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Verfolgung

Auch Kinder und Jugendliche sahen sich zwischen 1933 und 1945 zahlreichen Arten von Verfolgung ausgesetzt. Zumeist als Folge der NS-Rassenideologie, aber oft auch nur, weil ihre Eltern politisch „auffällig“ geworden waren, gerieten sie in die Mühlen des rücksichtslosen NS-Verfolgungsapparates. Heranwachsende wurden Opfer von Zwangssterilisation und „Euthanasie“. Aber auch die seitens des NS-Regimes angestrebte „Aufartung“ ließ viele Kinder und Jugendliche während des Krieges in den besetzten Gebieten zu Opfern des NS-Rassenwahns werden.

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Aus der „Kulturfilm-Abteilung“ – NS- Rassenpolitik im Film

"Rassenhygiene" und ihre Auswirkungen nach 1933

Die Eugenik, d.h. die Anwendung humangenetischer Erkenntnisse auf die Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik, war keine Erfindung der Nationalsozialisten, sondern hatte ihre Ursprünge bereits im 19. Jahrhundert. [1] Die Bedeutungszunahme der „Rassenhygiene", wie sie in Deutschland auch bezeichnet wurde, war untrennbar verknüpft mit jener der Naturwissenschaften sowie der Industrialisierung und den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Dabei wurde insbesondere das schnell wachsende großstädtische Proletariat mit seiner bürgerlichen Normvorstellungen widersprechenden Lebensweise zunehmend als bedrohlich empfunden. Hier, so die Vorstellung, wo Kriminalität, Prostitution und Vernachlässigung ihre Brutstätten hätten, sei auch ein unkontrolliertes Wachstum alles „Minderwertigen" zu erwarten, dem es durch „natürliche Auslese" von leistungsstarken, „erbgesunden" Menschen mittels Wohlfahrt und Fürsorge sowie durch eine verbesserte medizinische Versorgung entgegenzuwirken gelte. Das „minderwertige" Erbgut wurde eindeutig in der sozialen Unterschicht ausgemacht.

Den zu erwartenden Folgen solch gesellschaftlicher Degeneration und der damit verknüpften Zerstörung des „Volkskörpers" gedachte man mit Hilfe der Eugenik, d.h. einer staatlich gesteuerten und kontrollierten Fortpflanzung zu begegnen. Im Rahmen einer „positiven Eugenik" sollte dabei „hochwertiger Nachwuchs" sichergestellt werden, um gleichzeitig im Zuge der „negativen Eugenik" die Vermehrung „minderwertigen" Erbgutes durch Eheverbote, Asylierungen und Sterilisationen zu verhindern. Dabei wurde von den Eugenik-Befürwortern gern der finanzielle Aspekt ins Spiel gebracht, war die Unterbringung und Versorgung vor allem der geistig Behinderten doch mit erheblichen Kosten verbunden. So nahm gerade in wirtschaftlichen Notzeiten die Rufe nach schärferer Anwendung „rassenhygienischer" Maßnahmen stets an Zahl und Lautstärke zu.

Gegenläufig gestaltete sich die Entwicklung in Zeiten wirtschaftlicher Erholung, so dass die Eugenik in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik zwischen 1924 und 1929 an Zugkraft verlor und in den Hintergrund trat. Ebenso folgerichtig führte die Wirtschaftskrise mit ihren gravierenden Folgen ab Ende 1929 dann zu einer neuen Welle rassenhygienischer Forderungen. So sollte das Gesundheitswesen finanziell entlastet und eine individualistische Gesundheitsfürsorge durch eine am „Volkswohl" orientierte Fürsorge zurückgedrängt werden.

Auch in der katholischen Kirche gab es zu Weimarer Zeiten eine lebhafte Diskussion über Fragen der Eugenik, die erst 1933 weitgehend verebbte und dann vom Kampf der katholischen Kirche gegen das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" überlagert wurde. Da sich die deutschen Bischöfe letztlich aber nicht einigen konnten, inwieweit dem Sterilisationsgesetz Widerstand entgegenzusetzen sei, blieb die kirchliche Position ambivalent. Daher stellte die katholische Amtskirche letztlich nicht das „anti-eugenische Bollwerk" dar, als das sie lange Zeit betrachtet wurde. Vielmehr teilte man durchaus das Bestreben der neuen Reichsregierung zur Schaffung eines „gesunden Volkes", verwarf aber die hierfür angewandten „schlechten Mittel für einen guten Zweck".

Nach der Machtübernahme konnte das NS-Regime seinen radikalen Rassismus schnell und ungehemmt in die Tat umzusetzen. Den Beginn machte Mitte Juli 1933 eben jenes „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", auf dessen Grundlage etwa 400.000 Frauen und Männer, Mädchen und Jungen zwangsweise unfruchtbar gemacht wurden. Diese Zwangssterilisationen, die mit Kriegsbeginn weitgehend eingestellt wurden, stellten jedoch erst eine Art „Vorgeschichte" für die massenhafte Tötung behinderter Menschen dar, die dann während des Krieges unter dem Begriff der „Euthanasie" und in verschiedenen Stufen und Ausprägungen mindestens 160.000 Menschen das Leben kostete.

Fußnoten

[1] Die Darstellung folgt Endres, Zwangssterilisation, S. 16 und 28ff.

zuletzt bearbeitet am: 19.04.2016