Die Gestapo berichtet aus Osnabrück
Die Gestapo des Regierungsbezirks Osnabrück erstattet am 10. Oktober 1935 folgenden Bericht für September 1935:
Im Gegensatz zum Vormonat, in dem durch die Aktion der Bewegung gegen den politischen Katholizismus und das Judentum die Gemüter allgemein in Erregung geraten und durch die getroffenen Maßnahmen naturgemäß nicht unerhebliche Spannungen ausgelöst worden waren, war die innerpolitische Entwicklung im Monat September ausgesprochen ruhig. [...)
Die Verkündung des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre sowie des Reichsflaggengesetzes wurde überall ganz besonders freudig begrüßt. (…)
Opposition (''Schwarze Front'', ''Tannenbergbund'' usw.) (…)
Die Bestrebungen des Ludendorff -Verlages zur Verbreitung der deutschen Gotterkenntnis wurden fortgesetzt. Im Berichtsmonat fand eine öffentliche Versammlung in Osnabrück statt, die von etwa 200 Personen besucht war. Die Rednerin - Frau Ilse Wentzel aus Blankenburg i. Harz - sprach über das Thema ''Das Wirken der deutschen Volksseele aus der Einheit von Blut und Glauben''. Sie führte aus, daß das Streben des Volkes in seiner religiösen Weltanschauung je nach der Eigenart der Rasse verschieden sei. Der germanische Glaube entspreche der Volksseele. Später sei aber dem deutschen Volke eine Religion aufgezwungen worden, die mit der Rasse und Volksseele nicht im Einklang stehe. Die artfremde christliche Religion sei den germanischen Völkern aus ganz bestimmten Gründen aufgedrängt worden: Das jüdische Streben nach der Weltherrschaft sollte dadurch ermöglicht werden. Auch habe man dadurch den völkischen Abwehrinstinkt, der in der germanischen Rasse sich besonders gegen die Juden richte, unterdrücken wollen. Dem Christentum sei in dieser Hinsicht die gleiche Aufgabe zuteil geworden wie später dem Marxismus. Die Reinhaltung des Blutes, wozu der nationalsozialistische Staat jetzt glücklicherweise die Gesetze erlassen habe, genüge nicht allein, sondern es müsse auch die Volksseele von den artfremden Einflüssen befreit werden. (…)
Evangelische Kirche (…)
Der ebenfalls erst vor kurzem in sein Amt eingeführte Pfarrer Aden im Bramsche führte in einer seiner Predigten aus, daß es traurig sei, daß der in der Nähe der Kirche aufgestellte Stürmerkasten noch nicht entfernt sei.
Pastor Schlüter in Bentheim wurde zur Last gelegt, während der Abhaltung eines Kindergottesdienstes folgende Äußerung getan zu haben: ''Die Juden sind das Volk der Verheißung. Deswegen wollen wir dem heutigen Reich nicht folgen.''
Die Untersuchung des Falles verlief jedoch negativ, weil die Zeugen etwas Bestimmtes nicht aussagen konnten. Dem Sinne nach soll der Beschuldigte sich dahingehend geäußert haben, daß die Juden nach der Bibel das auserwählte Volk seien. Die Christen hätten deshalb in ihren Angriffen gegenüber den Juden Zurückhaltung zu üben. (…)
Zu der Frage ''der derzeitigen Bedrückung der Juden'' soll seitens der Bekenntnisfront Stellung genommen werden. Es wird in Vorschlag gebracht, dies in Form von Kanzelabkündigungen zu tun. Über den gegebenen Zeitpunkt ist man sich jedoch noch nicht einig.
In seinen weiteren Ausführungen ergreift Pastor Bodensieck offen Partei für den christlich getauften jüdischen Pfarrer Leo in Osnabrück, dem das Betreten des städt. Krankenhauses durch den Oberbürgermeister in Osnabrück untersagt worden ist. Pastor Bodensieck erklärt wörtlich: ''Wir werden für ihn tun was wir können. (…)
Juden und Freimaurer
Gegenüber dem Monat August, in dem die Judenfrage mit ihren Boykotterscheinungen im Vordergrund des politischen Interesses stand und demzufolge jede Versammlungstätigkeit der Juden ruhte, gestaltete sich das jüdische Vereinsleben im Berichtsmonat wieder bedeutend reger. So veranstaltete der Jüdische Kulturbund , Ortsgruppe Osnabrück, Mitte September in der Synagoge einen musikalischen Unterhaltungsabend unter der Bezeichnung ''Eine musikalische Abendunterhaltung vor 100 Jahren bei Bankier Meyerbeer''. Die Veranstaltung verlief programmäßig. Die Teilnehmerzahl betrug etwa 80 Personen.
Weiterhin fand in der Synagoge ein Vortrag der Zionistischen Ortsgruppe Osnabrück statt, dem etwa 60 Zuhörer beiwohnten. Der Chefredakteur des Israelitischen Familienblattes , Dr. Alfred Kupferberg aus Hamburg, sprach über das Thema ''Boden der Väter - Zukunft der Kinder''. Die Juden seien, wie er u. a. ausführte, an den Zeitereignissen selbst schuld. Nach einem ehernen Naturgesetz habe es nicht anders kommen können. Die Juden seien dem Boden entwurzelt worden. Jeder jüdische Vater habe seine Kinder auf die Universität schicken wollen. Daß dieser Zustand einmal zwangsläufig habe Funken schlagen müssen, sei von einsichtigen Juden schon lange erkannt worden. Der größte Teil habe sich aber dieser Erkenntnis verschlossen. Jetzt komme diese Einsicht aber reichlich spät. In seinen weiteren Ausführungen verglich der Redner die berufliche Zusammensetzung eines Volkes mit der Form der Pyramide. Die Masse der Bauern, Arbeiter und Handwerker bilde das breite Fundament. Je mehr sich die Pyramide nach oben zu verjünge, je mehr werde von den einzelnen Personen, die über der breiten Masse ständen, an Vorbildung usw. verlangt. Dies sei der natürliche Zustand. Das jüdische Volk habe jedoch dies Naturgesetz mißachtet. Es habe die Pyramide auf den Kopf gestellt. Arbeiter, Handwerker oder Bauer habe kein Jude werden wollen. Fast alle Juden hätten zum Mittelstand gezählt und immer noch höher hinaus wollen. Jetzt sei die Zeit gekommen, wo jüdische Eltern um die Zukunft ihrer Kinder bangten. Es gäbe nur eine Lösung, die Ansiedlung in Palästina .
Der Redner beschäftigte sich alsdann mit Siedlungsfragen und forderte zum Schluß zum Eintritt in die Zionistische Vereinigung auf.
Die im vorigen Berichtsmonat durchgeführte Juden-Abwehr-Propaganda hat zum Teil ihren Zweck nicht verfehlt. Die jüdischen Geschäfte werden, wie zu beobachten ist, von der Mehrheit der Bevölkerung gemieden. Mehrere jüdische Geschäftsinhaber sollen daher mit Geschäftsschwierigkeiten zu kämpfen haben und zum Teil beabsichtigen, ihr Geschäft zu verkaufen.
Hingegen versuchen auf dem Lande die jüdischen Viehhändler mit allen ihnen z.Zt. noch zur Verfügung stehenden Mitteln ihre Position zu halten und scheuen offenbar auch kein Opfer an Geld. Es gibt noch genug Bauern, die erklären, der Handel mit Juden sei gesetzlich noch nicht verboten, infolgedessen unterließen sie ihn auch nicht. Noch sehr vielen Bauern fehlt eben die an sich so selbstverständliche Einstellung, daß der Verkehr mit Juden für jeden nationalsozialistisch denkenden Menschen eine Unmöglichkeit ist.
Ein Teil der Bevölkerung ist darüber verstimmt, daß der Aufruf zur Zeichnung der Reichsanleihe auch von vielen jüdischen Bankgeschäften mitunterzeichnet worden sei. Vereinzelt war in Gastwirtschaften in den für Gäste ausliegenden Zeitungen der Aufruf besonders gekennzeichnet und die unter dem Aufruf stehenden jüdischen Firmen mit Rotstift unterstrichen.