Das Bezirksamt Alzenau berichtet
Das Bezirksamt Alzenau erstattet am 27. August 1935 folgenden Bericht für August 1935:
Die Lage im Amtsbezirk war im allgemeinen ruhig, der Sicherheitszustand gut. In Alzenau erregte das wiederholte Erscheinen anonymer Flugblätter, die in teilweise übertriebener, teilweise sogar völlig erlogener Weise eine Reihe von Beamten und Bürgern der Judenfreundlichkeit und des Volksverrats bezichtigten, starke Erbitterung, da die Angegriffenen außerstande waren, sich gegen die unbekannten Verfasser zur Wehr zu setzen. Der Unfug scheint nun wieder abgeflaut zu sein, da weitere Ausgaben des ''Alzenauer Stürmer '' - so nannte sich das Schmähblatt - seit Anfang August nicht mehr erschienen sind. Die Blätter wurden, soweit erreichbar, polizeilich beschlagnahmt und beseitigt, da sie gegen das Pressegesetz und die oberpolizeilichen Vorschriften über die öffentliche Verbreitung von Plakaten, Flugblättern und Flugschriften v. 8.5.1929 verstießen.
Leider wird auch sonst in der Propaganda gegen die Juden das erlaubte Maß zuweilen weit überschritten. So wurde Mitte August im jüdischen Friedhof zu Hörstein in roher Weise 16 Grabsteine umgeworfen. Einer davon ist gänzlich zertrümmert. Die Täter sind unbekannt und werden wohl auch nicht ermittelt werden, da, wie immer in ähnlichen Fällen, sowohl die jüdische wie auch die christliche Bevölkerung aus Furcht vor Nachteilen keinerlei Angaben macht. (…)
Die Industriebetriebe sind größtenteils ausreichend beschäftigt. Die Maschinenfabrik Wahl in Kahl steht z. Zt. still hofft aber den Betrieb im September wieder voll aufnehmen zu können. Die jüdische Möbelfabrik Lindheim in Kahl, die z. Zt. noch 120 Personen beschäftigt, klagt über schlechten Geschäftsgang. Da sich auch die Zigarrenfabriken im Kahlgrund größtenteils in jüdischen Händen befinden, kann sich die Judenboykottbewegung leicht zum schweren Nachteil der arbeitssuchenden Kahlgrundbevölkerung auswirken.