Bericht aus Haigerloch
Der Bürgermeister von Haigerloch erstattet am 4. Oktober 1937 einen Bericht über die „Veranstaltung des jüdischen Kulturbundes“ tags zuvor:
Am 3.10.1937 ließ mir die Ortspolizeibehörde in Haigerloch durch den Amtsgehilfen mündlich mitteilen, daß am Nachmittag um 16 Uhr eine Veranstaltung des jüd. Kulturbundes in der Gastwirtschaft zur Rose in Haigerloch stattfinde und ließ mich ersuchen, diese Veranstaltung zu überwachen.
Am gleichen Tage (3.10.) war ich von 10 1/2 Uhr bis 11 3/4 Uhr im Standort. Gegen 11 1/2 Uhr schickte meine Frau mir meine Tochter nach und ließ mir ausrichten, ich möge schnell nach Hause kommen, weil ein wichtiges Ferngespräch eingegangen sei. Als ich gleich darauf zu Hause ankam, teilte mir meine Frau mit, daß der Sturmbannführer der SA Hellstern aus Nordstetten angerufen und gefragt habe, ob sie wisse was heute in Haigerloch los sei. Als sie hierauf geantwortet habe, daß heute das Erntedankfest gefeiert werde, habe er geantwortet, daß er das nicht meine, sondern die Judenversammlung. Diese Versammlung werde heute nachmittag auffliegen. Ich möge ihn (Hellstern) aber, wenn ich nach Hause komme, noch einmal fernmündlich sprechen.
Da ich aus dieser Ausführung, insbesondere aus dem Ausdruck ''auffliegen'' schloß, daß die jüdische Veranstaltung gestört werden solle, habe ich die Gend.Abteilung sofort fernmündlich verständigt und habe mich im Anschluß daran mit dem Sturmbannführer Hellstern fernmündlich ins Benehmen gesetzt. Hellstern fragte mich, wie es komme, daß eine solche Veranstaltung ausgerechnet am Erntedankfest stattfinde. Herauf habe ich ihm geantwortet, daß die Veranstaltung m.W. nicht von der Ortspolizeibehörde, sondern von dem Sonderbeauftragten des Reichsministers f. Volksaufklärung und Propaganda genehmigt worden sei. Darauf erwiderte Hellstern, daß ihm das bekannt sei; da man aber diesen Herren da oben heute nachmittag einmal zeigen werde, daß Nationalsozialismus etwas sei, was aus dem Volke komme und mit dem Volksempfinden zusammenhänge und daß eine derartige Veranstaltung nicht ausgerechnet für das Erntedankfest genehmigt werden brauche.
Hierauf wollte Hellstern von mir wissen, wann ich eine Versammlung auflösen dürfe. Ich habe ihm geantwortet, daß eine Auflösung einer derartigen Veranstaltung in erster Linie dann in Frage komme, wenn sie staatsfeindlichen Charakter annehme. Dann fragte er weiter, was ich denn unternehmen würde, wenn sich die Bevölkerung gegen diese Veranstaltung stellen würde. Darauf sagte ich Hellstern, daß die Veranstaltung mit Rücksicht darauf, daß sie von maßgebender höchster Stelle genehmigt worden sei, sogar zu schützen sei.
Aus den Ausführungen des Sturmbannführers Hellstern mußte ich schließen, daß tatsächlich beabsichtigt war, die Veranstaltung des jüd. Kulturbundes zu stören. Diese meine Auffassung habe ich dem Abteilungskommandanten in einem weiteren Ferngespräch zur Kenntnis gegeben.
Die Veranstaltung des jüd. Kulturbundes wurde von Gend. Hauptmann Rekow aus Imnau und mir abwechselnd überwacht. Wie mir gesagt wurde, sind während der Veranstaltung drei SA-Führer, unter denen sich der Reichstagsabgeordnete Stehle aus Bittelbronn befand und zwei politische Leiter in Uniform durch das jüd. Wohnviertel in Haigerloch, worin das Veranstaltungslokal liegt, gegangen.
Die Veranstaltung ist ordnungsgemäß verlaufen. Störungen sind nicht vorgekommen.