Jüdische Jugend in Essen

Anfang 1933 lebten etwa 5000 Jüdinnen und Juden in Essen. Im Jahr 1895 waren es noch knapp 1.500 Personen gewesen, deren Anzahl sich durch den Zuzug deutscher Juden aus ländlichen Gebieten in die Stadt schnell vergrößert hattee. Ansonsten waren auch zahlreiche jüdische Familien aus Osteuropa nach Essen eingewandert.

Neben den alteingesessenen Essener Familien mit deutsch-jüdischer Tradition wie die Bankiersfamilien Beer, Kosman oder Hirschland, die Familien Drucker oder Grundmann entwickelte sich eine breite jüdische Mittelschicht aus selbstständigen Händlern und Freiberuflern.

Es ging jedoch keinesfalls allen jüdischen Familien finanziell gut. Viele Jüdinnen und Juden, darunter vor allem die erst wenige Jahre zuvor zugezogenen ostjüdischen Familien, lebten in bitterer Armut im proletarischen Segeroth oder in der Essener Altstadt.[1]

In den Jahren 1912/13 und 1916 waren im Deutschen Reich die ersten Gruppen des „Jüdischen Wanderbundes Blau-Weiß" und der „Kameraden - Deutsch-Jüdischer Wanderbund" entstanden. Kurze Zeit später schlossen sich auch in Essen erste Gruppen der beiden Bünde zusammen. Bereits im Jahr 1919 entstand eine Gruppe des „Blau-Weiß". Zwei Jahre später traten die Essener „Kameraden" an die Öffentlichkeit. Das Wander- und Fahrtenleben vereinte beide Bünde, von denen der eine zionistisch („Blau-Weiß") und der andere deutsch-jüdisch („Kameraden") orientiert war.[2]

Gegen Ende der 1920er Jahre lösten sich sowohl der „Jüdische Wanderbund Blau-Weiß" als auch die „Kameraden" auf. Während Teil der „Kameraden" zum „Schwarzen Haufen" übertrat, engagierten sich andere Jugendliche in einem der zahlreichen jüdischen Jugendbünde der 1920er Jahre. Deren breites Spektrum weltanschaulicher Ausrichtung reichte von rein religiösen Bünden, zionistischen oder deutsch-jüdischen, sozialistischen bis hin zu kommunistisch geprägten Organisationen.

Für die 1920er und 1930er Jahre sind bislang Mitgliedschaften Essener Jugendlicher in insgesamt zehn jüdischen Jugendbünden nachgewiesen: „Brit Hanoar/Hazioni", „Bund Deutsch-Jüdischer Jugend (BDJJ)", „Habonim (Bauleute)", „Hakoah", „Haschomer Hazair", „Hechaluz", „Jüdischer Pfadfinderbund Deutschlands (IPD)", „Kadimah", „Makkabi Hazair" und dem „Ring - Bund der jüdischen Jugend".[3]

1932 wurde das jüdische Jugendheim in Essen eröffnet. Eine Turnhalle, Theater- und Konzertsäle boten ebenso wie die Gruppenräume und Lehrwerkstätten vielfältige Nutzungsmöglichkeiten. Das Haus entwickelte sich schnell zu einem kulturellen Treffpunkt für die gesamte jüdische Gemeinde in Essen. Die jüdischen Jugendverbände aller politischen und religiösen Richtungen nutzen fortan das Heim als Treffpunkt und Veranstaltungsort. Nach der NS-Machtübernahme besetzte die Essener „Hitler-Jugend" das Haus. Im Oktober 1934 wurde es an die jüdische Gemeinde zurückgegeben.

Die jüdischen Jugendverbände verzeichneten während der NS-Zeit einen breiten Zulauf. Der „Bund Deutsch-Jüdischer Jugend" (BDJJ) hatte sich 1933 als Zusammenschluss der assimilierten Jugendbünde gegründet und hielt auch in essen auf seinen Fahrten und den Treffen im Jugendheim die deutsch-jüdische Tradition aufrecht. Neben der Vorbereitung auf die Auswanderung gab es ein umfangreiches Programm mit geselligen Heimabenden, Fahrten und Wanderungen.

Im Jahr 1936 wurden sämtliche nicht-zionistischen Bünde im Deutschen Reich verboten. Während des Novemberpogroms 1938 wurde das Essener Jugendheim zerstört. Mit dem Verbot der noch bestehenden zionistischen Bünde fand die organisierte jüdische Jugend im selben Jahr auch in essen ihr Ende.

Während der NS-Zeit gab es in Essen eine jüdische Volksschule. Weiterführende jüdische Schulen bestanden nicht. Zum Erwerb des Abiturs wechselten die Schülerinnen und Schüler zumeist auf staatliche Schulen, da mit der Jawne in Köln für das gesamte Rheinland nur eine höhere jüdische Schule existierte.

Mit der NS-Machtübernahme verschlechterten sich die schulischen Bedingungen für jüdische Kinder schnell und nachhaltig. Der Handlungsspielraum, die Ausstattung und die Unterrichtsmöglichkeiten der von rund 400 Kindern besuchten jüdischen Volksschule wurden zunehmend eingeschränkt. Nach dem Novemberpogrom musste sie ihren Betrieb zunächst einstellen. Viele Familien flüchteten in den folgenden Monaten aus Deutschland, so dass bei der Wiederaufnahme des Schulbetriebes im Frühjahr 1939 nur noch rund 80 Schülerinnen und Schüler übrig geblieben waren. Mit der systematischen Internierung der jüdischen Essener Bevölkerung im Barackenlager Holbeckshof wurde auch der Schulbetrieb für die wenigen noch verbliebenen Schülerinnen und Schüler dorthin verlegt, bis am 30. Juni 1942 schließlich die Beschulung sämtlicher jüdischer Kinder im Deutschen Reich verboten wurde.

Für viele jüdische Jugendliche - vor allem natürlich für die in den zionistischen Jugendbünden organisierten Jungen und Mädchen - war die Emigration ein zentrales Ziel. Im Gegensatz zu ihren Eltern und Großeltern waren sie wesentlich eher bereit, ihre Heimat zu verlassen. Jenen, die das nicht wollten oder konnten, stand ein schlimmes Schicksal bevor. Zunächst kam es auch in Essen zur Internierung der Zurückgebliebenen. Seit 1939 wurden im Stadtgebiet sogenannte „Judenhäuser" eingerichtet, in denen mehrere Familien auf engstem Raum zusammen leben mussten. Die Männer wurden vielfach zur Zwangsarbeit in der Stadt eingesetzt. Ab Frühjahr 1942 wurden dann nahezu sämtliche Jüdinnen und Juden aus Essen in dem Barackenlager „Am Holbeckshof" interniert.

Bereits im Oktober 1941 hatten die Deportationen in die Gettos, die Konzentrations- und Vernichtungslager begonnen. Bis 1943 wurden in insgesamt neun Transporten nahezu sämtliche Jüdinnen und Juden aus Essen deportiert. Der Großteil von ihnen wurde in den Konzentrations- und Vernichtungslagern umgebracht.

Fußnoten

[1] Vgl. zu der sozialen Zusammensetzung der jüdischen Bevölkerung in Essen: von Schmettow, Jüdische Kindheit, S. 48 ff. sowie Klein-Reesink, Jüdische Jugendbewegung, Kap. 1, nicht. pag. Die Bevölkerungszahl von 5.000 Jüdinnen und Juden basiert auf: Miller-Kipp, Zwischen Kaiserbild und Palästinakarte, S. 116. Bei von Schmettow und Klein-Reesink findet sich die Angabe von 4.500 jüdischen Personen für das Jahr 193, bei der aber schon die Emigration vieler Menschen in den ersten Monaten der NS-Herrschaft eingerechnet ist.
[2] Vgl. zu dem „Jüdischen Wanderbund Blau-Weiß und den „Kameraden - Deutsch-Jüdischer Wanderbund" Klein-Reesink, Jüdische Jugendbewegung, Kap. 2 und 3, nicht pag. sowie Huber, Jüdische Kindheit und Jugend, S. 97 ff.
[3] Vgl. von Schmettow, Jüdische Kindheit, S. 215 f.