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Chronik und Quellen
1940
April 1940

Die Sopade berichtet

In der April-Ausgabe 1940 heißt es in den „Deutschland-Berichten“ der Sopade:

Die Judenverfolgungen

Uber die Lage der unter nationalsozialistischer Herrschaft lebenden Juden haben wir zuletzt in unserem Heft 7/1939, das heißt in unserer letzten Vorkriegsnummer, Bericht erstattet. War schon damals die Lage der Juden verzweifelt genug, so ist seither noch weit Schlimmeres geschehen. Die Judenverfolgung ist seit dem Polenfeldzug in ihr letztes, grauenvollstes Stadium getreten.

Da das deutsche Volk in seiner Mehrheit den antisemitischen Exzessen heute weniger Sympathie entgegenbringt denn je, bemühen sich die Nationalsozialisten um die Aufputschung des Judenhasses, indem sie den Juden die Schuld am Kriege zuschieben. Vor allem hat Julius Streicher nach einer kurzen Periode der Schweigsamkeit seine blutrünstige Hetze wieder aufgenommen. Der massenweise verbreitete „Stürmer“ variiert seit Kriegsbeginn in roten Balkenüberschriften, die sich auf jeder Seite wiederholen, und in den dazugehörigen seitenlangen, abscheulich illustrierten Texten unermüdlich das Thema, daß die Juden am Kriege schuld seien. Angebliche Soldatenbriefe aus Polen, die der „Stürmer“ erhalten haben will, berichteten im September und Oktober von jüdischen Greueltaten gegen die einmarschierenden deutschen Truppen, von vergifteten Brunnen und jüdischen „Meuchelmorden“ aller Art. Der Rundfunk unterstützte die Arbeit Julius Streichers durch fortgesetzte Judenhetze und Hitler selbst hat in seiner Reichstagsrede am 6. Oktober 1939 von den „jüdischen Kapitalisten und Journalisten“ gesprochen, die am Kriege schuld seien und die im Kriege besser verdienen könnten als im Frieden. Gegenwärtig ist die deutsche Presse vor allem bemüht, den demokratischen Staatsmännern des Westens eine jüdische Blutbeimischung oder zumindest jüdische Versippung nachzuweisen. Soweit wir die Wirkung der Propaganda überblicken können, macht dieses Kriegsschuldmanöver auf das deutsche Volk wenig Eindruck, und die Judenverfolgungen werden nach wie vor abgelehnt. Anders steht es freilich mit den unter nationalsozialistischer Führung aufgewachsenen Jugendlichen, die der antisemitischen Propaganda größtenteils verfallen sind und auch, wo immer sich Gelegenheit bietet, in hellen Haufen an den Ausschreitungen gegen die Juden teilnehmen.

 

1. Die Juden im Reich

Der Hauptakt des grauenvollen Dramas spielt sich auf polnischem Boden ab. Im Reich selbst, aus dem die direkten Nachrichten über das jüdische Schicksal nur spärlich fließen, sind die Hauptwaffen gegen die noch nicht verschickten Juden offenbar Hunger und Kälte. Die Juden werden bei der Zuteilung von Lebensmitteln, Kohlen und allen anderen rationierten Artikeln grundsätzlich stark benachteiligt. Darüber liegen die beiden nachstehenden Berichte vor:

Berlin: 1. Bericht: Das Schicksal der jüdischen Familien - es handelt sich in der Hauptsache nur noch um Greise und Kinder - ist sehr hart. Die Juden werden bei der Nahrungsmittelzuteilung nur spärlich bedacht. Fleisch bekommen sie selten und in sehr geringen Mengen, Fisch, Geflügel, Milch und Butter gar nicht. Aber auch die Beschaffung der einfachsten Kost wie Hülsenfrüchte und Kartoffeln macht ihnen Schwierigkeiten, weil sie an besondere Einkaufszeiten gebunden sind. Sie werden erst kurz vor Geschäftsschluß in die Läden eingelassen, wenn alles Nahrhafte und Gute weggekauft und nur noch der Abfall vorhanden ist. Die Lebensmittelkarten der Juden sind mit einem „J“ gezeichnet. Sonderrationen, die gelegentlich verteilt werden, entgehen ihnen ganz.

Wer in der kältesten Zeit überhaupt noch ein paar Kohlen im Hause hatte, war nicht sicher, ob er sie behalten durfte. Bei vielen Juden hat man die Heizvorräte einfach „beschlagnahmt“. Daß Juden keine Kleiderkarten bekommen, wißt Ihr wohl schon. Zum Ausbessern ihrer alten Sachen erhalten sie vierteljährlich ein Röllchen Nähgarn. „Jüdische“ Schuhe dürfen nicht besohlt, Wäschestücke nicht ersetzt werden. Vor allem die alten Leute haben unter der grimmigen Kälte bitter gelitten. Zum Glück finden sich doch sehr häufig mutige - fast darf man sagen todesmutige - arische Freunde, die diese Unglücklichen nicht im Stich lassen und ihnen heimlich dies oder jenes zustecken.

2. Bericht: Frau X. berichtet Fürchterliches aus der Hölle Berlin. Die Juden wissen wirklich nicht mehr, was sie tun dürfen und was nicht. Lebensmittel gibt es für Juden erst nach 12 Uhr, überall sind Schilder, daß Juden vor 12 Uhr das Betreten der Läden verboten ist. Man verhaftet Juden, die nach 8 Uhr abends auf der Straße sind. Dem ... hat man seine Kohlenvorräte einfach weggenommen. Dort ist es überhaupt grausig.

Wußten Sie, daß die Nazis am 9. November wieder Verhaftungen vorgenommen haben, besonders in Breslau, zur „Erinnerung“ an den vorjährigen Pogrom?

Die Juden, die sich sozusagen auf freiem Fuß befinden, werden kaum besser behandelt als Sträflinge. Auch darüber geben zwei Berichte nähere Einzelheiten:

Süddeutschland: Die schneeschaufelnden „Judenkolonnen“ haben hier nicht dazu beigetragen, die Stimmung zu heben. Diese ausgemergelten Gestalten könnten einen Hund jammern. Jüdische Zwangsarbeiter im Alter zwischen 16 und 60 Jahren werden jetzt überhaupt zu den schwersten Arbeiten herangezogen, zum Straßenbau, zur Entladung von Eisenbahnzügen usw. Es sind viele Intellektuelle darunter, Ärzte, Rechtsanwälte, Schriftsteller usw. Man erzählt, daß manche bei der Arbeit zusammenbrechen. Ich habe das nicht selbst gesehen, aber wie sollte es anders sein? Die Leute sind noch schlechter ernährt als der Durchschnittsdeutsche, sie reißen ihre Kleider herunter und bekommen keine neuen geliefert, auch keine Arbeitssachen. Die Entlohnung ist ganz unterschiedlich geregelt. Bei uns bekommen die Judenkolonnen wohl ein völlig unzureichendes Kantinenessen, aber keinen Barlohn. Anderwärts sollen ein paar Groschen bezahlt, aber gar keine Lebensmittel verabreicht werden. Die deutschen Behörden bemühen sich, die jüdische Auswanderung trotz des Krieges zu unterstützen, gelegentlich zu erzwingen. Aber wohin sollen die Juden auswandern? Erst nimmt man ihnen das Geld ab, und wenn dann kein anderes Land die mittellosen und zermürbten Menschen aufnehmen will, behauptet man noch, die Juden betrieben ihre Abreise nicht energisch genug, es gefalle ihnen viel zu gut in Deutschland. Das hat wirklich unlängst - wenigstens dem Sinne nach - in unserer Zeitung gestanden.

Am meisten fürchten sich die Juden vor der Verschickung ins „Judenreservat“ nach Lublin. Mancher hat schon aus Furcht vor diesem Schicksal Selbstmord begangen.

Südwestdeutschland: In . . . hat sich folgender Vorfall abgespielt. Hier war ein höherer arischer Beamter sei dreißig Jahren mit einer Jüdin verheiratet. Ihr fehlten die äußeren Merkmale ihrer Rasse so vollkommen, daß auch nach dem Tode ihres Mannes ihre Abkunft völlig verborgen blieb. Die beiden Kinder aus dieser Ehe wagten es unter Hitler, ihre halbjüdische Abstammung zu verbergen. Die Tochter war bis zuletzt städtische Bibliothekarin, während der Sohn einen gut dotierten Posten als Ingenieur bekleidete. Mutter, Tochter und Sohn haben buchstäblich keine ruhige Stunde mehr gehabt, und zitterten vor der Entdeckung, da sie sich im Sinne der nationalsozialistischen Gesetzgebung fortlaufend strafbar machten. Zu Beginn des Krieges wurde der Sohn eingezogen und ist in Polen gefallen. Bei der Feststellung der Rentenverpflichtungen für seine Frau kam alles heraus: Mutter und Schwester haben sich Ende Januar durch Gas vergiftet.

Die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden geht weiter, das heißt sie geht ihrem Ende entgegen, denn schon jetzt sind nur noch winzige Reste des jüdischen Vermögens vorhanden. Den jüdischen Wohlfahrtsinstitutionen wird das Arbeiten außerordentlich erschwert. Soweit die den jüdischen Gemeinden gehörenden Häuser noch nicht beschlagnahmt sind, gehen sie nach und nach in den Besitz des Staates und der Städte über. So wurde z. B., wie die „Leipziger Neuesten Nachrichten“ Mitte Januar meldeten, das israelitische Krankenhaus in Leipzig von der Stadt übernommen und in ein städtisches Hospital verwandelt. Die jüdischen Kranken mußten abtransportiert werden. Die jüdischen Schulgebäude in Berlin sind bereits im Oktober beschlagnahmt worden, man hat Evakuierte aus dem Rheinland darin untergebracht.

Auch aus ihren privaten Wohnungen werden die Juden entfernt, ohne daß sie eine Möglichkeit sähen, anderwärts Quartier zu finden.

Hamburg: Eine jüdische, alteingesessene Familie, Mann 66, Frau 64 Jahre alt, vermögend gewesen, besitzt seit 14 Jahren eine große Wohnung. Der Hauswirt kündigte ihnen am 1.März 1940 zum 31. März 1940, entgegen den Kontraktbestimmungen ohne Begründung. Sie können keine neue Wohnung bekommen. In der Familie wohnt seit vielen Jahren ein 77-jähriger Verwandter. Ihn trifft also das gleiche Schicksal.

Sachsen: Einer jüdischen Familie ist die Wohnung zum 1. April 1940 durch den Hauswirt ohne Angabe von Gründen gekündigt worden. Eine neue Wohnung ist nicht zu erhalten. Der Mann ist kein Jude, nur die Frau ist Jüdin. Er, ein Ausländer, bekam zur Weimarer Zeit die deutsche Staatsbürgerschaft. Das Dritte Reich hat ihn vor einigen Monaten ausgebürgert. Die Frau ist 40, der Mann 45 Jahre alt.

Wenn einige wenige Juden bisher dem Ärgsten entgehen konnten, so danken sie das dem Umstand, daß der deutsche Antisemitismus eben nicht echt, sondern von der Partei künstlich aufgezogen ist. Ein kleines Beispiel dafür gibt der folgende Bericht:

Mitteldeutschland: In einer großen Maschinenfabrik in X. arbeiteten seit langem einige jüdische Ingenieure, die ihre Stellung behalten konnten, weil sie infolge ihrer Spezialkenntnisse im Einvernehmen mit der deutschen Arbeitsfront als Angestellte anerkannt worden waren. Bei den Pogromen vom November 1938 blieben auch ihre Wohnungen A 47 vom „Ausbruch des Volkszornes“ verschont. Aber schließlich legte sich die Partei ins Mittel und verlangte, daß man eine „Lösung“ finden müsse. Der Betriebsführer fand sie auf folgende Weise: er erklärte, daß man den arischen Ingenieuren nicht mehr länger zumuten könne, mit den jüdischen Kollegen zusammenzuarbeiten - und mietete für diese besondere Büroräume, wo sie ungestört weiter für den Betrieb tätig sind.

 

2. Die Juden im „Protektorat“ und in Wien

Die Rechtslage der Juden im „Protektorat“ ist in den letzten Monaten durch eine Anzahl von Verordnungen des „Reichsprotektors“ Schritt für Schritt verschlechtert worden. Am 21. Juni 1939 erließ der „Reichsprotektor“ aus eigener Machtvollkommenheit eine Verordnung über die „Regelung der Judenfrage“.

Im § 1 dieser Verordnung wurde bestimmt, daß Juden, sowie „jüdische Betriebe und Unternehmungen“ nur mit besonderer schriftlicher Genehmigung des „Reichsprotektors“ - welcher jedoch dieses Recht sogleich an die „Oberlandräte“ weitergab - über ihren unbeweglichen Besitz, darunter auch Wirtschaftsbetriebe, sowie über Wertpapiere aller Art verfügen dürfen. Laut § 3 mußten Juden und jüdische Betriebe allen land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz bis 31. Juli 1939 anmelden. Diese Anmeldepflicht galt auch für Pachtverhältnisse. § 4 verbot den Juden den Erwerb und die Pachtung von Grundbesitz, von Wirtschaftsbetrieben, sowie von Wertpapieren aller Art. § 5 legte die Verpflichtung auf, bis 31. Juli 1939 allen Besitz an Gold, Silber, Platin, Perlen und Edelsteinen anzumelden, ebenso auch wertvolle Kunstgegenstände aller Art. Die Veräußerung eines solchen Besitzes wurde gleichzeitig verboten.

§ 9 gab dem „Reichsprotektor“ das Recht, in ganz oder teilweise von Juden geleitete oder mit jüdischem Kapital ausgestattete Betriebe Zwangsverwalter einzusetzen, gleichzeitig wurden die entsprechenden gesetzlichen Bestimmung des „autonomen Protektorats“ außer Kraft gesetzt. Für alle Geschäfte, die seit dem 17. März 1939 abgeschlossen worden waren, wurde die rückwirkende Gültigkeit dieser Verordnung festgelegt. Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung oder auch der Versuch dazu unterliegen Freiheits- und Geldstrafen, eventuell auch der Vermögenskonfiskation nach deutschem „Recht“. Zur Aburteilung sind die deutschen Gerichte zuständig.

Durch Verordnung vom 26. Januar 1940 wird den Juden überhaupt die Führung irgendeines Unternehmens verboten. Alle Dienstverträge mit jüdischen Angestellten können mit längstens sechswöchiger Kündigungsfrist gelöst werden, ebenso alle Mietverträge. Der Privatbesitz an Werten aller Art wird nunmehr beschlagnahmt, nachdem man den Juden durch die Verordnung vom 21. Juni Gelegenheit gegeben habe, ihn rechtzeitig zu verkaufen - Obwohl die Verordnung das gerade Gegenteil besagt.

Am 10. März folgte schließlich eine Verordnung des Reichsprotektorats, die den israelitischen Kultusgemeinden im Protektorat die Aufgabe zuweist, „die Juden auf dem Gebiet der Auswanderung zu betreuen“. Zu diesem Zweck sollen die Kultusgemeinden Umlagen erheben, und zwar auf Grund einer Beitragsordnung, „die der Genehmigung des Reichsprotektorats bedarf“, also wohl in Wahrheit von ihm diktiert werden wird. Wie eine Auswanderung während des Krieges überhaupt zu ermöglichen ist, das herauszufinden, bleibt den Juden überlassen.

Über die Situation der Prager Juden ist uns vor einiger Zeit der Bericht eines Reisenden zugegangen, der die ersten Kriegsmonate in Prag erlebt hat. Dieser Bericht ist auch heute noch aufschlußreich, obgleich in der letzten Zeit auch in der Tschechoslowakei die Lage der Juden schwieriger geworden ist.

Weder die Nürnberger Gesetze, noch irgendwelche anderen Judengesetze des Reiches wurden bisher offiziell im Protektorat eingeführt. Praktisch allerdings werden die gleichen Sachen angeordnet, nur mit weit geringerem Erfolg, da die Mitwirkung des Publikums vollkommen fehlt. Einer der Grundsätze ist: „Juden sollen auswandern.“ Daß man solange Zeit gar keine Ausreisebewilligung bekommen hat, lag daran, daß erst ein Reglement ausgearbeitet werden mußte, auf welche Art und Weise man am meisten Geld auf „legale“ Art von den Auswanderern bekommen kann. Nun gibt es also ein ausgearbeitetes Schema. Die Kultusgemeinde wurde zur legislativen jüdischen Behörde ernannt. Dort bekommt man eine Mappe mit etwa 30 verschiedenen Formularen, die man sorgfältig ausfüllen muß, kein Blatt darf gekrümmt sein, kein Wort mit der Hand geschrieben werden etc. Da die Mappe eine schöne braune Farbe hat, wird sie auch häufig „Mein Kampf“ genannt. Dann gehen die verschiedenen Formulare an die hierzu bestimmten Ämter.

Beim Finanzminsterium muß man für jedes Stück Umzugsgut, das man mitnehmen will, bezahlen, und nachdem möglichst viele Ämter große Summen vorgeschrieben haben, wird man zum zweiten Male in das Auswanderungsamt gerufen, um dort die Dokumente und die Ausreisebewilligung abzuholen. Hat man Steuerschulden, so kommt man überhaupt nicht hinaus. Besonders schwierig ist in vielen Fällen die Beschaffung der wirtschaftlichen Unbedenklichkeit. Ärzte, Chemiker, Krankenschwestern etc. werden überhaupt nicht hinausgelassen. Es gibt eine Uniform der Reichswehr mit dem Erkennungsstreifen „jüdischer Arzt“. Im letzten Moment wird in vielen Fällen noch bei der Gestapo eine meist sehr hohe Umlage vorgeschrieben, die sich in keiner Weise nach einer Berechnung des Vermögens richtet, sondern willkürlich festgesetzt wird. Das ist der Ersatz für die noch nicht gesetzlich festgesetzte Reichsfluchtsteuer. Keine Verordnung für die Juden wird amtlich verlautbar oder in der Presse veröffentlicht. Alles wird durch die Kultusgemeinde gemacht, wobei diese nicht sagen darf, woher die Anordnungen kommen, auch dürfen die Weisungen nicht durch Telefon oder Post weitergegeben werden, sondern nur von Mann zu Mann.

Am Versöhnungstage, dem größten jüdischen Feiertage, mußte binnen 24 Stunden eine Kartothek sämtlicher Juden mit genauen Angaben über Vermögen, Alter etc. fertiggestellt und alle im jüdischen Besitz befindlichen Radioapparate abgeliefert werden. Das hieß, daß nicht nur die gesamte Kultusgemeinde, sondern alle jüdischen Organisationen, Waisenhäuser etc. und ein großer Teil der privaten jüdischen Bevölkerung an diesem Feiertag von früh bis in die Nacht von Haus zu Haus laufen mußten, um die Anordnung durchzuführen. Über die abgelieferten Apparate bekam man nicht einmal eine Bestätigung.

Eines Tages wurde ein Ausgehverbot für alle Juden nach 8 Uhr abends erlassen. Das wurde aber nicht weiter eingehalten und auch die jüdischen Kaffeehäuser schlossen nicht um 8 Uhr und in Prag ist kein Fall von einer Anhaltung oder Bestrafung wegen Übertretung des Verbotes bekannt. In der Provinz allerdings soll es viel schlimmer sein und es sollen sich verschiedene Zwischenfälle ergeben haben (Pilsen).

Mitte August kam das Verbot der gemeinsamen Restaurants, Kaffeehäuser und aller öffentlichen Institutionen. Mit Kaffeehäusern sah es anfangs so aus, daß die meisten großen Wenzelsplatz-Kaffeehäuser sich zu jüdischen Unternehmungen erklärten und es in den ersten Tagen für die deutschen Arier keine Möglichkeit gab, in ein Kaffeehaus zu gehen. Die Tschechen boykottierten die arischen Unternehmungen und gingen ostentativ in die jüdischen. Das wurde dann behördlich geändert und jetzt haben die meisten Kaffeehäuser jüdische Abteilungen und täglich werden neue eröffnet, da das ein besonders gutes Geschäft ist. Razzien in jüdischen Kaffeehäusern gab es in Prag bisher noch nicht. Der Besuch der Kinos ist Juden vollkommen untersagt, öffentliche Bäder und Bibliotheken dürfen sie nur an bestimmten Tagen und zu bestimmten Stunden betreten.

Wenn eine Wohnung einem Deutschen gefällt, werden die jüdischen Mieter auf die Stunde gekündigt. Jüdische Geschäfte müssen bezeichnet sein, aber das Publikum kauft ostentativ in jüdischen Geschäften. Nur die jüdischen Lebensmittelgeschäfte bekommen viel weniger Lebensmittel zugeteilt als die arischen und so ist es selbstverständlich bei allen Waren, die selten werden. So sollen die jüdischen Geschäftsleute zum Bankrott getrieben werden. Aber auch mit den tschechischen Geschäften ist es nicht anders, daher z. B. das Textilgesetz. Kurz in jeder Hinsicht, jüdischer Boykott von oben, ohne die geringste Mitwirkung des tschechischen Publikums, welches gelernt hat, in der jüdischen Bevölkerung Leidensgefährten zu sehen.

Alle hier angeführten Tatsachen beziehen sich hauptsächlich auf Wahrnehmungen, die ich in Prag gemacht habe. Tatsache ist, daß in der Provinz alles viel schlimmer und krasser ist. Eine Zeit lang wurde geplant, sämtliche Juden aus der Provinz nach Prag und Brünn zu übersiedeln, um sie hier „auswanderungsreif“ zu machen. Die Zwangsübersiedlungen hatten auch tatsächlich bereits begonnen, wurden aber eines Tages plötzlich gestoppt, wahrscheinlich als der Plan der Zwangsübersiedlung nach Polen auftauchte. Wirtschaftlich dürfte der Unterschied zwischen Prag und dem übrigen Teile des Protektorats, nicht sehr groß sein.

Ein Schlaglicht auf die verzweifelte Lage der Juden in Wien wirft folgender Ausschnitt aus dem „Westdeutschen Beobachter“ vom 3. 12. 1939:

„Nach dem Bericht der Vermögensverkehrsstelle über die Entju-dung in der Ostmark wurden von 25 898 jüdischen Betrieben 21 143 stillgelegt und nur 4755 durch arische Kaufleute weitergeführt. Insgesamt lagen der Verkaufsstelle 48 000 Anmeldungen eines jüdischen Vermögens von jeweils über 5000 Reichsmark vor . . .“

Inzwischen ist die Austreibung der Juden aus Wien sehr weit fortgeschritten. Die meisten haben die Stadt völlig ausgeplündert verlassen müssen, viele sind nach Lublin transportiert worden. Die Zurückgebliebenen sind womöglich noch schlechter mit Lebensmitteln und lebensnotwendigen Waren versorgt als die reichsdeutschen Juden.

Die Wiener Zeitungen vom 5. Januar 1940 brachten die folgende amtliche Mitteilung:

„Gauleiter Bürckel hat angeordnet, daß in Kleinhandelsbetrieben aller Art in Wien, Waren an Juden nur innerhalb bestimmter Stunden abgegeben werden dürfen. Diese Stunden, an welchen Juden ihre Einkäufe tätigen dürfen, sind bis auf weiteres folgende:

A. In Lebensmittelgeschäften (Lebensmittelhandel und Kleinverschleiß der Lebensmittelerzeugungsgewerbe wie Bäcker, Fleischhauer, Selcher und dergleichen): von 11 bis 13 Uhr, im 2. Bezirk (Leopoldstadt) und im 20. Bezirk (Brigittenau) überdies von 16 bis 17. Uhr. Für den Lebensmittelhandel wurde ferner ein Verbot erlassen, Waren an Juden zuzustellen.

B. In sonstigen Einzelhandelsgeschäften: a) in allen Wiener Gemeindebezirken mit Ausnahme der Bezirke 2, 9 und 20: von 14 bis 16 Uhr, b) im 2. Bezirk (Leopoldstadt), im 9. Bezirk (Alsergrund) und im 20. Bezirk (Brigittenau): von 11 bis 16 Uhr.

C. In Handwerksbetrieben: a) in allen Wiener Gemeindebezirken mit Ausnahme der Bezirke 2, 9 und 20: von 17 bis 18 Uhr; b) im 2. Bezirk (Leopoldstadt), im 9. Bezirk (Alsergrund) und im 20. Bezirk (Brigittenau) von 16 bis 18 Uhr.

Außerhalb der genannten Tagesstunden dürfen im gesamten Wiener Kleinhandel Waren an Juden nicht abgegeben werden. Gewerbetreibende, die dieser Regelung zuwiderhandeln, werden nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung bestraft.“

Auch in Wien und in der österreichischen Provinz werden die Juden zu harter Zwangsarbeit gepreßt. So erhalten wir z. B. folgende Nachricht aus Salzburg:

Juden können ihre Pelzmäntel abgeben und gegen Arbeitskleider eintauschen. Man hat sie seit dem 21. Dezember jeden Tag für die städtische Reinigung herangezogen.

 

3. Die Vernichtung des Judentums in Polen

Alle Nöte der reichsdeutschen, österreichischen und im Protektorat lebenden Juden verblassen vor dem was in Polen geschehen ist und noch geschieht. Sobald die Deutschen in Polen Fuß gefaßt hatten, haben sie zunächst das Eigentum jedes einzelnen Juden beschlagnahmt, die Synagogen teils geschlossen, teils zerstört, die Führer jüdischer Organisationen verhaftet und verschleppt, die Geschäfte und Waren der Juden konfisziert, die jüdischen Schulen geschlossen und zahllose Juden erschossen oder in unmenschlicher Weise zu Tode gequält.

Die Juden sind all ihrer Habseligkeit beraubt worden, man hat ihnen selbst die warmen Kleider fortgenommen und sie zu schwerer Arbeit bei Regen, Schnee und Kälte gezwungen. Kinder unter 12 und Männer über 65 Jahre mußten in den von deutschen Luftangriffen zerstörten Städten den Schutt wegräumen, schwere Zwangsarbeit auf dem Lande und im Straßenbau verrichten. Aus vielen Städten wurden die Juden ganz vertrieben. Man drang in der Nacht in ihre Häuser und ließ ihnen nur dreißig Minuten Zeit, um ihre Habseligkeiten zusammenzuraffen.

In Warschau, wo unter der jüdischen Bevölkerung seit Monaten eine schwere Hungersnot herrscht, wüten furchtbare Epidemien, vor allem Typhus. Die Nazis haben aus allen Warschauer Krankenhäusern die jüdischen Patienten hinausgeworfen und im jüdischen Hospital, dessen Raum nicht ausreicht, zusammengepfercht. Medikamente dürfen an Juden nicht geliefert werden, so daß die Ärzte sich kaum einen Rat wissen. Die Maßnahmen der deutschen Eroberer beschränken sich darauf, die deutschen Soldaten vor Ansteckung zu schützen. Im November sind in Warschau mehr als 800 Juden an Typhus gestorben. Im Januar lagen im Warschauer jüdischen Krankenhaus 1200 Typhuskranke. Die Seuche hat auf die Judenviertel anderer polnischer Städte übergegriffen. In fast allen größeren Orten sind Ghettos errichtet worden, die meist mit Stacheldraht eingezäunt sind.

Obgleich die Juden körperlich geschwächt und vom Hunger gezeichnet sind, hat man in Polen den Arbeitszwang verhängt. In der offiziösen „Krakauer Zeitung“ vom 13. Januar 1940 wurde bekanntgegeben, daß „sämtliche Juden Polens im Alter von 14 bis 60 Jahren ohne Ausnahme zu zwei Jahren Zwangsarbeit mobilisiert werden“. Dies sei - schreibt die Zeitung weiter - eine vom obersten Chef der deutschen Polizei in Polen, Krüger, über alle Juden in Polen verhängte „Strafe“. „Falls das erzieherische Ziel der im Prinzip für zwei Jahre beschlossenen Zwangsarbeits-Maßregel nicht erreicht werden sollte, kann die Dauer der Zwangsarbeit über zwei Jahre hinaus erhöht werden.“

Die größte Ungeheuerlichkeit aber ist die Verfrachtung von Tausenden und Abertausenden von Juden aus dem Reich, aus dem Protektorat, aus Wien und aus dem westlichen Polen nach dem „jüdischen Reservat“ in und um Lublin. Aus Lublin, das durch die Bombardements fast völlig zerstört ist, wurde die polnische Bevölkerung abtransportiert, um für die jüdischen Deportierten Platz zu schaffen. Der westliche Teil Polens soll von Juden ganz geräumt werden. Hier beziehen die Balten, die „heim ins Reich“ geholt worden sind, die verlassenen Heime der jüdischen Deportierten. Dafür werden etwa 10 000 junge Juden aus Polen zur Zwangsarbeit nach Ostpreußen geschafft. Indes wüten überall schwere Seuchen, und die Himmlerbeamten, denen ihr eigenes Vernichtungswerk über den Kopf wächst, jagen Hunderte von Juden aus dem vom Reich okkupierten Gebiet nach Sowjetrußland, nur um die Überzahl los zu werden.

Die Transporte nach Lublin haben im Oktober 1939 mit der Verschickung von Wiener Juden begonnen. Wenig später hat die Gestapo in Prag 200 und in Mährisch-Ostrau 1200 jüdische Familien festgenommen und nach Lublin abgeschoben. Nicht die nötigsten Geldmittel und Kleider durften mitgenommen werden. Aus dem - direkt annektierten - Westpolen sind große Judentransporte ins „Reservat“ abgegangen. Im Februar hat die Austreibung aller Stettiner Juden das Entsetzen der Umwelt erregt. 1300 Personen wurden in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar um 4 Uhr morgens durch SS-Leute geweckt und in eisiger Kälte zu Fuß nach dem Güterbahnhof getrieben. Nach einer Stunde wurden Güter- und Viehwagen für sie bereitgestellt. Jede Familie durfte einen Handkoffer mitnehmen, aber kein Bargeld. Greise, Kranke, Frauen und Kinder wurden ausnahmslos auf die furchtbare Reise geschickt.

Aus einem neutralen Land erhalten wir von einem Flüchtling, der seine Angehörigen im Reich zurücklassen mußte, folgenden Brief:

Sie werden ja über das Schicksal der Stettiner Juden gelesen haben. Unter den von den deutschen Gangstern nach Lublin verfrachteten | Leuten befindet sich leider auch ein mir befreundetes Ehepaar, Leute von 48 und 54 Jahren, die völlig hilflos dort sitzen. Gerade gestern erhielt ich wieder eine Karte, wo sie schreiben, daß sie weder Geld, noch Lebensmittel, noch Kleidung haben. Sie haben für den Fall, daß ich ihnen Lebensmittel sende, nicht einmal das Geld, um den Zoll zu bezahlen. Die Nazis haben die unerhörte Gemeinheit, diese Menschen i. als ausgewanderte Flüchtlinge zu bezeichnen, die nun Devisenausländer und Staatenlose sind, sodaß sie noch nicht einmal von ihrem Geld etwas gesandt bekommen können.

Ferner berichtet man uns aus Danzig:

Die Nazis brüsten sich damit, daß es in Westpreußen und Posen, außer in Danzig, überhaupt keine Juden mehr gibt. Einige Danziger Juden haben die Nazis in den Städten Westpreußens und Posens, wohin sie nach den Danziger Judenverfolgungen gezogen waren, angetroffen.

Sie sind sehr bald nach Lublin ins Arbeitslager gebracht worden, darunter zwei bekannte Danziger Rechtsanwälte. Einen halbjüdischen; Danziger Arzt, den früheren Chefarzt des Danziger Städtischen Krankenhauses, hat man in der Kaschubei angetroffen. Er wurde nach Danzig gebracht und mußte dort wochenlang die Straßen des Hafen- Vorortes Neufahrwasser fegen. Ihm wurde dabei ein Schild um den Hals gehängt mit der Aufschrift: „Ich bin der Polenknecht und Jude . . .“ (folgt der Name).

Zum Schluß ein Zitat aus einem Bericht des „Völkischen l Beobachters“ vom 21. März 1940 über Lublin, das in seinem Zynismus kaum zu übertreffen ist:

„Was für Lublin gilt, gilt für alle anderen Ghettos: die Juden haben auch in diesem Krieg aus der allgemeinen Not wieder riesige Gewinne gezogen, die jetzt - da sie die gerissensten Hehler der Welt sind - nur äußerst schwer ans Tageslicht gebracht und der Gesamtbevölkerung zugeführt werden können. Eine vollständige Auskämmung der Schlupfwinkel ist schon wegen der Seuchengefahr unmöglich. Die deutsche Verwaltung beschränkt sich deshalb einstweilen darauf, das Judentum wenigstens zum allmählichen Verbrauch seiner ergaunerten Vorräte zu zwingen, indem man sie zu unentgeltlicher Arbeit heranzieht, vor allem zur Schneeräumung und zum Straßenbau . . . Nirgends ist mir die absolute jüdische Würdelosigkeit so zum Bewußtsein gekommen wie jetzt im ehemaligen Polen . . . Gerade in dieser Notzeit offenbart sich in den östlichen Ghettos der unüberwindbare Raffgeist dieser Rasse.“

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