Alfred Rosenberg und sein Mythus des 20. Jahrhunderts

Der 1892 in Reval (heute: Tallinn) geborene Alfred Rosenberg kam Ende 1918 nach Deutschland, wo sich der glühende Antisemit der NS-Bewegung anschloss, ab 1921 beim Parteiorgan Völkischer Beobachter arbeitete und 1923 am gescheiterten „Hitler-Putsch“ teilnahm. 1927 von Hitler mit der Gründung eines NS-Kulturverbandes beauftragt, schuf er den „Kampfbund für deutsche Kultur“, der alles Moderne – etwa die Architektur des „Bauhaus“, den Expressionismus oder die Zwölftonmusik – als „Kulturbolschewismus“ bekämpfte.

1930 wurde Rosenberg für die NSDAP Mitglied des Reichstags, nach der NS-Machtübernahme „Reichsleiter“ und Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP. Im Zweiten Weltkrieg unternahm er mit seinem Einsatzstab kulturelle Beutezüge in ganz Europa. Als Leiter des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete verfolgte Rosenberg dort das Projekt der Germanisierung bei gleichzeitiger systematischer Vernichtung der Juden. Er wurde im „Nürnberger Prozess“ 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Von Beginn an galt Rosenberg auch als „Chefideologe“ der NSDAP und wurde von Hitler 1934 zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ ernannt. Hierzu hatte er sich insbesondere durch sein bereits 1930 erschienenes, auf den Rassetheorien des 19. Jahrhunderts aufbauendes und bis 1942 mehr als eine Millionen Mal verkauftes Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts qualifiziert, in dem er die Überlegenheit der „arischen“ als der „Herrenrasse“ behauptete.

Zugleich fabulierte Rosenberg darin von einer neuen „Religion des Blutes“, die das von „jüdischen Einflüssen“ durchdrungene Christentum ersetzen müsse. Er propagierte eine „Metaphysik der Rasse“ mit einem ihr innewohnenden „kollektiven Willen“ und forderte die rigorose Unterdrückung von jeglichem Individualismus. Im Gegensatz zur jüdischen Religion, die Rosenberg als teuflisch deklarierte, sprach er den „Ariern“ etwas „Göttliches“ zu. Jesus Christus mutierte bei ihm zu einer „Verkörperung der nordischen Rassenseele“, weshalb er auch kein Jude gewesen sein könne.

Außerdem vertrat Rosenberg in Anlehnung an die Naturphilosophie von Arthur Schopenhauer die Meinung, dass der „Wille“ keiner Moral untergeordnet sei. Wenn ein starker Führer Befehle gebe, könnten diese in jedem Fall ausgeführt werden. Damit ebnete er den Weg zu einem skrupellosen Handeln, um so andere Völker im Namen der NS-Ideologie zu unterdrücken und eine „reine Rasse“ zu züchten.

Ende 1934 wurde seitens der katholischen Kirche zunächst in der Diözese Münster die anonym erschienene Schrift „Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts“ als amtliche Beilage zum kirchlichen Amtsblatt veröffentlicht, die sich kritisch mit Rosenberg auseinandersetzte. In seinem Hirtenbrief zu Ostern 1935 bezog dann der Münsteraner Bischof von Galen in scharfem Ton Stellung gegen die Thesen Rosenbergs und sprach dabei von „Götzendienst“ und einem „Rückfall in die Nacht des Heidentums“.