Bericht des SD-Oberabschnitts Elbe II 112
Ohne Datum- und Ortsangabe berichtet der Sicherheitsdienst des SD-Oberabschnitts Elbe für das Jahr 1937:
Die Gesamtlage des Judentums in den Gauen Sachsen, Thüringen, Halle-Merseburg und Magdeburg-Anhalt war im Laufe des Jahres 1937 wesentlichen Schwankungen unterworfen.
Die allgemeine wirtschaftliche Lage der jüdischen Geschäftsleute hat sich nicht verschlechtert. Im Gegenteil konnte festgestellt werden, daß die Umsatzzahlen des größten Teiles der jüdischen Firmen nicht nur auf gleicher Höhe gegenüber dem Vorjahre stehen, sondern daß sie sich, zum Teil sogar ziemlich bedeutend erhöht haben. Dafür sind verschiedene Gründe vorhanden: Einmal kommt auch den jüdischen Firmen der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung zugute. Zum anderen stehen noch große Bevölkerungsschichten der Judenfrage teilnahmslos gegenüber und kümmern sich nicht darum, ob es ein arisches oder jüdisches Geschäft ist, in dem sie ihre Einkäufe tätigen, ganz abgesehen davon, daß die jüdischen Geschäfte größtenteils durch bessere Dekoration der Schaufenster es eher verstehen, Kunden anzulocken, und vielfach im Preis billiger sind als die arische Konkurrenz.
Im Gau Sachsen wurden am Ende des Jahres, um der wirtschaftlichen Entwicklung der Juden durch die Nachlässigkeit vieler Volksgenossen einen Riegel vorzuschieben, an den Ladentüren der arischen Geschäfte Schilder in Augenhöhe mit der Inschrift ''Arisch'' angebracht. Jüdisch versippte Ladeninhaber oder Mischlinge sowie die Warenhäuser dürfen diese amtlich gestempelten Schilder nicht führen. Die Auswirkung der Aktion läßt sich bis jetzt noch nicht übersehen.
Die eingangs erwähnte Beobachtung der Aufwärtsentwicklung des Umsatzes jüdischer Geschäfte erstreckte sich in der Hauptsache auf die Großstädte. In kleinen und mittleren Orten war der Jude bekannt und die Bevölkerung scheute sich, beim Juden zu kaufen, da einer auf den anderen aufpaßte und keiner beim Verkehr mit Juden erwischt werden wollte. Das hatte zur Folge, daß in diesen Orten die Juden ihre Geschäfte verkauften und in den Großstädten untertauchten. Wirtschaftlich sind das platte Land sowie die Kleinstädte dadurch fast judenfrei geworden. Die heute noch in der Provinz lebenden Juden sind meistens Geschäftsleute, die ihren Betrieb nur schlecht oder überhaupt nicht verlegen können. Fabrikanten u. dergl. und die vor allem mit der umwohnenden Bevölkerung nicht direkt als Verkäufer ihrer Waren in Berührung kommen. In den Großstädten sind Geschäftsverkäufe seltener. Wie schon oben erwähnt, hat hier der Jude mehr Möglichkeit, in der Masse unterzutauchen und sich frei zu bewegen.
Dies kommt auch in der allgemeinen Wanderungsbewegung zum Ausdruck. Nur ein geringer Teil der vom Lande abziehenden Juden wandert aus. Der größere Teil zieht nach den Großstädten. Vor allem sind es die Städte Leipzig, Chemnitz, Dresden, Magdeburg und Erfurt, die bevorzugt aufgesucht werden. Ein erheblicher Teil aber geht nach Berlin. Die Abwanderungs- und Zuwanderungszahlen in den Großstädten heben sich fast auf. Das heißt, die Zahl der Aus- bezw. Abwandernden ist nur um ein wenig höher als die Zahl der Zuwandernden. Wenn trotzdem eine Abnahme der Juden in den Großstädten zu verzeichnen ist, die Zahlen sind im Vergleich zur Seelenzahl örtlich sehr verschieden, so ist diese Verringerung weniger auf die Auswanderung als auf die Überalterung des Judentums zurückzuführen.
Bei der Auswanderung ist weiter beachtlich, daß ein ziemlicher Prozentsatz nicht als legale Auswanderer zu betrachten ist. Es sind dies die reichsverwiesenen und die Juden, die wegen steuerlicher oder krimineller Vergehen flüchtig werden. Es erregt immer wieder ziemliche Verwunderung in der Bevölkerung, daß es heute noch Juden möglich ist, unter Hinterlassung von Steuerschulden ins Ausland zu verschwinden. Auch die Zahl der wegen Kapitalverschiebung flüchtigen Juden ist nicht gering.
Daß die Juden gar keine Veranlassung zur Auswanderung haben, da es ihnen ja wirtschaftlich gut geht, ist aus den Etatgestaltungen der jüdischen Gemeinde zu ersehen. Ein markantes Beispiel bietet hierfür Halle: Noch vor einem Jahr hatte man damit gerechnet, daß die 40% der Einkommenssteuer betragende Steuerquote der israelitischen Kultussteuer erheblich - vielleicht auf 50% - erhöht werden müßte. Da jedoch das Gesamtsteueraufkommen gestiegen ist, benötigt man, um die gleiche Einnahme wie im vergangenen Jahre zu erzielen, eine geringere Quote und hat den Steuersatz auf 36% herabgesetzt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Gemeinde durch Abwanderung einige der besten Steuerzahler verloren gegangen sind.
Der jüdische Hausierer, der vor der Machtübernahme nur noch wenig zu sehen war, tritt in letzter Zeit wieder häufig in Erscheinung. Besonders gern werden von ihm die Industriegegenden in Mitteldeutschland aufgesucht. In Thüringen und Sachsen-Anhalt ist besonders stark der jüdische Viehhändler noch im Geschäft. Die jüdischen Viehhändler nützen teilweise ihre großen Verbindung zu den Landwirten nicht mehr nur zum Handel aus, sondern vermitteln bei den Bauern für junge Juden Stellungen zur landwirtschaftlichen Umschulung . Einwandfrei wurde dies bis jetzt in der Umgegend von Meiningen festgestellt. In diesem Kreis sind z.Zt. ca. 50 Juden bei einzelnen Landwirten untergebracht. Sie gehören dem ''Hechaluz '' - Berlin an und wurden durch den Viehhändler Frank in Bibra/Th. vermittelt.
Ist diese negative Einstellung zur Judenfrage eines Teiles des Bauerstums vielleicht in mangelnder Aufklärung zu suchen, beim früheren weltanschaulichen Gegner in der Interesselosigkeit und Denkfaulheit in diesen Dingen, so muß die Einstellung religiöser Kreise unbedingt als Opposition bezeichnet werden. Nicht nur, daß die häufigsten Klagen über die wirtschaftliche Unterstützung und über persönlichen Verkehr mit Juden aus den Gebieten des katholischen Eichsfeldes und aus der Gegend um Bautzen mit seinen katholischen Wenden kommt, sondern auch in den Großstädten ergibt sich dasselbe Bild. Bezeichnend hierfür sind zwei Beispiele: Für die Errichtung einer jüdischen Schule in Chemnitz hat die dortige katholische Kirche ihr Schulgebäude zur Benutzung angeboten. - In Leipzig fehlte es den großen jüdischen Vereinen bis vor kurzem an einem geeigneten Saal zur Durchführung ihrer Veranstaltungen. Die arischen Saalbesitzer lehnten die Vermietung ihrer Säle an Juden ab. Nunmehr ist es den Juden gelungen in einem evangelischen Hospiz und Vereinshaus, dem Auguste-Schmidt-Haus, einen Saal zu erhalten.
Hatten sich die Juden nach der Machtübernahme enger zusammengeschlossen und folgte eine gutbesuchte Veranstaltung der jüdischen Organisationen der anderen, so ist seit geraumer Zeit hierhin ein Umschwung festzustellen. Immer mehr und mehr kommt man in kleinen Zirkeln in Privatwohnungen zu Tees, Skatabenden, Familienfestlichkeiten usw. zusammen. Die Besucherzahlen bei den Veranstaltungen jüdischer Vereine aber lassen immer mehr nach; demzufolge auch die Anzahl der Veranstaltungen selbst. Guten Besuch weisen zu den Kulturbundabenden z.B. nur Operetten, Schwänke, Kabaretts u. dergl. auf. Bei ernsten Sachen ist der Kreis der Zuhörer nur ein verhältnismäßig geringer. Wenig Interesse wird rein jüdisch kulturellen Dingen entgegengebracht. Auch die Teilnahme an Veranstaltungen jüdisch-politischer Verbände hat stark nachgelassen und beschränkt sich überwiegend auf einen bestimmten Kreis der Mitglieder. Außenstehende besuchen derartige Vorträge in den seltensten Fällen, sodaß auch von Werbeerfolgen einzelner Parteirichtungen nichts zu spüren ist. Die Kräfteverhältnisse der jüdisch-politischen Parteien sind augenblicklich als feststehend anzusehen. Eine Änderung ist in nächster Zeit hierin auch nicht zu erwarten, da fast allgemein die Aktivität der Jugend und ihrer Bünde stark nachgelassen hat.
Selbst die Auflösung der U.O.B.B-Logen im April des Jahres hat keine Änderung hervorbringen können. So überraschend den Juden das Vorgehen kam, so schnell verflog auch die dadurch hervorgerufene Unruhe wieder. Ja es scheint, als ob ein großer Teil der Juden, gleich welcher Richtung, bemüht ist, sich in keiner Weise irgendwie zu exponieren, um bei ähnlichen Aktionen nicht durch Inhaftnahme, Verhöre usw. in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
II 112-1
Die Tätigkeit der assmilatorischen Vereine ruht fast ganz. Die Mitglieder der Ortsgruppen des jüdischen Centralvereins kommen nur selten zusammen. Der Besuch ist äußerst gering.
Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten , der früher in seiner Werbe- und Veranstaltungstätigkeit sehr rege war, sind dadurch, daß er nur noch die Kriegsopferbetreuung durchführen darf, in seiner Betätigung enge Grenzen gezogen worden. Anfangs versuchte er noch, sogenannte Kameradschaftsabende, zum Teil mit Frauen, durchzuführen. Diese Art der Zusammenkünfte wurde ihm aber untersagt. Da die Vorträge über Kriegsopfer und ihre Betreuung aber immer die gleichen waren und einem geselligen Beisammensein nach den Vorträgen nicht stattgegeben wurde, ließ auch der Besuch dieser assimilatorischen Veranstaltungen stark nach. Dadurch wurde die Tätigkeit dieser Vereine auf ein Mindestmaß herabgedrückt. Nur für größere Gruppen oder Landesverbandstagungen ist noch starkes Interesse vorhanden. So veranstaltete im Oktober der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten in Jena eine Zusammenkunft für Thüringen. Obwohl die Ortsgruppe nur 14 Mitglieder zählt, nahmen über 200 Juden aus ganz Thüringen an der Veranstaltung teil. Wenn auch für den Abend ein prominenter Redner, Oberlandesgerichtsrat a.D. Dr. Ernst Rosenthal aus Berlin viel Anziehungskraft auf die Teilnehmer ausgeübt haben mag, so dürfte doch ein wesentlicher Grund für die starke Beteiligung darin zu sehen sein, daß hier die Möglichkeit eines gegenseitigen Gedankenaustausches gegeben war. - Solche Gruppenabende fanden u.a. statt in Nordhausen, Magdeburg und Leipzig.
Der frühere Paulusbund mußte im März seinen Namen ändern und nennt sich seitdem ''Vereinigung 1937''. Gleichzeitig mußten die ihm angehörigen getauften Volljuden und jüdisch versippten Arier ausscheiden und nur Mischlinge 1. und 2. Grades dürfen noch Mitglieder sein. Die einzigen in Dresden und Leipzig bestehenden Ortsgruppen traten schon in den Vorjahren wenig in Erscheinung. Seit der Umorganisation ruht die Tätigkeit fast ganz. Die Zahl der Mitglieder, die durch das Ausscheiden der Volljuden stark zusammengeschmolzen war, hat durch Neueintritte bisher nichtorganisierter Mischlinge derart wenig zugenommen, daß man daraus schließen kann, daß dem größten Teil der Mischlinge an einem Zusammenschluß wenig gelegen ist.
Die drei vorhandenen Ortsgruppen des ''Verein für das religiös-liberale Judentum'', Magdeburg, Halle und Dresden, traten mit keinerlei Veranstaltungen an die Öffentlichkeit. Die Mitgliederzahlen verlaufen in ständig ablaufender Linie. Der Nachwuchs fehlt vollkommen, und es dürfte in absehbarer Zeit mit der freiwilligen Auflösung der einen oder anderen Ortsgruppe, vor allem in Halle und Magdeburg, zu rechnen sein.
Nachdem der ''Ring'', Bund jüdischer Jugend am 30.12.36 seine behördlich angeordnete Auflösung erfahren hatte, konnten von etwaigen illegalen örtlichen Zusammenkünften der ehemaligen Mitglieder keine Wahrnehmungen gemacht werden. Der Übertritt in andere jüdische Jugendverbände, Sportorganisationen u. dergl., geschah nur vereinzelt, so daß eine Tarnung auf diesem Wege kaum im Bereich des Möglichen liegt. Der aktivste der assimilatorischen Vereine ist der Sportbund ''Schild ''. Allerdings besteht seine Tätigkeit fast ausschließlich in Übungsabenden, Wettkämpfen, Sportveranstaltungen und Vorstands- und Spielausschußsitzungen. Zu allgemeinen Versammlungen werden die Mitglieder in den seltensten Fällen zusammengerufen. Die Sportveranstaltungen rufen Interesse wohl nur bei den eigentlichen Mitwirkenden hervor. Zuschauer sind nur sehr wenige zu sehen. Selbst bei den Spielen für das jüdische WHW arbeiteten die Vereine zum Teil sogar mit einem Defizit. Zieht man einen Vergleich aus dem Vorerwähnten mit den verhältnismäßig hohen Mitgliederzahlen, so ergibt sich, daß wahrscheinlich der weitaus größte Teil der ''Schild''-Mitglieder dem Sportbund nur angehört, um in einer assimilatorischen Organisation zu sein, die wohl am wenigsten Aussicht hat, aufgelöst zu werden, wie etwa der CV .
II 112-2
Die Agudas Jisroel ist in Leipzig und Halberstadt vertreten. Die Veranstaltungen sind meistens religiöser Art. Die Jugendverbände der Agudas sprechen in ihrem Versammlungen wohl viel von der Auswanderung nach Palästina . Es finden auch Umschulungen und Hebräisch -Kurse statt, von einer Auswanderung selbst ist aber bei den Mitgliedern wenig bemerkbar, obgleich die Agudas Jugendbünde zahlenmäßig stärker sind als die eigentlichen Ortsgruppen, das auswanderungsfähige Alter also hier organisiert ist.
Im August fand in Marienbad in der C.S.R. der Weltkongreß der Agudas Jisroel statt. Es waren rund 700 Delegierte und ca. 2.000 Gäste anwesend. An der Eröffnung nahmen u.a. auch Vertreter der staatlichen und städtischen Behörden Marienbades teil. Ob und wieviel Vertreter aus Deutschland anwesend waren, konnte nicht festgestellt werden. Auffallend ist aber, daß nach dem Kongreß die Agudas Jisroel in Deutschland Rundbriefe herausgab mit dem Ziel, die jungen Mitglieder zu informieren, sowie Persönlichkeiten zu gewinnen und heranzubilden, die für eine Werbung Interesse zeigten.
Die ''Jüdische Winterhilfe'' hat im allgemeinen weniger Einnahmen zu verzeichnen als in den Vorjahren. Anläßlich einer Unterredung mit dem Vorsitzenden der Kultusgemeinde Chemnitz führte dieser als einen der Gründe die ''immer schwächer werdende wirtschaftliche Position der Juden'' an. Dem steht aber das bereits eingangs über die Etatgestaltung der jüdischen Gemeinden gesagte entgegen. Auch in Chemnitz wurde die Steuerquote für 1938 nicht erhöht, trotzdem sich die Gemeinde um 161 Mitglieder verringert hat und ''nur'' noch 1.673 Köpfe zählt. Für den Spendenrückgang dürfte also mehr die Schuld in der Opfermüdigkeit und dem wieder stärker hervortretenden Egoismus der Juden zu suchen sein.
Die vereinzelt im Gebiet ansässigen ''Ort ''-Mitglieder, die den verschiedensten jüdisch-politischen Richtungen angehören, traten nur wenig in Erscheinung. Von einer aktiven Tätigkeit oder einer Gruppenarbeit machte sich nichts bemerkbar. Trotzdem ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß für einzelne Gebiete Vertrauensmänner eingesetzt sind. Die Zahlungen laufen zwar von jedem Einzelmitglied über Postscheckkonto, Schriftverkehr mit der Zentrale in Berlin wurde aber nur bei dem Rabbiner Kahlenberg in Halle festgestellt. Wenn K. zwar auch nur lediglich einen Jahresbericht über die ''ORT''-Arbeit und verschiedene Prospekte erhielt, ist doch auffällig, daß dieser Bericht und die Prospekte nicht auch den anderen Mitgliedern zugeschickt wurden.
II 112-3
Nach dem Vorwärtsstürmen der zionistischen Bewegung in den letzten Jahren ist im vergangenen Jahr ein gewisser Stillstand, zum Teil sogar ein Rückgang in den Ortsgruppen des ZVfD zu verzeichnen. Nach dem allgemeinen Versammlungsverbot, das bis 1.2.37 lief, kam die Werbe- und Versammlungstätigkeit der Zionisten eigentlich nicht mehr so recht in Fluß. Hinzukam die Unsicherheit in Palästina und später die Ungewißheit durch den Teilungsplan. Die bisherige Art der Propaganda half nicht mehr. Immer mehr zogen sich die Anhänger von einer aktiven zionistischen Politik im Sinne einer Auswanderung nach Palästina zurück. Diese ungeklärte Lage blieb auch nicht ohne Wirkung auf die Umschulungs- und Jugendorganisationen der Zionisten. Es finden wohl weiterhin Umschulungskurse statt, ein Teil der jungen Zionisten geht weiter in die Umschulungslager, das Hinwenden zur Landwirtschaft hält weiterhin an, es fehlt der Masse der zion. Bewegung aber der Elan und die Begeisterung, die in den zionistischen Organisationen noch Ende 1936 zu finden waren. Bereits fällt ein Teil der nach 1933 zum Zionismus gestoßenen Juden wieder ab. Bezeichnend hierzu sind 3 Fälle:
Anfang November war in Eisenach eine Mitgliederversammlung der zionistischen Ortsgruppe mit ihren Jugendverbänden einberufen. Anwesend waren nur 10 Mann, so daß sich der Vorsitzende zu der Erklärung gezwungen sah, wenn keine Besserung eintrete, die Tätigkeit wegen mangelndem Interesse der Mitglieder einzustellen.
In Magdeburg war der Vorsitzende des Hechaluz seines Postens wegen Sabotage behördlicher Anordnungen enthoben worden. Außerdem erhielt der Verein 2 Monate Versammlungsverbot. Trotzdem nun das Versammlungsverbot seit geraumer Zeit abgelaufen ist, kamen die Mitglieder noch nicht wieder zusammen.
In Dresden hat sich die zion. Jugendgruppe wegen zu gering gewordener Mitgliederzahl selbst aufgelöst. Betrachtet man sich diese Erscheinungen gebietsmäßig, so fällt auf, daß das Interesse für den Zionismus dort noch am stärksten ist, wo der Ostjude sitzt; z.B. in Leipzig. Die Verfallserscheinungen aber treten dort am meisten hervor, wo hauptsächlich Juden mit deutscher Staatsangehörigkeit sitzen. Diesen Juden war der Zionismus in den Jahren nach 1933 zum größten Teil nur der Ausweg, der am schnellsten Erfolg versprach. Immer mehr kommt aber ihr altes Assimilantentum zum Vorschein. Daraus erklärt sich auch, daß auswandernde Mitglieder zionistischer Organisationen nicht nach Palästina gehen, sondern immer mehr die Überseeländer, besonders Südamerika, bevorzugen.
Diese Verfallserscheinung des Zionismus hat ihren Grund aber nicht nur in der z.Zt. ungeklärten Lage und der Auswanderungshilfe nach Übersee durch nichtzionistische Organisationen, sondern ist zu einem großen Teil auch darauf zurückzuführen, daß es den Zionisten an fähigen Führern fehlt. Die eingearbeiteten örtlichen Führer, die tatsächlich noch mit Eifer für ihre Sache fochten und in der Lage waren, überzeugende Propaganda im Kleinen zu führen, sind als erste ausgewandert, ohne daß sie für den Nachwuchs gesorgt hätten, der ihr Werk weiter vorwärts trieb. Wenn heute eine Ortsgruppe Erfolg haben will, muß sie sich prominente Mitglieder, möglichst aus Berlin kommen lassen. Daß von diesen Leuten versucht wird, neue Wege in der Werbung durch öffentliche Vorträge zu gehen, ersieht man an einer kürzlich in Magdeburg stattgefundenen Veranstaltung, auf der der Jude Walter Tempel vom K.H. aus Berlin sprach. Tempel packte die zuhörenden Juden an ihrer empfindlichsten Stelle, der Wirtschaft oder dem Geldverdienen. Er appellierte also nicht an den Idealismus. Er wies nach, daß auch heute noch, trotz ''Terror'' und Unsicherheit in Palästina jeder sein Auskommen findet, wenn er es nur richtig anfängt und nicht glaubt, er müsse bei jeder Gelegenheit eine ''Konjunktur ausnützen''. Er bewies, daß auch ein vernünftig geleiteter Landwirtschaftsbetrieb seinen Mann ernährt.
Daß Tempel die richtige Art getroffen hatte, bewies der starke Beifall der diesmal ziemlich zahlreich erschienenen Zuhörer.
Die Arbeit der Sportgruppen des Makkabikreises verläuft in derselben Richtung wie die des ''Schild''. Auch hier beschränkt sich das Interesse für den Sport lediglich auf die Jugend und da wieder auf die ''Aktiven''. Zuschauer bei den Wettkämpfen sind nur in geringer Zahl vorhanden.
Abschließend kann gesagt werden, daß die augenblickliche Lage der Assimilation bessere Zukunftsaussichten hat, wie die des Zionismus. Bieten doch die assimilatorischen Verbände diesselben, vielleicht sogar bessere Möglichkeiten für Auswanderungslustige, wie die der Zionisten. Außerdem hat der Jude in außerpalästinensischen Ländern bessere Möglichkeiten, in seinem alten gewohnten Beruf unterzukommen, als in Palästina. Zum anderen ist der größte Teil der jahrelang in Deutschland lebenden Juden einschließlich seiner Nachkommen bereits zu sehr daran gewöhnt, von der Arbeit anderer zu leben, als daß er den Idealismus aufbrächte, mit seiner Hände Arbeit ein so unsicheres Gebilde, wie Palästina heute scheint, kolonisieren und aufbauen zu helfen.