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Chronik und Quellen
1935
September 1935

Die Gestapo berichtet aus Königsberg

Die Gestapo des Regierungsbezirks Königsberg erstattet folgenden Bericht für September 1935:

Auch der Kampf gegen das Judentum nimmt seinen Fortgang, doch haben unliebsame Einzelaktionen im Berichtsmonat bis auf ganz wenige Fälle vermieden werden können. Bei den noch ab und zu vorkommenden Ausschreitungen gegen Juden handelt es sich ausschließlich um Handlungen von Einzelpersonen, die bei besonderen Gelegenheiten ihre antisemitische Einstellung zum Ausdruck bringen. Der Verdacht, daß diese Handlungen von marxistisch gesonnenen Kreisen begangen werden in der Absicht, die Bewegung damit zu belasten, erscheint nicht unbegründet. Die Aufklärungsarbeit der Parteidienststellen hat sich besonders günstig ausgewirkt. Mehrere Juden haben ihre Geschäfte verkauft und das Reichsgebiet verlassen. Mit weiteren Abwanderungen ist zu rechnen.

 

Sonstige marxistische Bewegungen

Im Verlauf des Berichtsmonats konnte eine agitatorische illegale Betätigung der SPD nicht beobachtet werden. Die ehemaligen Funktionäre verfolgen die heutige innere und äußere Gestaltung Deutschlands sehr genau. Der Reichsparteitag in Nürnberg, insbesondere die Führerrede und die vom Reichstag genehmigten Gesetze werden lebhaft besprochen, wobei die Meinungen sehr auseinandergehen. Während ein Teil der ehemaligen Funktionäre jede Hoffnung auf eine Umwälzung innerhalb Deutschlands vollständig aufgibt, ist der andere der Meinung, daß Deutschland für die Dauer dem feindlich gesinnten Ausland und dem internationalen Judentum nicht wird standhalten können. (…)

 

Juden und Freimaurer

Die Anordnungen der Reichsregierung und die Maßnahmen der Staatspolizeistellen zur Verhütung von Einzelaktionen haben sich im Berichtsmonat günstig ausgewirkt, wenn auch hier und da die antisemitischen Bestrebungen von Einzelgängern, die bei passender Gelegenheit ihre judenfeindliche Einstellung zum Ausdruck bringen, nicht ganz vermieden werden konnten. Die auf dem Reichstag Nürnberg verkündeten Gesetze haben erheblich zu einer Klärung und Beruhigung der Lage beigetragen. Sie sind, abgesehen von den Gewohnheitsnörglern von der gesamten Bevölkerung begrüßt worden.

In Cuttstadt wollte am 14.9.1935 eine Menschenmenge den Juden [N.N.] in der Stadt herumführen, weil er sich angeblich einem deutschen Mädchen unliebsam genähert haben soll. Der Zug wurde von der Polizei sofort aufgelöst und [N.N.] zu seiner eigenen Sicherheit auf 24 Stunden festgenommen. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Mitte September suchte der frühere Gerichtsassessor jetzt Geschäftsführer des CV , Anghertal - Königsberg, den Landrat in Pr. Holland auf mit der Erklärung, Vertreter bzw. Fürsprecher der Juden Ostpreußens zu sein.

Er bat den Landrat, die Lebensmittelversorgung der Juden in Pr. Holland zu regeln, da fast sämtliche Lebensmittelgeschäfte in Pr. Holland Schilder herausgehängt hätten, mit der Aufschrift ''Juden werden hier nicht bedient''. Hierdurch ''würden die Juden Gefahr laufen zu verhungern, zumal sie nach dem neuesten Gesetz keine arischen Dienstboten mehr halten dürften, die ihnen bis dahin die Lebensmitteleinkäufe zum größten Teil besorgt hätten!'' Der Landrat erklärte, daß er einen Zwang zur Lieferung von Waren an Juden auf die Geschäftsinhaber nicht ausüben könne, er versprach jedoch, mit dem Bürgermeister hierüber zu verhandeln. Der Bürgermeister teilte hierzu mit, daß eine Regelung dieser Frage zur Zeit noch nicht notwendig sei, da in Pr. Holland sich auch ein jüdisches Lebensmittelgeschäft befinde, in dem die Juden ihren Lebensmittelbedarf decken können. Er - der Bürgermeister - würde aber, falls ihm die Notwendigkeit hierfür nachgewiesen würde, dafür sorgen, daß den Juden ein Geschäft zur Eindeckung ihrer Lebensmittel zur Verfügung steht.

In der Nacht vom 19. zum 20.9.35 haben unbekannte Täter die Hauswand und die Fenster des jüdischen Geschäfts Ascher in Pobethen mit roter und schwarzer Ölfarbe beschmiert. Es sind folgende Aufschriften angebracht worden: ''Raus die Juden, die Volksverräter, raus nach Palästina .'' Da anzunehmen war, daß Ascher diese Aufschrift zur Greuelpropaganda benutzen wird, zumal er die Beseitigung ablehnte, hat die Ortspolizeibehörde die restlose Tilgung der Aufschrift veranlaßt.

In der Nacht vom 11. zum 12.9.35 wurde eine Schaufensterscheibe der Lederhandlung der Juden Gebr. Gehr in Ortelsburg eingeschlagen.

Der ''Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens '' hat unter dem 31.8.1935 Beschwerde über Wirtschaftsstörungen gegenüber jüdischen Geschäften in Bialla, Drygallen und Johannisburg geführt. Die Feststellungen in den einzelnen Fällen sind noch nicht abgeschlossen.

Am 27.9. hat der jüdische Synagogendiener David Blum aus Marienburg den 12jährigen Sohn eines Uhrmachermeisters verprügelt. Der Junge hat sich mit noch anderen Schulkameraden auf dem Nachhausewege vor der Synagoge mit Kastanien beworfen, die von einem Baum, der an der Synagoge steht, heruntergefallen waren. Der Uhrmachermeister hat gegen Blum unter Vorlegung eines ärztlichen Attestes Strafantrag wegen Körperverletzung gestellt.

Die Aufklärungstätigkeit der Parteidienststellen und die Haltung des größten Teiles der Bevölkerung hat bereits zu größeren Ausverkäufen in den Geschäften geführt, die die Abwanderung jüdischer Unternehmer zur Folge haben. In Ortelsburg haben 2 jüdische Firmen ihre Geschäfte an Deutsche verkauft. 2 weitere stehen in Verkaufsverhandlungen, es handelt sich um ein Eisenwaren- und ein Kohlengeschäft. In Allenburg wollten 2 jüdische Händler ihr Geschäft aufgeben, erklärten aber nach der Rede des Reichsministers und Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht , die Lage hätte sich dadurch insoweit geändert, daß sie doch bleiben würden.

In der Berichtszeit fanden keinerlei erwähnenswerte Veranstaltungen der jüdischen Verbände und Organisationen statt. Lediglich die Zionistische Ortsgruppe Königsberg hielt am 15.9.1935 eine Besprechung ab, an der etwa 16 Personen teilnahmen. Gegenstand der Besprechung war die bevorstehende Sammelaktion zwecks Errichtung der deutsch-jüdischen Siedlung ''Henriette Szold'' in Palästina. Nach den abgegebenen Erklärungen des Vorsitzenden Dr. Ratzkowski soll in Palästina eine rein deutsch-jüdische Siedlung entstehen, die den Namen der amerikanischen Jüdin ''Henriette Szold'' führen soll. Die Sz. ist eine deutsch-amerikanische Jüdin, die das deutsche Judentum in Palästina bisher tatkräftig unterstützt hat. Zur Errichtung der Siedlung sind noch 250tausend Mark erforderlich, die im Einvernehmen mit der Reichsvertretung der deutschen Juden in Deutschland gesammelt werden sollen. Für Königsberg ist ein Betrag von 2.000 RM festgesetzt worden, der nach den Angaben des Vorsitzenden auch ohne Schwierigkeiten aufgebracht werden kann. Bemerkenswert ist hier, daß die Reichsvertretung, in der bekanntlich die Assimilanten in der Mehrheit sind, sich erstmalig für den Aufbau Palästinas zur Verfügung gestellt hat.

 

Politischer Katholizismus (…)

Aus Zürich hat der Oberbürgermeister der Stadt Kbg. einen Brief erhalten, der sich in wüsten Beschimpfungen des Führers und der nat. soz. Regierung ergeht. Der Brief, der vom 10.9.35 datiert, hat folgenden Wortlaut:

''Mein Herr!

Die Nachrichten der englischen und hiesigen Berichterstatter deutscher Zeitungen berichten über die geradezu mittelalterlichen barbarischen Verfolgungen der Juden und at last but not least der Katholiken. Ich habe es fertig gebracht, daß nur noch Dampfer, wie die ''Normandie'' der französischen Linien benutzt werden - auch deutsche Pianos - Maschinen etc. bleiben für die ''Deutschen'' reserviert.

Dieser landfremde, böhmische Malergeselle Hitler - Mörder seiner besten Freunde - und des Generals Schleicher und Frau, nebst seinem sadistischen Julius Streicher und dem Lumpen Alfred Rosenberg - russischer Offizier - regiert mit seiner Unterweltsgarde. Diese elenden deutschen Richter, welche Urteile fällen, daß man entsetzt ist, geben uns den Beweis, daß ein Gott sie den Krieg verlieren ließ - wie wäre es uns armen Ausländern ergangen. Die ganze zivilisierte Welt verflucht dieses Barbarenvolk. Ihr mit der rassischen Glatze -geschmacklos angezogene Frauen - sprecht von Rasse - im Norden lacht man, denn ihr seid doch vermischt mit Pollacken, Litauern usw. Ein Glück, daß Hunnen-Albert, Barbaren-Karl und Wotan-Emil der ''Boche'' ist. Mit kosmopolitischen Grüßen

Dr. Daniel Blackwell

(ein Arier und Verächter des Malergesellen Mörder Hitler)''

 

Evangelischer Kirchenstreit (…)

In der Sensburger Zeitung No. 211 vom 10.9.1935 ist ein Artikel zur Veröffentlichung gebracht, der wie folgt lautet:

''Ein treuer Diener des Staates und der Kirche!''

Von zuständiger Stelle wird uns mitgeteilt: Man müßte eigentlich annehmen, daß es unmöglich wäre, daß im Dritten Reich ein evangelischer Geistlicher besondere Sympathien für Angehörige des Centralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens hat, doch die Praxis lehrt das Gegenteil. Es ist ein wunderbar erhebender Anblick, wenn die Kinder des Sensburger evangelischen Superintendenten Matern eingehakt, Arm in Arm mit der Jüdin Maligson, auf der Seepromenade spazieren gehen. Ist es christliche Nächstenliebe, wenn die Kinder des bekannten Juden Maligson, Mitglied der jüdischen Loge in Allenstein, im Garten des Herrn Superintendenten mit dessen Kindern spielen? Oder versteht der Herr Superintendent die Volksgemeinschaft, die wir lehren, so? Oder stellt er sich auf den demokratischen Standpunkt? Wir wären sehr gespannt zu erfahren, wie Herr Matern über das Verhalten seiner Kinder denkt und warum er den Judenkindern nicht den Verkehr in seinem Hause verbietet.''

Aus der darauf erfolgten Äußerung des Superintendenten Matern an den Landrat in Sensburg geht hervor, daß die Wohnung der fragl. Judenfamilie in seiner Nähe liegt und die Kinder die gleiche Schule besuchen, wodurch ein Nachfragen nach Schularbeiten, ein Zusammensein mit jüdischen Kindern erfolgt ist. Durch den Einfluß der letzten Ereignisse habe jedoch jeglicher Verkehr mit den Judenkindern aufgehört. In seinen weiteren Äußerungen stellt er seine nationalsozialistische Einstellung unter Beweis; ebenso die Tätigkeit seiner Frau in der NS-Volkswohlfahrt. Er betont, daß seine Sympathien niemals der fremdrassigen (jüdischen) Bevölkerung Sensburgs gehört haben. (…)

 

Christengemeinschaft

Am 18.9.35 um 20 Uhr hielt die ''Christengemeinschaft'' , die aus der Anthroposophischen Gesellschaft (Rudolf Steiner) hervorgegangen ist, einen Vortrag über das Thema: ''Die Missionsgebiete der zwölf Apostel'' ab, in dem der vortragende Pfarrer Brock, hier, Gottschedstr. 42 bei Schmundt wohnhaft etwa folgendes ausführt: ''Seit einigen Jahren sei wieder völkisches Wesen im Christentum vorhanden. Damit sei aber eine Spannung zwischen Volksgemeinschaft und Christengemeinschaft im allgemeinen entstanden. Vortragender kam dann auf die Ausgänge der Christengemeinschaft zu sprechen. An Hand des Werkes ''Das große Abendmahl'' von Leonardo da Vinci, kam er auf die zwölf Apostel zu sprechen, die das Abbild des großen Tierkreises, der 12 Sterne wären. Die Bedeutung der Apostel im Jahreszeitenkalender wurde dann erklärt. Das Bild ''Das große Abendmahl'' stelle eine Führerschar der Menschheit dar. Die Apostel wurden dann individuell charakterisiert. Auch wurden die beiden jüdischem Apostel charakterisiert und festgestellt, daß nur Judas (der Verräter) der Typ des Juden sei, den man auch heute als solchen feststelle.

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