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Chronik und Quellen
1937
Februar 1937

Bericht des SD-Hauptamtes II 112

Am 17. Februar 1937 gibt das SD-Hauptamt II 112 in Berlin folgenden „Lagebericht“ ab:

Die Lage in sachlicher Hinsicht

Die innenpolitische Lage der Juden im Reich hat eine wesentliche Änderung während der Berichtszeit kaum erfahren. Lediglich die Ereignisse in Palästina und der Mordprozeß Frankfurter in Chur haben eine leichte Unruhe in beiden Lagern hervorgerufen.

Die Assimilanten versuchen neben ihrer versteckten Propaganda für ein Verbleiben der Juden in Deutschland durch eine oftmals übertriebene Schilderung der Verhältnisse in Palästina eine antipalästinensische Agitation zu betreiben. Wenn auch an den zionistisch eingestellten Juden die palästinensischen Unruhen nicht achtlos vorübergegangen sind, so ist ihre Propaganda nach wie vor entschieden aktiv.

Der schon erwähnte Churer Prozeß hat eine leichte, scheinbare Passivität allgemein unter den Juden in Deutschland hervorgerufen, die durch das generelle Verbot aller jüdischen Versammlungen in der Zeit vom 15.12.1936 bis 31.1.1937 verstärkt wurde.

Den Umständen gerecht werdend ist die Presse beider jüdisch-politischen Richtungen von dem Mörder David Frankfurter abgerückt und hat oftmals darüber hinaus seine Tat als nichtjüdisch verurteilt.

Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Nürnberger Gesetze bisher noch nicht immer ihre beabsichtigte abschreckende Wirkung erzielt haben; so sind z.B. nach wie vor Übertretungen des Rassenschandeparagraphen festzustellen. In den letzten Monaten hat sich die Zahl dieser Fälle verhältnismäßig gesteigert.

Die Zahl der vom Zeitpunkt der Machtübernahme bis Ende 1936 ausgewanderten Juden beträgt nach ziemlich genauen Schätzungen ca. 105.000. Berücksichtigt man die natürliche Abnahme der Judenziffer in Deutschland, die jährlich etwa 4.500 beträgt (auf 5 Todesfälle kommt z.Zt. in Deutschland nur eine Geburt), so kommt man auf eine weitere Verminderung von 18.000; das sind insgesamt etwa 125.000. Diese sind von dem Stand der Volkszählung 1933 (515.000 Konfessionsjuden) abzusetzen. Es ergibt sich danach die Zahl der noch heute in Deutschland lebenden Konfessionsjuden mit ca. 390.000.

 

Die Lage in regionaler Hinsicht

Eine genauere gebietsmäßige Berichterstattung kann hier kaum erfolgen, da nur von 3 Oberabschnitten Berichte vorliegen.

Danach macht sich im Gebiet des OA -Nordost eine deutliche Abwanderung der Juden aus kleineren Städten in größere jüdische Gemeinden und weiter in Großstädte des Reiches bemerkbar. Insbesondere ist ein starker Zuzug in das Gebiet der Freien Stadt Danzig zu verzeichnen. Eine ähnliche Wanderung wird aus Saarbrücken gemeldet, die diese Stadt zum allmählichen Sammelpunkt der Juden des Saarlandes werden läßt. Auch im Gebiete des OA -West wird ein starker jüdischer Zuzug vom flachen Lande in die rheinischen Großstädte gemeldet. Die Auslandswanderung ist in sämtlichen Gebieten des Reiches mit wenigen Ausnahmen allgemein gleichmäßig.

Aus dem Gebiet des OA -Südwest liegen insofern interessante Meldungen vor, als z.B. in Württemberg sowohl die Auswanderung als auch die Aufgabe von Geschäften nachgelassen hat.

Der Vermögensstand der Juden hat sich allgemein vermindert, besonders der der Großstadtjuden, während die wenigen noch in ländlichen Gebieten ''alteingesessenen'' Juden nach wie vor ihr Vermögen halten, bzw. steigern konnten.

 

Programmatische Veränderungen

Der ''Reichsbund jüdischer Frontsoldaten '' ist wie schon vorher, so auch in letzter Zeit besonders aktiv. Er versucht, sich, wenn auch in versteckter Form, immer wieder für ein Verbleiben der Juden in Deutschland einzusetzen. Dagegen ist der ''Jüdische Centralverein'' (CV ) nicht zuletzt durch das Wirken des ''Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten'' immer mehr in den Hintergrund getreten. Er beschäftigt sich allgemein im gesamten Reichsgebiet fast ausschließlich mit der Beratung seiner Mitglieder in Wirtschaftsangelegenheiten. Nur ganz vereinzelt sind in letzter Zeit vom ''CV'' Versammlungsmeldungen erfolgt.

Der ''Paulusbund '' (Vereinigung nichtarischer Christen) versucht langsam außerhalb Berlins Neugründungen von Ortsgruppen vorzunehmen.

Weder bei den caritativen, orthodoxen noch bei den zionistischen Gruppen sind in letzter Zeit irgendwelche programmatische Veränderungen zu verzeichnen gewesen.

 

Organisatorische Veränderungen

Durch Anordnung des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 30.12.1936 ist der ''Ring''- Bund jüdischer Jugend aufgelöst worden.

Sonstige organisatorische Veränderungen sind hier nicht bekannt.

 

Kampfmethoden

a) Propaganda.

Während wie schon gesagt die Assimilanten nach wie vor versteckt für ein Verbleiben in Deutschland propagieren und die caritativen und orthodoxen Gruppen sich lediglich auf ihr Aufgabengebiet beschränken, agitieren die Zionisten für die Auswanderung nach Palästina.

b) Finanzierung.

Zum Zwecke der zionistischen Propaganda werden allerorts zahlreiche Versammlungen abgehalten und dabei große Sammelaktionen für die palästinensischen Fonds durchgeführt. (Mifal bizzaron u'witachon = Sondersammelaktion des Keren Hajessod .). Weitere Meldungen über die Finanzierung jüdischer Organisationen liegen nicht vor.

 

Beziehungen zu anderen Gegnern

a) Inländische Gegner.

aa ) Freimaurerei .

In Ostpreußen sind die Beziehungen von Juden zu Freimaurern meist familiärer oder geschäftlicher Art. Ehemalige Mitglieder des ''Odd-Fellow-Ordens'' sind oft ihre guten Freunde.

bb) Kirche.

Durch die tolerante Haltung der politisierenden Kirchen und ihre passive Einstellung dem Judentum gegenüber bestehen durchaus gute jüdische Beziehungen zu ihnen. In Danzig fallen bei Gottesdiensten unter den Anhängern der Bekenntniskirche getaufte Juden in größerer Zahl auf. Aus dem Westen des Reiches wird gemeldet, daß dort katholische Gemeinden ihre Gemeindesäle zionistischen Organisationen für ihre Versammlungen zur Verfügung stellen. (Düsseldorf).

cc) Linksbewegung.

Über die jüdischen Beziehungen zu illegalen Gruppen liegen zwei sehr interessante Meldungen vor. Die Verhaftungen im Bereich des OA -West haben bewiesen, daß fast ausschließlich Juden als Führer und Organisatoren marxistischer Splittergruppen tätig sind. Es bestanden sogar direkte Verbindungen mit einem Aktionskomitee in Paris.

In Danzig werden sämtliche straffälligen Angehörigen der illegalen kommunistischen Partei von jüdischen Rechtsanwälten verteidigt. In der gleichen Stadt hat sich ebenfalls ein Jude als Schulungsleiter einer illegalen Trotzkistengruppe betätigt.

dd) Rechtsbewegung.

Hier traten, wie OA -Nordost aus Danzig erfährt, Juden bis vor einiger Zeit als Geldgeber für die ''DNVP '' auf. In letzter Zeit ist jedoch ein Abbröckeln der jüdischen Unterstützungsfront bemerkbar.

 

Verhältnis zu den einzelnen Lebensgebieten

a) Kulturelles Leben.

Durch die Arier -Gesetzgebung ist eine jüdische Betätigung in der deutschen Kultur für alle Zeiten untersagt. Die jüdische kulturelle Betätigung erfolgt ausschließlich im Rahmen des vom Reichskommissar Hinkel überwachten ''Reichsverbandes der jüdischen Kulturbünde ''.

b) Wirtschaftsleben.

Der jüdische Anteil an der deutschen Wirtschaft ist nach wie vor ein verhältnismäßig hoher. Besonders stark ist die Beteiligung an dem Viehhandel in den ländlichen Gegenden des Reiches (Hessen-Nassau, Ostpreußen und Ostfriesland). Es wird zu erwarten sein, wie sich die Verordnung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft über die ''Zulassung'' bei sämtlichen Viehhandelsbetrieben des Reiches auswirken wird. Nähere Angaben über den Einfluß der Juden in der Wirtschaft liegen nicht vor, da diese Frage federführend von II 23 bearbeitet wird.

 

Verhältnis zum Ausland

Nach dem Ausland, besonders nach Holland, Belgien und Luxemburg, herrscht ein reger jüdischer Reiseverkehr. Juden aus dem Westen des Reiches haben irgendwelche Verwandte in diesen Ländern. Es muß jedoch angezweifelt werden, daß diese vielen Reisen ausschließlich familiären Zwecken dienen. Es ist klar, daß auf diesem Wege Nachrichten über innerdeutsche Verhältnisse ins Ausland gelangen, die dann dort in der Presse als Greuelmeldungen wieder auftauchen.

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