Bericht des SD-Oberabschnitts Süd-Ost II 112
Ohne Datum berichtet der Sicherheitsdienst des SD-Oberabschnitts Süd-Ost für das Jahr 1937 aus Breslau:
Das Jahr 1937 hat im allgemeinen für die Juden in ihrem Eigenleben keine bedeutsame Veränderung gebracht. Die Gesamtzahl der Juden hat in Schlesien durch Abwanderung und Zuwanderung nur eine unbedeutende Veränderung erfahren. Der schon in den Vorjahren beobachtete Zuzug in den größeren Gemeinden vom flachen Lande her hat auch in diesem Jahre angehalten. Verstärkt wurde diese Bewegung in Oberschlesien durch den Ablauf des Genfer Abkommens am 15.7.1937. Sie hat dazu geführt, daß außer den niederschlesischen Synagogengemeinden Freystadt, Freiburg und Striegau, die in der ersten Hälfte des Jahres aufgelöst wurden, nun auch die Synagogengemeinden in Guttentag, Landsberg und Rosenberg O/S. kurz vor der Auflösung stehen.
Die Wanderungsbewegung geht wie bisher von Osten aus Oberschlesien über Breslau nach dem Reich.
Im jüdischen Gemeindeleben zeigt sich, daß die religiösen Richtungen sich zum Teil unter dem Druck finanzieller Nöte im Gemeindeleben enger zusammenschließen. So werden nunmehr auch in der Synagogengemeinde Gleiwitz O/S. die Gottesdienste der Konservativen und Liberalen zusammen stattfinden.
Gleichlaufende Bestrebungen zeigen sich im jüdischen Schul- und Lehrwesen . Dem niederschlesischen jüdischen Lehrerverein ist es im Laufe des Jahres nicht nur gelungen, alle jüdischen Lehrer in den Regierungsbezirken Breslau und Liegnitz zu erfassen, sondern er konnte im Dezember 1937 auch die bisher getrennt organisierten oberschlesischen Lehrer in sich aufnehmen.
Das jüdische Bildungswesen ist im Laufe des Jahres weiterhin ausgebaut worden. Das Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau zeigte anläßlich einer Jubelfeier für die Gründer im Frühjahr 1937 seine Bedeutung für das Judentum der Oststaaten durch Verleihung von Preisen an junge Theologen aus dem Osten und Südosten Europas.
Der Streit im jüdischen Schulwesen in Breslau zwischen der zionistischen Richtung, die im ''Jüdischen Schulverein'' vertreten ist, und den Assimilanten , deren Organisation der ''Neue deutsche Schulverein'' ist, wurde durch Eingreifen der Reichsvertretung der Juden im August 1937 beigelegt und endete praktisch mit einem Sieg der zionistischen Richtung.
Für die jüdischen Kinder auf dem flachen Lande ist die Einrichtung von Bezirksschulen geplant, deren erste in Kreuzburg O/S. eingerichtet werden soll.
Im jüdisch-kulturellen Leben ist das weitere Wachsen des ''Jüdischen Kulturbundes '' festzustellen. Der ''Oberschlesische Jüdische Kulturbund'' ist im Herbst 1937 mit dem ''Niederschlesischen Jüdischen Kulturbund'' vereinigt worden. Die Darbietungen stammten in größerem Maße als im Vorjahre von jüdischen Künstlern selbst.
Das Umschulungswesen für die Auswanderung erfuhr eine Erweiterung durch die Vorbereitung eines neuen Umschulungslagers in Ellguth bei Steinau O/S., das mit Unterstützung der Reichsvertretung der Juden eingerichtet wird. Es bestehen somit z.Zt. in Schlesien zwei große Umschulungslager, die insgesamt etwa 200 bis 240 Schüler aufnehmen können. Dazu kommt im Kreise Schweidnitz eine kleine Lehrgärtnerei, die etwa 12 bis 20 Schüler aufnehmen kann.
Die Tätigkeit der assimilatorischen Vereine hat mit Beginn des Herbstes eine Verstärkung erfahren, nachdem der Sommer infolge des zweimonatigen Versammlungsverbotes außerordentlich ruhig verlaufen war. Während der ''Jüdische Zentralverein'' und mit ihm der ''Reichsbund jüdischer Frontsoldaten '' in Oberschlesien seine Bedeutung innerhalb der jüdischen Bevölkerung auch nach dem Ablauf des Genfer Abkommens am 15.7.1937 erhalten konnte, verliert er in Mittel- und Niederschlesien ständig an Einfluß gegenüber den Zionisten. So erreichten die Zionisten im Sommer 1937 in der Großgemeinde Breslau die 50%ige Beteiligung im Synagogenvorstand. Breslau galt bis dahin als eine liberal geführte Synagogengemeinde.
Der ''Reichsbund jüdischer Frontsoldaten'' hat die Tätigkeit seiner Sportgruppe aktivieren können. Am 28.2.1937 führte er in Hindenburg O/S. die Reichsschwimmeisterschaften durch, die mit einem vollen Werbeerfolg für den Reichsbund ausgingen. Ebenso waren die im Februar veranstalteten Heldengedenkfeiern des Reichsbundes durchweg von den Gemeinden gut besucht worden. Bei dem in November 1937 in Breslau durchgeführten jüdischen Schwimmfest fanden sich zum ersten Mal Mitglieder des Sportbundes ''Schild '' mit Sportlern des ''Makkabi -Kreises'' zum Wettbewerb zusammen. An diesem Schwimmfest beteiligen sich auch Wiener Schwimmer.
Die Zionistische Bewegung hat von Anfang an eine lebhafte Versammlungstätigkeit gezeigt, die im Sommer durch das Versammlungsverbot auf zwei Monate unterbrochen wurde. Fortschritte sind gleichmäßig in allen Teilen Schlesiens gemacht worden. Die Sportgruppen sind ebenfalls stärker ausgebaut worden. Bei dem Schwimmfest in Breslau im November 1937 trafen zum ersten Mal Sportler der zionistischen Richtung in größerer Zahl mit Assimilanten zusammen. Die Tätigkeit war auf die Verstärkung der Auswanderung ausgerichtet. Im Vordergrund stand weiterhin die Beschäftigung mit den Vorgängen in Palästina und Osteuropa. Das Verbot der ''Jüdischen Zeitung'' Breslau im Mai 1937 bedeutete einen wesentlichen Verlust für die zionistische Bewegung, da dieses Blatt in ihrem Sinne redigiert worden war.
Die Staatszionisten , die nie eine bedeutende Rolle in Schlesien gespielt haben, verloren ihre Ortsgruppe in Beuthen O/S. Infolge Abwanderung der meisten Mitglieder mußte sie aufgelöst werden.
Die orthodoxen und caritativen Organisationen traten wenig in Erscheinung. Sie arbeiteten vornehmlich mit den Zionisten zusammen, auf deren Seite sie auch im Breslauer Schulstreit traten.
Die Lage in regionaler Hinsicht
Während die Juden bis zum 15.7.1937, dem Zeitpunkt des Ablaufs des Genfer Abkommens, in Oberschlesien als nationale Minderheit behandelt werden mußten, sind sie von diesem Zeitpunkt ab den Reichsgesetzen unterworfen. Dementsprechend sind mit dem 15.7. bezw. in den folgenden Monaten die Juden in Oberschlesien aus allen öffentlichen Ämtern und Ehrenämtern entfernt worden. Ein Teil der Juden hatte es vorgezogen, schon vor diesem Zeitpunkt Oberschlesien zu verlassen und vor allem den ländlichen Grundbesitz abzustoßen. Eine ernsthafte Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Juden ist aber in Oberschlesien nicht eingetreten, um so weniger, als ein außerordentlich hoher Prozentsatz der oberschlesischen Juden wirtschaftlich selbständig ist. In den ersten Wochen nach dem Ablauf des Genfer Abkommens kam es zu gelegentlichen Übergriffen der Bevölkerung, die aber durch das herausfordernde Verhalten einiger Juden verursacht worden waren. Eine Überprüfung des jüdischen Lebensmittelkleinhandels in Oberschlesien führte zur Schließung von 37 Lebensmittelgeschäften und Schankstätten.
Organisatorische Veränderungen
Am 19.4.1937 wurden die schlesischen Logen des unabhängigen Ordens ''B'ne Brith '' aufgelöst, mit Ausnahme der oberschlesischen Logen, die sich bis zum Ablauf des Genfer Abkommens selbst auflösten. Die Auflösung der Loge zeigte, daß diese Einrichtung von den Juden selbst im allgemeinen vernachlässigt worden war. Der ''Oberschlesische Kulturbund'' ging ebenso wie der ''Oberschlesische Verein jüdischer Lehrer'' in den entsprechenden Vereinigungen für Gesamtschlesien auf. Das jüdische Umschulungslager in Guttentag O/S. löste sich mit Ablauf des Genfer Abkommens am 15.7.1937 selbst auf.
Inländische Gegner
Die Verbindung des Judentums mit der Freimaurerei hat nicht nur bis zur Auflösung der jüdischen Logen bestanden, sondern sie besteht noch heute darüberhinaus besonders auf wirtschaftlichem Gebiet.
Die Verbindung zur katholischen Kirche ist seitens der Juden in Oberschlesien durch Einzelbekanntschaften gepflegt worden. Auffällig waren in der ersten Hälfte des Jahres einige Judentaufen in Oberschlesien, die bis dahin schon zur Seltenheit geworden waren. Anläßlich der Auflösung der jüdischen Loge in Neisse wurde bei dem Vorsitzenden eine päpstliche Enzyklika vom 14.3.1937 vorgefunden, die dem Juden angeblich von einem Franziskaner geschenkt worden ist.
In engere Berührung kommt das Judentum mit der evangelischen Kirche in der ''Vereinigung 1937'' (früher Paulus-Bund ), deren Mitglieder hier in Schlesien überwiegend zur evangelischen Kirche gehören.
Vor dem Ablauf des Genfer Abkommens wurde in Oberschlesien beobachtet, daß einige Juden Mitglieder der Sekte der Adventisten wurden. Hin und wieder nahmen auch Jüdinnen an den Gottesdiensten der ''Christlichen Wissenschaftler'' in Breslau teil.
Die Verbindung zu den ehemaligen Angehörigen der marxistischen Parteien wird noch in den zahlreichen jüdischen Gastwirtschaften Oberschlesien und einiger Landstädte des Regierungsbezirkes Liegnitz gehalten. Auch dient das Wandergewerbe zum Teil dazu, diese Verbindung aufrechtzuerhalten.
Dadurch daß die ''Breslauer Zeitung'' am 1.5.37 ihr Erscheinen einstellte, hat das Judentum die letzte Tageszeitung verloren, die im Rahmen des Möglichen hier in Breslau noch liberalistische und jüdische Tendenzen vertrat.
Die Verbindung zur politischen Reaktion besteht über die wirtschaftliche Zusammenarbeit namentlich im Getreidegroßhandel, Viehgroßhandel und Holzgroßhandel, zumal ein erheblicher Teil der schlesischen Großgrundbesitzer jüdisch versippt ist.
Da ein großer Teil der schlesischen Juden Verwandte als Emigranten im nahen Ausland hat, besteht eine enge Verbindung namentlich nach der Tschechoslowakei. Die ungünstige Grenzlage Schlesiens unterstützt die Bestrebungen der Juden über die Grenze hinweg mit ihren Angehörigen und Gesinnungsgenossen Verbindung zu halten. Für die Reisen nach den nahen Beskiden und nach Polen werden polnische Reisebüros auf deutschem Boden in Anspruch genommen. Ebenso wir mit der polnischen Minderheit in Oberschlesien sympathisiert.
Gemeinschaftsleben
Im Gemeinschaftsleben macht sich immer noch der hohe Prozentsatz jüdischer Rechtsanwälte , von denen noch 150 in Schlesien tätig sind, und der hohe Prozentsatz jüdischer Ärzte (in Breslau gegen 14%) außerordentlich störend bemerkbar. Die jüdischen Ärzte verfügen im allgemeinen über einen guten Patientenkreis, da sie teils von den politischen Gegnern des Nationalsozialismus aufgesucht werden, teils auch wegen ihrer größeren Geschicklichkeit im Umgang mit Patienten mehr Zulauf haben.
Während noch Anfang des Jahres 1937 dem Juden die Möglichkeit gegeben war, arische Hausangestellte unter 45 Jahren zu beschäftigen, sofern diese die polnische oder tschechische Staatsangehörigkeit besaßen, ist durch Anordnung des Landesarbeitsamtes die Möglichkeit durch entsprechende Anordnungen genommen worden.
Wirtschaftsleben
Im Wirtschaftsleben hat im Jahre 1937 die Stellung der Juden keine erhebliche Schwächung erfahren. Die Umsätze namentlich in der Textilindustrie und im Textilgroßhandel, sowie im Eisengroßhandel, Holzgroßhandel, Getreidegroßhandel sind gut geblieben. Im Einzelhandel sind sie teilweise erheblich gestiegen. Trotz alledem ist nicht zu verkennen, daß die kleinen jüdischen Gewerbetreibenden, die ihre Kundschaft nur in jüdischen Kreisen haben, außerordentlich schwere Existenzbedingungen haben, die aus der fortschreitenden Verarmung der unteren jüdischen Schichten zu erklären sind.
Die Übereignung jüdischer Geschäfte in arische Hände ist in der zweiten Hälfte des Jahres wesentlich stärker betrieben worden. Dazu kommt die namentlich in Oberschlesien planmäßig durchgeführte Überprüfung jüdischer Lebensmittelgeschäfte und Schankstätten, als deren Ergebnis allein in Oberschlesien 37 Betriebe und in Breslau, 11 Betriebe polizeilich geschlossen worden sind. In Niederschlesien wurden vorübergehend einige jüdische Textil- und Ledergeschäfte wegen Verstoßes gegen die Preisstopverordnung geschlossen.
Bei der im Herbst in Breslau durchgeführten Entrümpelungsaktion wurde beobachtet, daß ein erheblicher Teil des gesammelten Altmaterials zur Weiterverwertung an jüdische Rohproduktengroßhändler gegeben wurde, anstatt das Material nur den arischen Händlern zuzuleiten.
Verhältnis zum Ausland
Für die Verbindung zum Ausland nimmt der Reichsverband polnischer Juden in Deutschland mit seinen Ortsgruppen im oberschlesischen Industriegebiet und in Breslau eine Sonderstellung ein. Dieser Verband verstand es, gute Verbindung zu den Vertretern anderer Staaten zu halten, sodaß die Breslauer Ortsgruppe des Verbandes bei ihrer Purimfeier im Jahre 1937 sowohl den italienischen als auch den tschechoslowakischen Konsul begrüßen konnte.
Gegenarbeit anderer Gruppen
Die Gegenarbeit gegen den Einfluß des Judentums wird vornehmlich von der schlesischen nationalsozialistischen Gaupresse geführt. Die ''Schlesische Sonntagspost'' berichtet fortlaufend über den Einfluß des Judentums in Schlesien und geht mit diesen Berichten bis in die neueste Gegenwart. Sie ergänzt damit die Arbeit des ''Stürmers '', der nach Ablauf des Genfer Abkommens nunmehr auch in Oberschlesien unbehindert verbreitet werden kann. Die SA führte vor Weihnachten 1937 in Oberschlesien einen Aufklärungsfeldzug im Industriegebiet durch und warnte namentlich an den offenen Sonntagen vor dem Besuch jüdischer Geschäfte. Diese Aufklärungsarbeit ist aber im allgemeinen noch für weite ländliche Kreise notwendig, wo namentlich die Kleinbauern und die Landarbeiterschaft noch nicht hinreichend aufgeklärt worden sind. Das ''Rassenpolitische Amt'' der Gauleitung Schlesien veranstaltet seit dem Frühjahr 1937 eine Wanderausstellung ''Volk und Rasse'' in der auch auf den schädlichen Einfluß des Judentums hingewiesen wird.
Seitens weiter Kreise der Bevölkerung wird es nicht verstanden, daß dem Juden im Grenzverkehr keine Beschränkungen besonderer Art auferlegt werden. Infolge der Lage der meisten schlesischen Kurorte an der tschechischen Grenze ist es den jüdischen Kurgästen, die nicht nur aus Deutschland, sondern zum erheblichen Teil auch aus Polen und vom Balkan kommen, leicht möglich, über die Grenze hinweg mit jüdischen Emigranten und anderen Gegnern des Staates in Verbindung zu treten. Die bestehenden Devisenbestimmungen ermöglichen es dem Juden dazu noch, deutsche Währung über die Grenze zu schleppen.
Ebensowenig wird von seiten der arischen Bevölkerung verstanden, daß dem Juden immer noch Wandergewerbescheine gegeben werden. Es hat sich leider wiederholt gezeigt, daß die staatspolizeiliche Ablehnung jüdischer Hausierer von den Verwaltungsgerichten nicht anerkannt worden ist. Aus formellen Gründen sind den Juden die Gewerbescheine erteilt worden.