Lager und Fahrt der Mendener Hitlerjugend

Den Höhepunkt im Jahresverlauf, ja die „Krönung“ der Sommerarbeit der Hitlerjugend bildeten zumindest nach Einschätzung der Jugendführung die Ferienfahrten. In Menden beteiligten sich sowohl Jungvolk als auch HJ regelmäßig an diesen Veranstaltungen, die aufgrund der Berichterstattung in der Tagespresse gut fassbar ist. Dagegen fehlen entsprechende Nachweise für die lokalen Mädchenorganisationen fast völlig, obschon auch der BDM ein umfangreiches Fahrtenprogramm absolvierte.

Seit 1935 löste der zentralisierte und monopolisierte Großfahrtenbetrieb der den ungebundeneren, deutlicher in bündischer Tradition stehenden älteren Typus ab, der für das Mendener Jungvolk noch in der Fahrt greifbar wird, die dessen Spielschar 1933 in das Tal von Weser und Werra unternahm. Nachdem die Gruppe unter Leitung von Dr. Müller und unterstützt durch Jungstammführer Heidrich durch Aufführungen und Konzerte zuvor die erforderlichen Geldmittel selbst eingespielt hatte, absolvierte sie im Zielgebiet ein umfangreiches, natürlich an ideologischen Erfordernissen orientiertes Besichtigungsprogramm. Soweit aus der vorhandenen Beschreibung erkennbar ist, wurde dabei jedoch der Drill und formale Disziplinierung fast völlig verzichtet. Eigenständige Gruppenfahrten dieser Art wurden danach aufgrund anderslautender Bestimmungen allerdings zur Seltenheit.

Die Großlager, an denen sowohl das Mendener Jungvolk als auch die HJ regelmäßig teilnahmen, wurden vom Jungbannführer bzw. vom Bannführer geleitet. Für den Bann 136 Iserlohn sind folgende Sommerlager nachgewiesen:

1934 in Bestwig im Sauerland (JV)
1935 in Hohenlimburg/Henkhausen (JV und HJ),
1936 bei Evingsen (JV und HJ),
1937 an der Sorpetalsperre (JV) und auf Juist (HJ),
1938 auf Norderney (JV und HJ),
1939 an der Gevelinghauser Mühle bei Bestwig (JV) und in Österreich (HJ).

Größere Schwierigkeiten stellten sich bei der Rekrutierung von Teilnehmern am Fahrtenbetrieb im ländlichen Bereich rund um Menden ein, also in Holzen, Bösperde, Schwitten und Halingen. Hier konnten viele Jungen wegen der im Sommer unabwendbaren Mitarbeit auf dem elterlichen Hof nur für kleinere Wochenendtouren in die nähere Umgebung gewonnen werden.

Dem Zeltlager in Evingsen im Jahr 1936 kam insofern eine besondere Bedeutung zu, als es ausdrücklich der Führerauslese diente. Daher wurden zuvor eine ärztliche Untersuchung der Jungen und eine körperliche Leistungsprüfung durchgeführt, woraufhin dann der der Bannführer über „Einberufung“ oder „Ausmusterung“ entschied. Zur Vorbereitung wurde außerdem eigens eine fünftägige „Einsatzübung“ abgehalten, die mit dem Erwerb des HJ-Leistungsabzeichens endete. „Denn nur die Besten sollten ins Lager kommen“, hieß es hierzu in der „Mendener Zeitung“. Auch über die Lagerzeit hinaus sollten diese Jungen dann in einem besonderen Zug auf Bannebene zusammenbleiben und weiterhin speziell geschult werden.

Diese HJ-Zeltlager erinnerten in Anlage und Ausstattung deutlich an soldatische Feldlager, was auch in der Presseberichterstattung recht unverblümt zum Ausdruck kam. So hieß es in der Lokalpresse 1937 über das Bannzeltlager auf Norderney:

„Zum Sommerlager des Bannes Iserlohn
Wenn man auf Norderney den Weg aus der Stadt heraus zur Meierei einschlägt, zeigen diese mit lustigen Lagerzeichnungen ausgestalteten Schilder zum Zeltlager der Hitler-Jugend.
Hier kommen wir zunächst durch eine Wiese an das Lagertor, an dem ein Doppelposten ständig Wache hält.
Zu beiden Seiten der Lagerstraße stehen 9 Wachzelte, von denen einige mit elektrischem Licht ausgestattet sind. Durch die Lagerstraße kommen wir auf den großen Lagerplatz. Die 70 weißen Spitzzelte, welche im großen Oval aufgebaut sind, bieten einen schönen Anblick. Dazwischen verteilt liegen 4 große Hauszelte, in denen bequem 50 Jungen untergebracht werden können. Eines dieser Zelte dient der Verwaltung. Telefon, Lautsprecheranlage, Schreibmaschinen usw. sind hier untergebracht. Auch lagern hier die gesamten Sportgeräte. Ein anderes Hauszelt ist das Besprechungs- und Musikzelt. Die beiden übrigen Hauszelte sind als Wohnzelte eingerichtet. In den kleinen Rundzelten haben 10-12 Jungen Platz. In jedem Zelt sind Tischplatten und Kleiderhaken angebracht.
In der Mitte des Platzes gegenüber vom Flaggenmast steht das Kommandozelt; auf einer kleinen Erhöhung davor das Mikrofon. Vier große Pilzlautsprecher machen jeden Befehl, der hier durchgegeben wird, verständlich. Wir gehen weiter den Lagerplatz hinauf und kommen zum Sanitätszelt, welches mit zwei Feldbetten ausgestattet ist. Zwei Ärzte tun hier Dienst und bewachen den gesundheitlichen Zustand der Jungen. Am Lagerausgang zum Strand befindet sich noch die gepflasterte Küche und daneben 8 überdachte Feldküchen. Hier sorgen 3 Köche für das leibliche Wohl der Lagermannschaft.“

Das Lagerleben zeigte also charakteristische Züge einer vormilitärischen Ausbildung. Diese Intention kam auch dadurch zum Ausdruck, dass die Bannführung immer wieder bestrebt war, in direkten Kontakt zur Wehrmacht zu kommen. So besuchten die 1935 im Lager Henkhausen untergebrachten Jugendlichen die Gefechtsübung einer Einheit des 18. Infanterieregiments Münster auf dem Truppenübungsplatz Deilinghofen-Apricke und ging in einer Gefechtspause selbst mit in Stellung: „Bald war das Angriffsfeld ein anderes geworden. Soldaten lagen in breiter Linie. Mit ihnen sah man jetzt unsere Jungen zum Angriff vorgehen. Braun und grau erstürmten gemeinsam die feindliche Stellung.“ Dann wurden den Jungen zwei der Panzerabwehrgeschütze gezeigt. Ein Hauptmann erläuterte Leistung und Aufgabe der neuen Waffe und ließ „ein Geschütz in Stellung fahren.“ Kurz darauf statteten 25 Soldaten des Regiments den „Pimpfen“ im Lager Henkhausen einen Gegenbesuch ab, um sich ihrerseits ein Bild vom Lagerleben der Jungen zu machen. Im folgenden Jahr besuchten sämtliche Teilnehmer des Lagers in Evingsen eine Geländeübung der Wehrmacht. „Ein Unteroffizier führt jedes Mal 25 Hitlerjungen zu den Spähtrupps, den Schützenstellungen, dem Maschinengewehrzug und den Minenwerfern. Alles wird kritisch betrachtet.“ Und 1937 waren „Pimpfe“ des Jungvolklagers am Sorpesee zu Gast bei einer Geländeübung der Wehrmacht und übernahmen dabei zeitweise die Rolle des Angreifers. Disziplinierung, Dienst und Drill im Lager sowie der direkte Kontakt zu leibhaftigen Wehrmachtssoldaten dürften einen nachhaltigen Beitrag zur frühzeitigen Militarisierung der Jugend geleistet haben.

Mit Beginn des Krieges wurde der HJ-Großfahrtenbetrieb stark eingeschränkt. Ab 1940 durften nur noch Zeltlager und Fahrten mit höchstens 100 Teilnehmern im eigenen Gebiet und ohne Benutzung der Eisenbahn durchgeführt werden. In diesem Rahmen führte die Hitlerjugend des Banns Iserlohn 1940 ein Sommerlager in Schmallenberg durch, während das Jungvolk nach Völlinghausen bei Erwitte fuhr. Aber bereits im folgenden Jahr konnten nur noch Führerlager abgehalten werden, während der Fahrtenbetrieb alten Stils endgültig eingestellt werden musste. An die Stelle der Erholungslager traten im Rahmen des Kriegseinsatzes der Jugend auch für die Mendener Jugendlichen nun die Einsatz- und Wehrertüchtigungslager.

zuletzt bearbeitet am: 19.04.2016