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Chronik und Quellen
1937
Dezember 1937

Bericht des SD-Oberabschnitts Ost II 112

Ohne Datum berichtet der Sicherheitsdienst des SD-Oberabschnitts Ost für das Jahr 1937 aus Berlin:

Maßgebend für die Haltung der Juden in Deutschland, die am besten in Berlin zu beobachten ist, waren im Jahre 1937 zwei Faktoren: die unsichere Lage in Palästina und das immer schärfere Durchgreifen der Staatspolizei . Obgleich die Zionisten es verstanden, durch eine großangelegte Propaganda ihren Anhängerkreis weiter auszubauen, indem sie die Lage in Palästina günstiger hinstellten als sie tatsächlich ist, wurde doch die Unruhe der breiten jüdischen Masse von Monat zu Monat größer, denn die Ungewißheit über ihre Zukunft stieg [sic] ihnen immer klarer vor Augen. Andererseits griff die Staatspolizei schärfer als zuvor durch. So wurde gleich am Beginn des Jahres für sämtliche jüdischen Vereine ein Verbot jüdisch-politischer Versammlungen und Veranstaltungen ausgesprochen, das dann auf die Monate April, Mai und Juni verlängert wurde. Der Grund hierzu war meistens ein Vergehen gegen die Bestimmungen über die Anmeldepflicht von Versammlungen. Nach Aufhebung des Verbotes setzte dann eine ruhige Versammlungstätigkeit ein mit ca. 35 Veranstaltungen am Tage gegen 70 im Vorjahr. Durch diesen Druck gezwungen, andererseits aber auch, weil der Jude erkannte, daß es für ihn zur Zeit der beste Weg war, zog er sich zurück und versuchte, sich als einzelner möglichst unauffällig zu benehmen. Die Folge war, daß sich in den Bezirken, in denen die Partei die Bevölkerung nicht restlos in der Hand hat, eine allgemeine Uninteressiertheit der Judenfrage gegenüber breitmachte. Ganz besonders war dies in den ländlichen Bezirken des Westhavellandes und im Kreise Rathenow zu beobachten. In anderen Gebieten bewirkte eine vorbildliche Schulung der Bevölkerung durch Vorträge und Ausstellungen dagegen eine geradezu panische Abwanderung. Mit der Einstellung der Bevölkerung zum Judentum steht und fällt der Jude in der einzigen Machtstellung die er noch hat, im Handel und in der Wirtschaft. Hier hat sich auch im Berichtsjahr nur wenig geändert. Immer wieder versteht es der Jude durch geschickte Reklame und Lockpreise, die Bevölkerung in sein Geschäft zu ziehen. Außerdem kann er durch gute Verbindungen billiger und besser einkaufen als der deutschblütige Händler.

Die Unruhen in Palästina sind naturgemäß auf die Auswanderungsbewegung der Juden aus Deutschland nicht ohne Einfluß geblieben. So zeigen auch die über die Abwanderung aus Berlin vorliegenden Zahlen eine stark abfallende Kurve. Im Jahre 1937 sind insgesamt 8.679 Juden aus Berlin fortgezogen. Bei einer Zuzugsziffer von 6.275 bleibt ein Abwanderungsüberschuß von 2.404 oder monatlich 201 Personen. Gegenüber dem Monatsdurchschnitt von 1936 mit 414 ist ein Sinken um beinahe 53% festzustellen. Das Bestreben der Juden, möglichst unerkannt zu leben, hat zu einer ständigen Abwanderung vom Lande in die größeren Städte, insbesondere nach Berlin geführt. Der monatliche Durchschnitt der Zuwanderung nach Berlin war 523. Auffallend war weiter eine verhältnismäßig starke Zuwanderung von Juden aus dem Ausland nach Berlin. So waren unter 4.989 nach Berlin gezogenen Juden 3.819 aus dem Reich und 1.170 aus dem Ausland, davon 97 aus Palästina, und zwar in der Zeit vom 1.1.-1.7.37. Das Jahr 1937 brachte einige Veränderungen innerhalb des jüdisch politischen Lebens mit sich. Gleich zu Beginn wurde der ''Ring'', Bund jüdischer Jugend , der bereits im vergangenen Jahr verschiedentlich Versammlungsverbote erhielt, endgültig aufgelöst. Ebenso mußte über eine ganze Anzahl jüdischer Vereine zeitliche Betätigungsverbote verhängt werden. Nach einer Verfügung des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 18.5.37 mußte sich der ''Paulus Bund '' in ''Vereinigung 1937 - vorläufige Reichsbürger nicht rein deutschblütiger Abstammung'' umbenennen. Dadurch daß der Verein nur noch Mischlinge ersten und zweiten Grades aufnehmen darf, ist seine Mitgliederzahl auf ca. 8.000 zurückgegangen. Den volljüdischen Mitgliedern wurde anheimgestellt, dem Kulturbund beizutreten. Durch diese Maßnahme verlor der Bund seine Aktivität und Bedeutung. Die am 19.4.1937 erfolgte Auflösung des U.O.B.B. verlief vollkommen reibungslos. Die jüdische Öffentlichkeit verhielt sich äußerst zurückhaltend und abwartend. Als sich keine weiteren Folgerungen zeigten, war auch für sie die Angelegenheit erledigt. Aus dem beschlagnahmten Schriftenmaterial war zu ersehen, daß die Aktivität der Logen von Jahr zu Jahr nachgelassen hatte, teilweise sogar vollständig aufgehört hatte und die Zahl der Mitglieder immer mehr abnahm.

Die Satzungen des ''Reichsverbandes jüdischer Frontsoldaten '' mußten auf Veranlassung der Staatspolizei dahin abgeändert werden, daß nur noch Frontsoldaten Mitglieder sein dürfen und die Betätigung des Verbandes eine rein unterstützungsmäßige bleibe. So wurde auch diesem assimilatorisch ausgerichteten Verein der Wirkungskreis genommen.

Eine große Unruhe innerhalb der jüdischen Bevölkerung Berlins bewirkte die Schließung der Iwria -Bank, die zuletzt unter großen Schwierigkeiten von der Jüdischen Gemeinde gehalten wurde. Der derzeitige Vorsitzende der Bank Dir. Kareski mußte aus diesem Grunde aus dem Vorstand der Gemeinde ausscheiden.

Bei den im September stattgefundenen jüdischen Festen Versöhnungs-, Neujahrs- und Laubhüttenfest, hat sich gezeigt, daß der religiöse Zusammenhalt der Juden erheblich stärker geworden ist. Die Synagogen reichten bei weitem nicht aus, und so mußten zahlreiche andere Säle hinzugenommen werden. Die Anzahl der aus diesem Anlaß veranstalteten Feiern war doppelt so groß wie im Vorjahr.

Die am 10.11.37 erfolgte Schließung der Jüdischen Telegrafen Agentur wurde in der jüdischen Öffentlichkeit dahin ausgelegt, daß im Jahre 1938 neue Gesetze gegen sie erlassen würden und sie mit einem stärkeren Druck zu rechnen hätten.

Wie bereits am Beginn gesagt wurde, konnten die Zionisten ihren Kreis stark vergrößern. Der ZVfD war auch wie keiner anderen Organisation die Gelegenheit zur uneingeschränkten Propaganda gegeben. In den im Oberabschnittsgebiet bestehenden 8 Umschulungslagern wurden im Berichtsjahr 500 Juden ausgebildet. Das größte Lager, Lehrgut Winkel, faßt z.Zt. 100 Personen. Auffallend war, daß sich unter den Lehrgangsteilnehmern eine große Anzahl Ausländer und Staatenlose befanden. Da die Teilnehmer nach Beendigung des Kursus zunächst in ihre Heimatorte zurückgingen, war es nicht möglich festzustellen, wieviel von den Umgeschulten tatsächlich auswanderten. Die Staatszionisten errichteten erstmalig im September in Polenzwerder b. Potsdam ein eigenes Umschulungslager, das aber nur ca. 20 Personen fassen kann. Eine weitere starke Werbetätigkeit entfaltete der Jüdische Kulturbund. Er machte sich frei von den sonstigen allgemein üblichen Theaterstücken und brachte rein jüdische Schauspiele heraus, so ''Der Golem'' von Leiwik und ''Der Schatz'' von Scholem Alejchem. Auch die Konzertabende wurden fast ausschließlich mit Werken jüdischer Komponisten ausgefüllt. Durch zahlreiche Vortrags- und Schulungsabende, die sich einer starken Besetzung erfreuten, wurde für die jüdische Kultur-, Geschichts- und Religionswerte propagiert.

Die maßgeblichen jüdischen Zeitungen, CV-Zeitung , Jüdische Rundschau und das Jüdische Familienblatt brachten trotz der Verschiedenheit der inneren Einstellung fast ausschließlich zionistisch ausgerichtete Artikel. Das ganze Jahr hindurch war die Teilung Palästinas nach dem Peel-Plan der Hauptgegenstand der Erörterung. Neben den rein jüdisch politischen Artikeln wurde dem kulturellen Teil immer mehr Platz eingeräumt. Während in der Abfassung von Berichten über die Lage in Deutschland die größte Zurückhaltung gewahrt wurde, wurde der Abwehrkampf anderer Länder gegen das Judentum wie Polen und Rumänien scharf kritisiert.

Die Zahl der in den öffentlichen Schulen, Berlins noch eingeschulten jüdischen Kinder ist im Verhältnis zur jüdischen Bevölkerung nicht mehr sehr groß, obgleich sie mit 1% etwas über dem Reichsdurchschnitt von 0,68% liegt. Die Mehrzahl ist in den z.Zt. bestehenden 27 jüdischen Höheren- und Volksschulen untergebracht. Die Herausnahme der Juden aus den Berufs- und Fortbildungsschulen ist ebenfalls geplant.

Wie schon in allen Jahren so waren auch in diesem die im Berlin gelegenen Ausflugsorte und Bäder das Ziel der Berliner Juden, die hier in Massen zusammenkamen und deshalb sowie aufgrund ihrer reichen Geldmittel ein teilweise sogar herausforderndes Benehmen zeigten. Da keine gesetzlichen Handhabungen bestanden, die ein Fernhalten der Juden von den schönsten Plätzen der Mark rechtfertigen könnten, haben einige Gemeinden von sich aus versucht, durch Zusammenziehen von SA , SS und HJ , sowie durch Aufstellen von Schildern mit Inschriften wie: ''Juden unerwünscht'' und ähnlich, diese abzuhalten. Der Erfolg war jedoch fast immer negativ. Das gleiche Bild bot der Kurfürstendamm in Berlin und die angrenzenden Straßenzüge. In Zusammenarbeit mit der Staatspolizeileitstelle Berlin wurden Schritte unternommen, um diesem unerträglichen Zustand, der besonders auf die Berlin besuchenden Ausländer einen unerfreulichen Eindruck hinterließ, abzustellen. Der erste Erfolg war, daß der ''Deutsche Makkabikreis e.V. Berlin'', der über 4.700 Mitglieder verfügt, seinen Mitgliedern den Besuch arischer Lokale am Kurfürstendamm verboten hat.

In seiner assimilatorischen Einstellung wird der Jude dadurch gestärkt, daß weite Kreise der Bevölkerung auf dem Lande sowie in der Stadt ihre Einkäufe in jüdischen Geschäften tätigen und jüdischen Rechtsanwälte und Notare von Deutschblütigen in Anspruch genommen wurden. - Die jüdischen Kaufhäuser haben teilweise ihren Umsatz gegen 1936 verdoppelt. Das bekannte Kaufhaus Schocken in Cottbus hat seine alte Monopolstellung in der Niederlausitz wieder erreicht. Aber nicht nur im Kleinhandel, sondern auch im Häute und Fellgroßhandel, sowie in der diesen angeschlossenen Gerberindustrie konnte der Jude seinen Einfluß vergrößern und hierfür die weitaus meisten Kontingente erlangen. So liegt z.B. die Verteilung der Häute und Felle in der Stadt Kirchhain, Kreis Luckau, dem Zentralpunkt der deutschen Lederindustrie, zum größten Prozentsatz in den Händen jüdischer Firmen. Vorstellungen bei der Wirtschaftsgruppe wegen dieses Zustandes blieben erfolglos mit dem Hinweis, daß die Höhe der Kontingente nach der Höhe des Exports berechnet werde. Die Folge ist, daß die jüdischen Händler ihre Rassegenossen vorzugsweise beliefern und die arischen Lederfabriken keine Rohwaren bekommen können.

Das gleiche Bild bietet der Viehhandel . Während es gelang im Laufe des Jahres, hauptsächlich auf Grund des Schlachtgesetzes, den Juden aus dem Schlachtviehhandel zu entfernen, ist im Zuchtviehhandel noch keine Besserung eingetreten. Nach wie vor besitzt der Jude gute Einkaufs- und Absatzbeziehungen. Außerdem verfügt er über größere Geldmittel, sodaß er fast ausschließlich bar zahlen kann.

Im Getreidehandel konnte der Jude gänzlich ausgeschaltet werden.

Auf den Jahr- und Wochenmärkten in der Provinz und in Berlin hatten die jüdischen Händler ausschließlich 20-40% der Stände inne. Die Ursache ist darin zu sehen, daß einmal der Jude sich besonders für einen derartigen Verkauf seiner meist minderwertigen Ware eignet, zum andern aber von den zuständigen Ämtern ihm bedenkenlos Gewerbescheine ausgehändigt werden. Auf allen Märkten wurde beobachtet, daß die Stände der Juden geradezu umlagert waren. Teilweise konnte durch Vermittlung erreicht werden, daß den Juden zumindest eine besondere Ecke des Marktes zugeteilt wurde, aber auch dies verhinderte nicht, daß ihr Absatz sehr groß war.

Im Haus- und Grundstückserwerb war es nicht möglich, den Juden herauszudrängen. Selbst in der Fachschaft der Häusermakler Berlins befinden sich noch zu 50% Nichtarier. Gegen Ende des Jahres setzte eine stärker werdende Aufklärungsarbeit der NSDAP ein. In Berlin wurde diese Periode mit der Ausstellung ''Juden und Bolschewismus'' eröffnet. Die einzige antisemitische Kampfzeitung ''Der Stürmer '' brachte verschiedene Sonderausgaben, in denen ganz besonders schwerwiegende Rasseschandeprozesse beleuchtet wurden.

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