Bericht des SD-Hauptamtes II 112
Am 20. Mai 1937 gibt das SD-Hauptamt II 112 in Berlin folgenden „Lagebericht“ für den Zeitraum 1.-15. Mai ab:
Die Lage der Juden in Deutschland hat sich in der Berichtszeit kaum verändert. Das augenblicklich noch laufende allgemeine Versammlungsverbot für jüdische Organisationen verschließt einen näheren Einblick in die politischen Gruppen des Judentums. Die Tendenz der Binnenwanderung in die Großstädte ließ sich auch für die Berichtszeit nachweisen. Das kulturelle Leben der Juden in den Synagogengemeinden ist nach wie vor stark. Die jüdische Presse in Deutschland spricht schon von einer Renaissance des jüdischen Lebens, die das Judentum aus der Gleichgültigkeit der Assimilation zu den Quellen der jüdischen Religion hinführt.
Der Eindruck, den die Auflösung des U.O.B.B. auf die Juden in Deutschland machte, läßt sich wegen des erwähnten Versammlungsverbotes noch nicht übersehen. Es steht jedoch fest, daß den Juden in Deutschland durch die Beschlagnahme [sic] der Grundstücke des U.O.B.B. zum großen Teil die Versammlungsmöglichkeiten und kulturellen Zentren genommen worden sind.
Die Abwanderung nach Palästina dürfte durch die Verfügung des Hochkommissars für Palästina, die für die Monate April bis Juli 1937 nur 770 Einwanderungszertifikate bewilligt, fast gänzlich zum Stillstand kommen.
Unter dem Eindruck des Ablaufs des Genfer Abkommens am 15.7.1937 versuchen die Juden in Oberschlesien ihren Grundbesitz zu veräußern. Diese Maßnahmen deuten darauf hin, daß ein Teil der Juden in Oberschlesien zur Ab- bzw. Auswanderung entschlossen ist.
In der Berichtszeit lösten sich in Harburg-Wilhelmsburg die Ortsgruppen des Jüdischen Centralvereins , des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten , des jüdischen Jugendbundes und die Makkabi -Sportgruppe auf, während es in Lüneburg zur Selbstauflösung der dortigen CV-Ortsgruppe kam. Die ''Jüdische Zeitung'', Breslau stellte am 30.4.37 unter staatlichem Druck ihr Erscheinen ein.
Die Umschulungslager der verschiedenen jüdisch-politischen Organisationen, haben in der Berichtszeit ihre Tätigkeit in verstärktem Maße ausgebaut.
Auch in der Berichtszeit werden Fälle gemeldet, aus denen die positive Einstellung des Katholizismus zum Judentum zu ersehen ist. So haben beispielsweise katholische Vereine getaufte Volljuden unter ihren Mitgliedern. Die Unterstützung der Juden durch die katholische Landbevölkerung wird gleichfalls immer wieder gemeldet.
Laut Verordnung des Reichserziehungsministers vom 15.4.37 sind die Juden, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, zur Promotion nicht mehr zugelassen. Diese Anordnung wird in der jüdischen Presse vorsichtig kommentiert und hat insbesondere in assimilatorisch eingestellten Kreisen große Beunruhigung hervorgerufen.
In letzter Zeit beschäftigt sich die jüdische Presse des In- und Auslandes intensiv mit der Stellung der Juden in Italien zum faschistischen Staat. Anlaß dazu bieten die neuerdings in der faschistischen Presse auftauchenden antisemitischen Artikel und das Buch des Rektor der Universität Perugia und Abgeordneten der faschistischen Kammer, Paolo Orano, mit dem Titel: ''Die Juden in Italien''. Die Polemik der italienischen Presse fordert von den italienischen Juden eine klare Einstellung zum Staat. Im Zionismus sehen diese italienischen Stimmen eine Gefahr für das römische Imperium, da der Zionismus die Geschäfte Englands in Palästina und im Nahen Osten besorge. Desgleichen wird von den Juden in Italien verlangt, daß sie alle Beziehungen zu den überstaatlichen jüdischen Organisationen, wie dem jüdischen Weltkongreß, abbrechen und sich dem italienischen Volkstum völlig assimilieren. Die Judenfrage als Rassenfrage wird dabei nicht aufgeworfen. Lediglich werden die Juden als ethnische Gemeinschaft bezeichnet, die trotz der Zerstreuung einen Staat in allen Staaten bilden.
Diese Polemiken haben auf das Weltjudentum alarmierend gewirkt. In Italien erfreuten sich die Juden bisher der offiziellen Duldung des faschistischen Staates. Das Weltjudentum glaubt nun, daß auch in Italien, dessen jüdische Bevölkerung sehr gering ist, die Judenfrage aufgerollt wird. Aus diesem Grunde hat sich bereits der Bevollmächtigte der Jewish Agency beim Völkerbund in Genf, Dr. Nahum Goldmann , zum Außenminister Graf Ciano begeben und mit ihm, wie die jüdische Presse meldet, eine längere Aussprache gehabt. Wieweit hinter dem antijüdischen Feldzug der italienischen Presse grundsätzliche Entscheidungen oder bloße außenpolitische Manöver stehen, muß abgewartet werden.
In der Zeit vom 12.5.-14.5.1937 fand in München die zweite Jahrestagung des Reichsinstituts für Geschichte des Neuen Deutschlands, Abteilung Judenfrage statt.