Bericht aus Rülzheim
Das Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft erstattet am 28. Oktober 1937 folgenden Bericht über den „Ausverkauf der Fa. Nachmann in Rülzheim“:
Die vom Bezirksamt Germersheim und der Pfalz erholten Akten ergeben zusammenfassend folgendes Bild der Vorfälle anläßlich des Ausverkaufs der Fa. Nachmann in Rülzheim:
Die jüdische Firma Nachmann meldete mit Schreiben vom 16. September 1937 an das Bezirksamt Germersheim für die Zeit vom 30. September bis 30.11.1937 einen Totalausverkauf wegen vollständiger Aufgabe des Geschäftes an. Das Bezirksamt genehmigte den Ausverkauf nach Anhörung der zuständigen Industrie- und Handelskammer mit Verfügung vom 24. September 1937.
Infolge außergewöhnlicher Reklame fanden sich bereits am Nachmittag des 30. September 1937 sehr viele Kunden im Geschäft der Fa. Nachmann ein, die zu den herabgesetzten Preisen einkaufen wollten. Noch um 19 Uhr - Ladenschlußzeit stand das Geschäft voll von Kunden (etwa 50 Personen). Zu Zusammenstößen mit der Bevölkerung kam es an diesem Tage nicht, jedoch betrat um 19 Uhr der HJ -Führer Schönmeier den Laden und forderte die darin befindlichen Personen auf, das Geschäft sofort zu verlassen. Dieser Aufforderung leisteten alle Folge.
An den folgenden 2 Tagen (Freitag 1. und Samstag 2.10.37) hielt sich ein SS -Mann vor dem Geschäft auf der Straße auf, um den großen Zustrom gewissenloser Käufer einzudämmen. Die Juden von Rülzheim nahmen ihrerseits gleichfalls vor dem Geschäft Aufstellung und lachten abseitsstehend höhnisch, weil ungeachtet des SS-Mannes Leute in Scharen das Geschäft betraten und es mit großen Paketen wieder verließen. Die Erregung der Bevölkerung wuchs derart, daß sich die Gendarmerie schließlich am 3. Tag genötigt sah, dem Geschäftsführer zur Schließung des Geschäftes zu veranlassen. Zu Tätlichkeiten oder einem Eindringen der Bevölkerung in die Geschäftsräume kam es nicht.
Das Bezirksamt Germersheim ordnete hierauf mit Verfügung vom 13. Oktober 1937 gem. Art. 102 AG zur StPO an, daß der Totalausverkauf des Geschäftes Nachmann bis auf weiteres polizeilich geschlossen werde. Außer durch die Sorge für die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung sah sich das Bezirksamt auch noch durch die Tatsache zu dieser Verfügung veranlaßt, daß in mehreren Gemeinden des Bezirks die Maul- und Klauenseuche herrscht und der Ausverkauf Nachmann, der hauptsächlich von Kunden aus bisher nicht verseuchten Gemeinden besucht wurde, die Gefahr der Verschleppung der Seuche aus dem verseuchten Rülzheim außerordentlich vermehren würde.
Wie die Regierung der Pfalz in ihrem Bericht vom 16. Oktober 1937 mitteilt, besteht sowohl die außerordentliche Erregung der Bevölkerung über das würdelose Verhalten der zahlreichen Kunden des jüdischen Geschäftes und über das herausfordernde Verhalten der Juden selbst als auch die Gefahr der Verschleppung der Maul- und Klauenseuche noch fort. Die Regierung glaubt daher eine Aufhebung der Verfügung des Bezirksamtes nicht verantworten zu können.