Bericht aus Dessau
Das Staatsministerium Anhalt erstattet aus Dessau am 29. Oktober 1935 folgenden Bericht für August und September 1935:
Von seiten der Partei wurden bis in den September hinein Versammlungen gegen Judentum und den politischen Katholizismus abgehalten. Diese Veranstaltungen erfreuten sich im allgemeinen eines guten Besuches, es ist nicht zu verkennen, daß das Interesse der Bevölkerung an Rassefragen und an Fragen der Religion und Kirche sehr lebhaft ist. Das auf dem Reichsparteitage erlassene Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre hat wesentlich zur Klärung der Judenfrage beigetragen. Es sind auch selten Worte der Kritik zu diesem Gesetz zu hören, wenn schon, dann vornehmlich aus Kreisen eines sogenannten besseren Bürgertums, die vielfach aus geschäftlichen oder verwandtschaftlichen Bindungen heraus noch nicht die richtige Einstellung zu den rassepolitischen Notwendigkeiten gefunden haben. (…)
Juden und Freimaurer
Die Aktivierung in der Judenfrage hat es mit sich gebracht, daß die Staatspolizei auch hier in mehreren Fällen durch Inschutzhaftnahmen eingreifen mußten. So mußte der jüdische Bankier Dr. Max Gumpel in Bernburg, Inhaber des Bankhauses Gumpel & Samson, in Schutzhaft genommen werden, weil sein freches und provozierendes Auftreten in der letzten Zeit zu einer erheblichen Beunruhigung der Bevölkerung der Stadt Bernburg geführt hatte. Die Durchsuchung seiner Wohnung brachte verschiedenes, für die Geschäftspraktiken des Juden und sein sonstiges Verhalten recht aufschlußreiches Material zu Tage, sodaß wahrscheinlich auch mit der Einleitung eines Strafverfahrens zu rechnen ist. In einem anderen Falle mußte über einen jüdischen Viehhändler die Schutzhaft verhängt werden, der sich im Laufe einer Auseinandersetzung einem SA -Mann gegenüber dahingehend geäußert hatte, daß die Juden schon vor unsern Vorfahren in Deutschland gewesen wären und daß eines Tages die Deutschen durch die jüdischen Gesetze des Talmud aus Deutschland getrieben werden würden.
In fast allen Geschäften im hiesigen Bezirk sind die Schilder ''Juden nicht erwünscht'' angebracht worden.
Daß diese Maßnahmen praktisch nicht ohne Erfolg geblieben ist, ergibt sich allein schon daraus, daß in Dessau der jüdische Landesrabbiner bei behördlichen Stellen vorstellig geworden ist, um die angeblich gefährdete Lebensmittel und Brennstoffversorgung seiner Glaubensgenossen zu sichern.
Stellenweise hat allerdings der Kampf gegen das Judentum auch unerwünschte Formen angenommen. In Zerbst sind einige Schaufenster jüdischer Geschäfte mit Farbe beschmiert und mit Aufschriften ''Juda verrecke!'' und ''Wer hier kauft, ist ein Volksverräter!'' versehen worden. In Jessnitz ist einem jüdischen Geschäftsführer der Firma Goudsmith eines Nachts die Scheibe eingeschlagen worden. Auch haben dort einzelne Angehörige der Partei eine recht unkluge Sonderaktion unternommen. Ohne nähere Veranlassung wurden 2 wohlfahrtsunterstützte Juden ergriffen und gezwungen, ein Schild mit der Aufschrift ''Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter'' umzutun und damit in der Stadt umher zu marschieren. Die Folge davon war, daß in der Bevölkerung eine Stimmung entstand, die teilweise sogar für die Juden Partei nahm. Die Aktion ist von der Ortspolizeibehörde sofort, als sie ihr zur Kenntnis kam, unterbunden worden.
Vor dem jüdischen Kaufhaus Wohlwerth (jetzt Uwo) in Dessau ist es aus Anlaß der von Parteidienststellen kürzlich durchgeführten Kontrollmaßnahmen zu unliebsamen Zwischenfällen, in einigen Fällen sogar zu Tätlichkeiten gekommen. Da zu befürchten war, daß im Falle weiterer Vorkommnisse Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eintreten würden, ist im Einvernehmen mit den Parteidienststellen die Einstellung der Kontrollmaßnahmen veranlaßt worden.
In letzter Zeit mehren sich die Fälle, daß über eine Abwanderung von Juden nach Palästina oder in andere Länder berichtet wird. Es hat hiernach den Anschein, als ob die Förderung der zionistischen Propaganda und die Unterdrückung der assimilatorischen Bestrebungen sich schon in dieser Richtung ausgewirkt hat. (…)
Sonstiges
In der Nacht vom 18. zum 19. September 1935 wurden in der Stadt Zerbst an drei verschiedenen Stellen kreisrunde Handzettel in schwarz-weiß-roter Farbe mit dem Aufdruck: ''Die Nazis sind unser Unglück!'' angeklebt. Die fraglichen Zettel trugen in der Mitte das Bildnis des Führers. Bemerkenswert ist hierbei, daß kurze Zeit zuvor der Ortsgruppenleitung der NSDAP von einer Firma Froese in Hagen i./W. Handzettel in der gleichen Größe und Ausführung zu Propagandazwecken angeboten sind. Diese Marken tragen jedoch das Bildnis eines Juden mit der Umschrift ''Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter''. Die angestellten Ermittlungen waren bisher ergebnislos. Aus den Tagesmeldungen des Geheimen Staatspolizeiamts ist aber ersichtlich, daß derartige Handzettel auch in anderen Orten des Reichs zur Verbreitung gelangt sind.