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Chronik und Quellen
1937
April 1937

Bericht aus dem SD-Hauptamt II 112

Am 4. Mai 1937 erstattet das SD-Hauptamt II 112 in Berlin folgenden „Lagebericht“ für den Zeitraum 15. - 30. April 1937:

Die Lage in sachlicher Hinsicht

Das Leben der Juden in Deutschland stand in der Berichtszeit völlig unter dem Eindruck des allgemeinen Versammlungsverbotes und der Auflösung der Logen des jüdischen Ordens Bne Brith. Da der deutschen und der jüdischen Presse in Deutschland eine Kommentierung dieser staatlichen Maßnahmen untersagt war, haben lediglich die ausländischen Blätter dazu Stellung genommen. Der allgemeine Eindruck, den die Zwangsmaßnahmen gegen die Juden in Deutschland ausgelöst haben, wird von der Auslandspresse unter dem Stichwort ''Rache für La Guardia'' zusammengefaßt. Einige Blätter gehen darüber hinaus und sehen in den Verboten die Ankündigung einer Verschärfung des antijüdischen Kurses in Deutschland.

Diese Kommentierung des U.O.B.B.-Verbotes durch die ausländische Presse zeigt, daß das ausländische Judentum die deutschen Zwangsmaßnahmen richtig gedeutet hat, obgleich vom Propagandaministerium an die ausländische Presse die Mitteilung herausging, daß das Verbot auf Grund kommunistischer Umtriebe und Devisenvergehen des U.O.B.B. erfolgt sei.

Die Lage in Palästina ist nach wie vor ungeklärt. Die Veröffentlichung des Berichtes der Königlichen Kommission wird erst nach den englischen Krönungsfeierlichkeiten erfolgen. Am 20.4.37 trat in Jerusalem das Aktionskomitee der Jewish Agency , der Vertreterin der gesamtjüdischen Interessen an Palästina, zusammen um sich mit den in der Presse aufgetauchten Teilungsplänen für Palästina zu befassen. Die von dem Aktionskomitee angenommene Resolution wehrt sich gegen alle Teilungspläne Palästinas in arabische und jüdische Kantone auf das entschiedenste. Damit haben die Beziehungen zwischen dem palästinensischen Judentum und der Mandatarmacht [sic] England eine neue Zuspitzung erfahren.

 

Die Lage in regionaler Hinsicht

Das am 15.5.1937 ablaufende Minderheitenabkommen, hat bei den Juden in Oberschlesien, die bekanntlich den Schutz dieses Abkommens genossen, Beunruhigung ausgelöst. Es kann beobachtet werden, daß die Juden in Oberschlesien bemüht sind ihren ländlichen und Häusergrundbesitz zu veräußern. Es steht zu erwarten, daß vor Ablauf der zweimonatigen Schutzfrist ein Teil der Juden Oberschlesien verlassen wird.

 

Programmatische Veränderungen

Es kann die Beobachtung gemacht werden, daß finanziell einflußreiche Juden sich von einer Betätigung in den jüdisch-politischen Gruppen fernhalten. Der Grund hierfür liegt darin, daß diese Juden befürchten bei einer Aktion gegen eine der jüdisch-politischen Gruppen ihr Privatvermögen zu verlieren.

Wie weit das Verbot des U.O.B.B., der in sich Vertreter aller jüdisch-politischen Richtungen vereinigte, sich auf die jüdischen Parteien in Deutschland auswirken wird, läßt sich wegen des z.Zt. laufenden zweimonatigen Versammlungsverbotes noch nicht übersehen.

 

Organisatorische Veränderungen

Am 19.4.1937 [sic] wurde durch Erlaß des Reichsführers SS und Chef der deutschen Polizei der jüdische Unabhängige Orden Bne Brith mit seinen gesamten Tochterlogen und Untergliederungen im Reichsgebiet verboten und aufgelöst. Sein Vermögen wurde zu Gunsten des Staates eingezogen. Lediglich die drei Oberschlesischen Logen des U.O.B.B., die den Schutz des Minderheitenabkommens genießen, wurden von diesem Verbot ausgenommen.

Für die Dauer der Aktion wurden die führenden Logenmitglieder in Haft genommen und nach Feststellung sämtlicher Vermögenswerte und Schriftenmaterials des Ordens wieder entlassen. Die Aktion wurde in engem Einvernehmen von Geheimer Staatspolizei und Sicherheitsdienst durchgeführt. Zu Zwischenfällen von Seiten der Juden ist es nirgends gekommen. Nach Mitteilung des Geheimen Staatspolizeiamtes dürften allein an Bargeld und Effekten über 1 Million Reichsmark beschlagnahmt worden sein. Eine Übersicht über den Grundbesitz kann z.Zt. noch nicht gegeben werden.

 

Kampfmethoden

Propaganda

Durch das Versammlungsverbot verlagert sich, wie bereits im letzten Lagebericht ausgeführt, der Schwerpunkt des jüdischen Lebens in die Synagogen - und Kulturgemeinden. Diese Verlagerung ist an sich völlig natürlich und läßt auf eine programmatische Veränderung nicht schließen. Dagegen konnte die Feststellung gemacht werden, daß durch eine geschickte Propaganda bei den Wahlen für die Gemeindvertretungen die Vertreter der Assimilanten fast im ganzen Reichsgebiet die Mehrheit erhielten.

Der Zionistenkongreß ist endgültig vom 3.-13.8.1937 in Basel festgelegt worden.

Finanzierung

Zur Zeit wird in der zionistischen Presse eine verstärkte Propaganda für die Zahlung des sogenannten Schekel gemacht. Die Zahlung dieser zionistischen Steuer berechtigt gleichzeitig zur Teilnahme und zum Stimmrecht am Zionistenkongreß.

 

Beziehungen zu anderen Gegnern

Kirche

Anläßlich der Aktion gegen den U.O.B.B. wurden bei Haussuchungen bei den früheren U.O.B.B.-Mitgliedern vereinzelt Exemplare der päpstlichen Enzyklika vom 14.3.3[7] und des Offenen Briefes der Bekenntnisfront an Reichsminister Kerrl gefunden.

 

Verhältnis zu den einzelnen Lebensgebieten

Kulturelles Leben.

In der Berichtszeit ist der bisher an der Staatsoper tätige volljüdische Generalmusikdirektor Leo Blec [sic] wegen Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand getreten. Aus Anlaß seines Ausscheidens veröffentlichte die ausländische Presse und die jüdischen Blätter in Deutschland Nachrufe.

Gemeinschaftsleben

Unverständlich ist eine Entscheidung des Reichsgerichts, die sich mit der Kennzeichnung von Firmen als jüdische Unternehmen befaßt. Laut Bericht der Frankfurter Zeitung vom 28.4.37, der in allen jüdischen Zeitungen nachgedruckt wird, hat das Reichsgericht entschieden, daß die Kennzeichnung eines Unternehmens als jüdische Firma durch einen Konkurrenten unzulässig sei und ein Werbemittel darstellt, das gegen die guten Sitten verstoße. Der Einzelne könne sich nicht darauf berufen mit seinem Vorgehen der nationalsozialistischen Weltanschauung zu dienen. Dies sei vielmehr Sache der Staatsregierung und der NSDAP , die allein bestimmen könnten, inwieweit es hierzu einer Fernhaltung oder Verdrängung jüdischer Unternehmungen aus der Wirtschaft bedürfe.

Wirtschaftsleben

Anläßlich eines Totalausverkaufs eines jüdischen Warenhauses in Neustadt an der Weinstraße kam es zu Demonstrationen der Bevölkerung. Auf Veranlassung der Gauleitung wurde der Judenladen geschlossen und die Angelegenheit dem Gauwirtschaftsamt übertragen. Daraufhin kam vom Reichswirtschaftsministerium die Weisung, das Schließen des Ladengeschäftes sei ungesetzlich und die Polizei habe mit allen Mitteln den ungehinderten Geschäftsbetrieb zu gewährleisten und gegen demonstrierende Volksgenossen vorzugehen.

 

Verhältnis zum Ausland

Es konnte festgestellt werden, daß führende Mitglieder des jüdischen Turn- und Sportvereins ''Itus'', Würzburg, in regem Briefverkehr mit Juden in der UdSSR und CSR standen. In diesem Briefwechsel beschäftigen sie sich in durchaus negativer Weise mit den Verhältnissen in Deutschland. Aus diesem Grunde ist der Itus Würzburg von der zuständigen Staatspolizeistelle aufgelöst worden.

Als Vertreter der palästinensischen Judenheit nimmt der Vorsitzende des Waad Leumi, des Aktionskomitees der palästinensischen Juden, Ben Zwi, an den Krönungsfeierlichkeiten in London teil.

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