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Quellenkunde

Was sind Quellen? Wie geht man professionell-kritisch mit ihnen um? Diese Fragen werden in der „Kleinen Quellenkunde“ ebenso beantwortet wie umfassend über einzelne Quellengattungen, ihre jeweiligen Stärken und Schwächen sowie ihre Bedeutung für die historische Forschung informiert wird. Ob Zeitungen, Tagebücher, Briefe, Film oder Oral History – all diese und noch weitaus mehr Arten historischer Quellen werden hier vorgestellt und diskutiert.

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Was sind Quellen?

Jede intensivere Beschäftigung mit Geschichte beginnt mit der Befragung von Quellen. Was aber ist hierunter zu verstehen? Nach einer Definition Hans-Jürgen Pandel sind Quellen „Objektivationen und Materialisierungen vergangenen menschlichen Handelns und Leidens“, die in der Vergangenheit entstanden sind und einer ihr nachfolgenden Gegenwart vor liegen“.[1]

Als „Quelle“ gilt bei der Beschäftigung mit Geschichte daher alles, was zur Vergangenheit befragt werden und über sie Auskunft geben kann. [2] Das können Texte, Gegenstände oder Tatsachen sein, aus denen Kenntnis über Vergangenes gewonnen werden können.

Zunächst einmal unterscheidet man zwischen Primär- und Sekundärquellen, wobei die jeweilige Zuordnung auf die „Nähe“ der Quelle zum jeweils interessierenden historischen Ereignis oder Zustand abzielt. Hierzu ein bekanntes Beispiel: Johann W. von Goethe führte während seiner ausgedehnten Italienreise in den Jahren zwischen 1786 und 1788 ein Tagebuch. Rund 30 Jahre später veröffentlichte er 1816 dann ein literarisch durchkomponiertes Werk, das sich ebenfalls auf diese Italienfahrt bezog – die berühmte „Italienische Reise“. Werden die Erlebnisse und die Reiseroute Goethes zum Forschungsgegenstand eines Historikers, handelt es sich bei dem unmittelbar auf der Reise angefertigten Tagebuch von 1786/88 um eine Primär-, bei dem viel später in Weimar gestalteten Text dagegen um eine Sekundärquelle.

Als Regel gilt, dass zwar nicht in allen, aber doch in den meisten Fällen der Aussagewert einer Primärquelle zu einem historischen Ereignis oder Zustand höher einzuschätzen ist als der einer Sekundärquelle. Meist wird man also Quellen bevorzugen, die dem zu untersuchenden Ereignis möglichst „nahe“ sind. Man kann den Unterschied zwischen beiden Kategorien trotz letztlich fehlender letzter Trennschräfe vielleicht so definieren: "Das primäre Material, d. h. die ungeformte Überlieferung, ist ein Teil des aktuellen historischen Geschehens; das sekundäre hingegen bestehend aus der geformten Überlieferung, spiegelt eben jenes Geschehen aus einer gewissen zeitlichen Distanz heraus wider."[3]

Dabei ist eine Quelle zunächst nicht als eine Objektart wie „Tier“ oder „Auto“ zu verstehen, sondern sie beschreibt eher eine Funktion, nämlich die, dass ein vom Historiker zur „Quelle“ ernannter Gegenstand (Dokument, Zeitung, Brief, Tagebuch, Foto, Radiobeitrag, Film u.a.m.) auf seinen Informationsgehalt zu Vergangenem befragt werden kann. Hieraus ergibt sich nicht nur ein sehr weiter Quellenbegriff, sondern auch die Folgerung, dass es von den jeweils gestellten Fragen abhängt, ob und welche Dinge zu den Quellen einer historischen Arbeit werden. Werbesendungen, Kinokarten, Flugtickets, Kochbücher, Verkehrsschilder: Wir alle sind tagtäglich von Unmassen an potenziellen Quellen umgeben.

Grob lassen sich folgende Quellenarten unterscheiden:

Texte: Jegliche Form der schriftlichen Überlieferung aus der Vergangenheit kann der Geschichtswissenschaft grundsätzlich als Quelle dienen, ganz gleich, ob es sich dabei um erzählende Literatur (Romane, Schwänke, Theaterstücke, Sagen, Mythen etc.), wissenschaftliche Texte, Schriftgut der Verwaltung (Akten aller Art, Verträge, Gesetzestexte, Rechnungsbücher, Gerichts- und andere Protokolle etc.), persönliche Aufzeichnungen (Tagebücher, Briefe, Notizen etc.), Inschriften oder ähnliches handelt. Zu unterscheiden, aber in Relation zueinander zu setzen sind dabei der Inhalt des Textes und seine Form (Sprache, Schrift, Gestaltung, Medium etc.).

Gegenstände: Jedes Objekt, das sich aus früheren Zeiten auf die eine oder andere Weise erhalten hat, kann Auskunft über damalige Lebens- und Produktionsbedingungen geben, auf den Grad der Kunstfertigkeit seines Herstellers sowie Geschmack und Moden verweisen, sowie viele weitere Erkenntnisse liefern, wenn die entsprechenden Untersuchungen möglich sind. Der Bereich der Gegenstände umfasst dabei ein extrem breites Spektrum, von prähistorischen Lederresten oder Feuersteinabschlägen über sterbliche Überreste, weggeworfene Alltagsgegenstände und Grabbeigaben bis hin zu Bauwerken. Der historische Erkenntniswert ist dabei unabhängig vom künstlerischen oder materiellen Wert des Objekts.

Tatsachen: Der Begriff der „Tatsachen“ als historische Quellen ist etwas schwerer zu fassen als „Texte“ und „Gegenstände“. Gerade dieser Aspekt ist jedoch ungemein wichtig und wird gerne übersehen, denn er erinnert uns daran, dass praktisch alles, was uns heute umgibt, mit Geschichte behaftet und historisch aus bestimmten Bedingungen und Umständen heraus erwachsen ist. Gemeint sind also etwa gesellschaftliche oder politische Gegebenheiten wie der Föderalismus in Deutschland, der Zentralismus in England und Frankreich, die europäischen Sprach-, Religions- und Landesgrenzen, die unterschiedlichen Nationalsportarten oder Essgewohnheiten, um nur einige Beispiele zu nennen.

Der Wert und auch der eventuelle „Mehrwert“ einer Quelle zeigt sich beispielsweise bei der Untersuchung von Ratsprotokollen. Sie können in einem ersten Schritt als reine Ergebnisprotokolle gelesen werden. Als solche erteilen sie weitgehend objektiv Auskunft über die in einem Rat gefällten Beschlüsse. Sie können aber auch – abhängig von Struktur, Inhalt und Ausführlichkeit des Protokolltextes - als literarische Gattung und Verlaufsprotokolle untersucht werden. Dabei erzählen diese Quellen indirekt häufig auch über das Zustandekommen von Beschlüssen bzw. über die Sitzungs- und Kommunikationskultur im Rat. Dieser zusätzliche Informationsgehalt ist ein Mehrwert, der über die ursprüngliche Funktion als Beschlussprotokoll hinausgeht. Um diese Zusatzinformationen zu gewinnen, sollten möglichst noch weitere Quellensorten zum gleichen Anlass bzw. Thema herangezogen werden, um sich einem historischen Phänomen aus der vernetzten Perspektive verschiedener Quellentypen zu nähern.

Es ist natürlich nicht gesichert, dass dieser breitere Zugriff stets gelingt, denn es ist längst nicht alles quellenmäßig greifbar, was der Historiker erfahren möchte. Aber selbst die Erkenntnis, dass über bestimmte Phänomene keine quellenbasierten Aussagen möglich sind, ist eine Erkenntnis, wenngleich eine negative. Sie ist aber für weitere Forschungen durchaus wertvoll, denn aus ihr resultiert, dass andere Fragen gestellt und alternative Forschungswege beschritten werden müssen.

Neben diesen allgemeinen Aussagen über Quellen gibt es Versuche, Quellen zu kategorisieren. So werden Quellen vor allem daran unterschieden, ob sie absichtlich für die Nachwelt aufbereitet wurden (dann werden sie als „willkürlich“ überlieferte „Traditionen“ bezeichnet), oder ob sie unabsichtlich auf spätere Zeiten gekommen sind (dann „unwillkürlich“ erhaltene „Überreste“ genannt). Eine weitere Unterscheidung sucht danach, ob die Quelle direkte oder indirekte Informationen zum jeweiligen Untersuchungsgegenstand beinhaltet.

Dabei gilt es aber mit Blick auf die dominierenden schriftlichen Quellen einiges zu bedenken. Sie sind in der Gegenwart vorhandene Texte einer vergangenen Realität, aus denen Historikerinnen und Historiker und entsprechend auch Schülerinnen und Schüler Wissen über die Vergangenheit erschließen und mit deren Hilfe (bestenfalls) multiperspektivisch historisch erzählt werden kann. Weder eine Quelle an sich noch der Darstellungstext im Allgemeinen können dabei als gesichertes Wissen und vermeintlich authentische Erzählung eingestuft werden. Beide sind und bleiben parteiische Bestandteile ihres jeweiligen historisch-politisch-gesellschaftlichen Kontexts, sie sind Standort- und zeitgebundene Narrative. Daher ist letztlich jeder Versuch, ein absolutes Quellenklassifikationsschema zu schaffen, zum Scheitern verurteilt.[4]

Jede Quelle ist auf ihre Weise einzigartig und erfordert die passenden Fragestellungen, Untersuchungen und kritische Betrachtungen. Einen Blick für die hieraus resultierenden Probleme zu gewinnen, um daran anschließend die entsprechenden Methoden, Verfahren, Konventionen im Umgang mit Quellen aus verschiedenen Zeiten und Räumen zu erlernen und anzuwenden ist ein wesentlicher Bestandteil eines geschichtswissenschaftlichen Studiums. Es schadet aber sicherlich nicht, sich auch schon zuvor – gleichgültig ob für schulische Zwecke oder aus purem Interesse – mit solchen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Hier sind wichtige dafür notwendige Informationen zusammengefasst und für eine direkte Nutzung im angegliederten „Digitalen Archiv“ aufbereitet.[5]

Fußnoten

[1] Zitiert nach Brüning, Christina: Die Verwendung von Textquellen im Geschichtsunterricht; in: Barricelle, Michele/Lücke, Martin (Hgg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, Bd. 2, Schwalbach 2012, S. 92-107, hier . 94

[2] Die Darstellung folgt dem Beitrag von Fabio Crivellari (Universität Konstanz); zu finden unter: http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/Geschichte/Tutorium/Themenkomplexe/Quellen/Was_sind_Quellen_/was_sind_quellen_.html und zudem http://blog.histofakt.de/?p=112 (v.a. die Unterscheidung der Quellen nach Teten, Gegenständen und Tatsachen)

[3] Vgl. http://www.uni-regensburg.de/philosophie-kunst-geschichte-gesellschaft/neuere-geschichte/medien/koenig/quellenie.pdf [8.11.2015] und Klaus Meister: Einführung in die Interpretation historischer Quellen - Schwerpunkt Antike, Band 1: Griechenland, Paderborn, 1997, bS. 17ff. (Zitat)

[5] In der Zeitgeschichte stehen wir vor dem Problem, dass einerseits die Quellenmenge explosionsartig zunimmt, aber andererseits gleichzeitig der Zugriff auf sie nicht mehr von Dauer sein muss. Besonders Internetquellen, deren Menge nicht mehr überschaubar ist, sind mit den bisher geltenden Klassifikationsmodi (etwa schriftlich versus nicht schriftlich etc.) nicht eindeutig klassifizierbar, da begrenzte Speichermöglichkeiten und andere technische Gegebenheiten die ständige und langfristige Verfügbarkeit dieser Quellen nicht gewährleisten. Blogeintrage und andere Kommunikationsformate im Internet weisen eine ganz neue, sehr flüchtige Form von Schriftlichkeit auf, die mit den Flugblättern der Frühen Neuzeit kaum noch etwas gemein haben. Vor dem Hintergrund dieser Gegenwartserfahrung von Lernenden sollte im Geschichtsunterricht ein neues Nachdenken über die Flüchtigkeit auf der einen und die Fixierbarkeit von Texten auf der anderen Seite einsetzen. Vielleicht werden kommende Generationen von Historikerinnen und Historikern unsere Gegenwart ebenso als nicht schriftliche Epoche bewerten wie wir das Frühmittelalter.

zuletzt bearbeitet am: 17.04.2016