Unangepasste Jugend in Essen

Am 28. Juli 1939 fanden sich Vertreter verschiedener Polizei- und Gestapo-Dienststellen bei der Sonderstaatsanwaltschaft Düsseldorf ein, um die Durchführung des „Verbots der Bündischen Jugend" zu organisieren. Sie sprachen von einem „erheblichen Umfang" der unangepassten, so genannten „wilden" Jugendcliquen im Ruhrgebiet. Diese waren in Dortmund als „Latscher" und in Bochum als „Ruhrstrolche" oder „Flitscher" bekannt. Ein besonderes Augenmerk lag auf den Essener „Fahrtenstenzen", die sich „früher Kittelbacher Piraten" genannt hätten und ihre Treffen am Essener Baldeneysee, aber auch in Hattingen, an der Grafenmühle bei Gladbeck oder in der Recklinghauser Hardt abhalten würden.[1]

Ab Ende der 1930er Jahre setzte sich in der Bevölkerung und bei den Verfolgungsinstanzen, aber auch unter den Jugendlichen selbst zunehmend der Name „Edelweißpiraten" als Bezeichnung für die „wilden" Jugendcliquen durch. Hitler-Jugend und Polizei sprachen gar von einer „verbotenen Organisation Edelweiß".[2] Ebenso schillernde Bezeichnungen wie „Erika-Bande" oder „Klub Texas Jahn" blieben Ausnahmen.

Die „wilden" Jugendlichen stammten in der Regel aus Arbeiterfamilien. Die Väter verdienten den Lebensunterhalt als Bergmänner oder bei Krupp, während die Jugendlichen zum Teil noch zur Volksschule gingen und die meisten von ihnen eine Lehre absolvierten. Wie ihre Väter waren sie oft bei Krupp angestellt und absolvierten Ausbildungen als Dreher, Former oder Schlosser. Andere arbeiteten als ungelernte Hilfsarbeiter oder im Bergbau.

Die „Edelweißpiraten" und „Fahrtenstenze" trafen sich in den Parks und Grünanlagen der Stadt oder am Strandbad „Haus Scheppen" am Baldeneysee. Auch Trinkhallen, Eiskaffees oder die regelmäßigen Jahrmärkte, beispielsweise die Kirmes am Oettingplatz, waren beliebte Treffpunkte. Im Krieg schließlich entwickelten sich der Bunker und die Notunterkunft der Maschinenbauschule am Beginenkamp zum zentralen Treffpunkt der unangepassten Jugend Essens.
Die innerstädtischen Treffen bildeten die Ausgangspunkte für Fahrten und Ausflüge in die Umgebung der Stadt. Beliebte Ziele der Essener Jugendlichen waren der „Entenfang", ein See bei Duisburg-Wedau, die Ruhr bei Hattingen oder der Grafenwald und die „Schwarze Heide" bei Kirchhellen.

Dem HJ-Streifendienst waren die Treffpunkte und Ausflugsziele natürlich bekannt. Des Abends gingen die Hitlerjungen in den Parks auf Streife und am Wochenende kontrollierten sie die Ausfallstraßen zu den Fahrtzielen. Mehrmals kam es zu groß angelegten Razzien in Essen und Umgebung. Mit Unterstützung zahlreicher Polizeibeamter wurden die Jugendlichen dann auf verbotene Kluft kontrolliert. Vielfach folgten Verhaftungen oder Vorladungen zum Verhör durch die Gestapo. Den (negativen) Höhepunkt der Verfolgung bildeten zwei Gerichtsprozesse im Sommer 1940 und im Frühjahr 1944, in denen Jugendliche „Edelweißpiraten" zu bis zu vier Monaten Haft verurteilt wurden.

Das, was hier präsentiert wird, kann zunächst lediglich eine erste Skizze über Gruppen und Verhalten unangepasster Jugendlicher in essen sein, die noch weitreichender Ergänzungen und Differenzierungen bedarf. Jeglicher Hinweis auf weitere Informationen und neues Material ist daher hochwillkommen.

Fußnoten

[1] Vgl. LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 58/ 6187, Bl. 7 ff. Bei dem erwähnten Verbot handelt es sich um eine Erneuerung des Verbotes der bündischen Jugend vom 4. Februar 1936. Die Verfügung war nun auch auf die Gruppe der „Navajos" ausgedehnt worden, wurde aber gleichwohl ebenfalls auf nicht explizit genannte informelle Gruppen und Cliquen angewendet.
[2] Zitat aus einer Strafanzeige des HJ-Kameradschaftsführers Wilhelm K., in LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 58/ 68508, Bl.