Lagebericht des SD-Hauptamtes II 112
Das Hauptamt II 112 des Sicherheitsdienstes erstattet einen Lagebericht für den Zeitraum 16. bis 30. November 1937:
Die bereits im letzten Lagebericht erwähnte Auswanderungsmüdigkeit unter den Juden in Deutschland scheint sich nach den neuerlichen Vorfällen in Palästina und Brasilien zumindest in Bezug auf Palästina zu einer Auswanderungsfurcht auszuwachsen.
Obwohl von den durch die englische Mandatsbehörde bis März 1938 freigegeben 8.000 Einwanderungszertifikate für Palästina 17%=1360 den in Deutschland ansässigen Juden zufallen und neue durch die Altreu vermittelte Kapital-Transfermöglichkeiten geschaffen wurden, macht sich bei den Juden eine allgemeine Abneigung gegen die Auswanderung nach Palästina bemerkbar. Dazu hat insbesondere die Hinrichtung des Scheichs Farhan beigetragen, der für die vorjährigen Terrorakte der Araber verantwortlich gemacht wird. Die Juden befürchten eine neue Aktivierung der arabischen Abwehrtätigkeit, die in einer gemeinsamen Aktion mit den indischen Moslems, - die sich bereits in einem Aufruf vor längerer Zeit gegen die englischen Maßnahmen in Palästina ausgesprochen hatten -, gipfeln könnte.
Das andere Moment, das zur Beunruhigung der Juden beiträgt, ist die halboffizielle Ankündigung, daß die brasilianische Regierung beabsichtige, bis zum 1. Dezember 1937 etwa 2.000 illegal eingewanderte Personen auszuweisen. Durch diese Maßnahme würden hauptsächlich jüdische Emigranten aus Deutschland betroffen. Es wird befürchtet, daß sich auch andere südamerikanische Staaten auf Grund dieses Vorgehens zu ähnlichen Abwehrmaßnahmen gegen die jüdische Einwanderung entschließen würden.
Zusammenfassend kann gefolgert werden, daß Palästina unter den gegenwärtigen Umständen mehr und mehr als Hauptaufnahmeland für die jüdischen Auswanderer ausscheidet, um nur noch als ''Eres Israel '' [sic] ideeller und kultureller Mittelpunkt des Judentums zu bleiben.
Wenn dennoch alle jüdischen Organisationen in Deutschland die Auswanderung durch Beschaffung von Finanzmitteln, durch Vorträge, Schulungsabende usw. in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, erfolgt das unter dem beständigen Druck und in der Erkenntnis, daß ein Verbleiben in Deutschland auf die Dauer trotz aller vorübergehenden Besserungen nicht möglich ist. In dieser Hinsicht hat sich das Vorgehen gegen die Juden in Oberschlesien und Danzig günstig ausgewirkt. Selbst die ''Agudas Jisroel '', deren westeuropäische Landesorganisationen vom 31.10. bis 3.11. in Paris tagten, haben sich zu einer Intensivierung der Auswanderung entschlossen. Abweichend zu anderen Organisationen wurde jedoch, - wie bereits durch den Reichsbund jüdischer Frontsoldaten -, in betonter Weise die Gruppenwanderung als einzige Siedlungsmöglichkeit gefordert. Die Organisation soll das in London zu errichtende Auswanderungsamt übernehmen. Symptomatisch für das Verhalten der gesamten Judenschaft ist der Beschluß dieser religiös-orthodoxen Organisation für eine Siedlung insbesondere Südamerika, Nordamerika und Südafrika in Betracht zu ziehen. Mit Hilfe der ausländischen Landesorganisationen soll außerdem die Errichtung einer landwirtschaftlichen und handwerklichen Bildungsstätte für junge Juden aus Deutschland in Deutschland selbst oder im Auslande ermöglicht werden.
Wie erfolgreich sich die augenblickliche Behandlung der Juden ausgewirkt hat, erhellt am besten aus einer von Rabbiner Dr. Prinz in Amerika gehaltenen Rede. Prinz, der Anfang des Jahres nach einer sehr starken propagandistischen Arbeit in Deutschland auswanderte, führte aus, daß sich die Juden im Irrtum befänden, wenn sie annähmen, daß der Führer nicht tatsächlich das ganze Volk hinter sich habe. So fest wie er auf seinem Posten stünde, stünde auch die nationalsozialistische Regierung. Diese aber werde von ihrem Standpunkt in der Judenfrage niemals abweichen.
Die Stellung des internationalen unter amerikanischer Führung stehenden Judentums wird durch eine neue Boykott-Woche gekennzeichnet, die beginnend mit dem 22.11.37 ''im Zeichen des amerikanischen Judenkongresses und des jüdischen Arbeiterkomitees'' gegen den Nationalsozialismus organisiert wurde. Über ihren Erfolg wurde noch nichts bekannt.
Wenn zahlreiche Juden aus dem assimilatorischen Lager in ihrem Willen, in Deutschland zu bleiben, dennoch nicht wankend geworden sind, liegt das nicht zuletzt an der schon wiederholt erwähnten teilweisen Begünstigung durch Behörden als auch in der allgemein gezeigten laschen Haltung der Bevölkerung gegenüber der Judenfrage. Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß noch keine Gesetze bestünden, um den Juden von jeder gewerblichen Tätigkeit auszuschließen, so daß auch ein allgemein bindender Grund zu einem Boykott oder zu einem Ausschluß der Juden aus der deutschen Wirtschaft nicht gegeben sei.
Als typisches Beispiel für die hier aufgezeigte Haltung kann das Land Hessen dienen, in dem behördlicherseits gegen die geschäftliche Betätigung der Juden kaum etwas unternommen wird. Bei der Ausgabe von Legitimationskarten und Wandergewerbescheinen sollen sogar Juden Berücksichtigung finden, die auf Grund ihrer Vorstrafen ohne weiteres als politisch unzuverlässig abgelehnt werden können. Die zuständige Behörde soll ihr Verhalten damit erklärt haben, daß man den Juden ihre wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeit erhalten müsse, um nicht die Bildung eines jüdischen Proletariats zu fördern, das eine innerpolitische Gefahr darstellen würde!
Auch im O.A.-Gebiet Süd-West können sich die Juden auf geschäftlichem Gebiet infolge des guten Verhältnisses zu der Bevölkerung in umfangreichen Maße betätigen. So sollen z.B. die im Viehhandel tätigen Juden, denen kaum finanzkräftige arischer Händler entgegenstehen, mit einem Gewinn von 80-100% arbeiten!
In Danzig werden weitere Maßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet von staatswegen gegen die Juden nicht mehr erwartet, weil nach den Drohungen der Judenschaft eine Abwanderung der großen zumeist unter jüdischer Leitung stehenden Exportgeschäfte nach Gdingen zu befürchten steht. Damit würde der Exporthandel des Danziger Hafens in empfindlichster Weise getroffen und den polnischen Absichten, die auf eine Lahmlegung des Danziger Hafens hinzielen, Vorschub geleistet werden.
Eine nicht zu übersehende Gefahrenquelle stellt auch die sehr starke Betätigung ehemaliger jüdischer Rechtsanwälte im Berufe des Devisenberaters dar. Da ein Rechtsanwalt automatisch als Devisenberater zugelassen wird, ohne daß der Nachweis der arischen Abstammung erbracht zu werden braucht, betätigen sich zahlreiche jüdische Rechtsanwälte, die auf Grund von Vergehen ihre Anwaltschaft verloren haben, in diesem Beruf.
Auch katholische Kreise tragen zu einer Bestärkung der jüdischen Assimilanten bei. Typisch für das allgemein gezeigte Verhalten der katholischen Kirche gegenüber dem Judentum ist die Tatsache, daß sie in Chemnitz den Juden ein Schulgebäude für jüdische Schulzwecke angeboten hat.
Im Saargebiet unterhalten zahlreiche Juden nach wie vor ihre Beziehungen zu ehemaligen Marxisten und anderen staatsfeindlichen Elementen. Nach wie vor sind sie maßgeblich an arischen Firmen beteiligt. Selbst Emigranten können noch durch die Vermittlung ihrer in Deutschland vertriebenen Familienangehörigen Einfluß auf arische Geschäfte nehmen.
Bei den Juden macht sich weiterhin eine starke Pflege des Kulturgutes bemerkbar. So wurde in der vergangenen Berichtszeit eine Woche des jüdischen Buches durchgeführt. Außerdem entwickeln sämtliche Organisationen und Presseorgane eine starke Propaganda für das jüdische Winterhilfswerk, das allerdings nicht die Erfolge des Vorjahres zu verzeichnen hat.