung von Pflichten – das Gefühl, freie Zeit zu haben. Ich freue mich, lesen zu können, Spaziergänge zu machen, Freunde zu besuchen – und das alles mit ruhigem Gewissen, ohne Zeitdruck!

Zwar ist meine Zeit immer noch eingeteilt, weil ich mit meiner Mutter zusammenlebe, die fast neunzig Jahre alt ist und Hilfe braucht. Nur wenn die Hausgehilfin anwesend ist, kann ich weggehen. – Ich bin froh, meine Mutter noch zu haben; und ich glaube, daß es gut ist, beim Eintritt in den Ruhestand eine Aufgabe zu behalten. Vom viel-

beredeten Pensionierungsschock habe ich jedenfalls nichts bemerkt.

Hoffentlich dauert es bis zum nächsten Klassentreffen nicht ein Jahrzehnt. Ich möchte die Großmütter unter Euch gerne noch einige Male als Großmütter und nichts erst als Urgroßmütter wiedersehen. – Zudem, je älter wir werden, um so mehr sollten wir unsere Zeit wahrnehmen.

Herzliche Grüße
Euere Ludwine

 

 

20.1.85

Ihr Lieben alle!

In Anbetracht der Tatsache, daß ich mich im Handwerkerdurcheinander und Umzug befinde, fällt mein Gruß an Euch etwas spärlich aus. Nur in Stichworten die wichtigsten Ereignisse: 2 Söhne, 1 Tochter, 2 Enkel aus meiner Ehe, die 1945 geschlossen wurde. Ich bin also schon 40 Jahre verheiratet. In meiner Familie war ich immer voll beschäftigt, so daß ich nie den Drang verspürte mich anderweitig zu „verwirklichen“. Sicher kommt es auch daher, daß die Anforderungen an mich recht vielschichtig und interessant waren. Im

Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte muß ich feststellen: ich bin zufrieden, es hat sich gelohnt. – Daß auch Ihr das behaupten könnt, wünsche ich Euch allen.

Eure Waltraud Braß
(geb. Merlau)

Essen, den 22.1.1985

Liebe Erika!

Über 40 Jahre sind es her, daß Du in beiliegendes Büchlein schriebst: Zeiten voll Freude – Zeiten mit Leid. Hielten sich beide die Waage? Ich glaube in der Erinnerung überwiegen die Freuden. Nur ganz frisches Leid wiegt schwerer.

Von Ludwine übernahm ich es, Dir das Buch zu schicken.

Im Dezember, als ich vom Tod Deines Mannes las, war ich nicht dazu gekommen, Dir zu schreiben.

Ob Du Dich inzwischen mit dem Alleinsein abgefunden hast? Oder ist es Dir immer noch wie ein kurzer Abschied, der nichts Endgültiges bedeutet? Ich weiß auch gar nicht, ob Dein Mann so krank war, daß Ihr mit seinem Tod rechnen konntet.

Vielleicht können wir uns einmal wiedersehen. –

Überlege, wem Du das Buch weiterschickst. Laß es nicht zu lange ruhen.

Herzliche Grüße
Deine Inge