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Chronik und Quellen
1935
August 1935

Die Gestapo berichtet aus Stettin

Die Gestapo für den Regierungsbezirk Stettin erstattet am 4. September 1935 folgenden Bericht für August 1935:

Im Laufe des Berichtsmonats wurden von der Staatspolizeistelle in Stettin festgenommen:

1. Am 5.8.35 der Bürogehilfe Kurt Kruse, geb. 13.7.95 zu Roggen, Kr. Neidenburg, wohn. in Stargard, Raabestr. 10, weil er die Schaufensterscheibe des jüdischen Geschäfts E. Markuss in Stargard i.P. eingeschlagen hatte. Er wurde dem Gerichtsgefängnis Stargard zugeführt. (…)

3. Am 10.8.35 der Jude Paul Eliasowitz, geb. 27.11.03 in Neubrandenburg, wohnhaft in Stettin, weil er nach Beendigung einer Versammlung der Zionistischen Vereinigung in Stettin gelegentlich eines Zusammenstoßes mit SA-Männern die SA und den Führer beleidigt haben soll. Das Verfahren schwebt bei der St[aats]A[nwaltschaft] Stettin. E. wurde am 11.8. wieder entlassen. (…)

7. Am 24.8.35 der jüd. Viehhändler Julius Aron, geb. 17.10.74 Güntershagen, wohnhaft in Stargard i.P., Pelzerstr. 16, wegen versuchten Betruges. Vor der Festnahme war es bereits zu judenfeindlichen Demonstrationen gegen Aron gekommen. Die Sache wird von der Kriminalpolizei bearbeitet.

8. Am 24.8.35 der Sohn Alfred des Viehhändlers Julius Aron, geb. 19.1.08 Neu Damerow, wohnhaft in Stargard, Pelzerstr. 16, in derselben Sache. (…)

 

Schutzhaft

In Schutzhaft wurden genommen:

1. Am 1.8.35 der jüd. Kaufmann [N.N.a], geb. 16.5.94 in [...] wohnhaft in Stettin, [...], wegen Rassenschande . Die Schutzhaft wurde zum Schutz seiner eigenen Person verhängt. Er wurde am 3.8.35 wieder entlassen.

[...]

3. am 2.8.35 der jüd. Rechtsanwalt Dr. Walter Brock, geb. 20.10.79 Stettin, wohnhaft Stettin, Bismarckstr. 9. Die Haft wurde zum Schutz seiner eigenen Person angeordnet, weil an diesem Tage eine Demonstration gegen die Juden stattfand. Er wurde am 3.8.35 wieder entlassen.

4. Am 2.8.35 der jüdische Kaufmann Otto Michelson, geb. 11.11.91 Hausberge, wohnhaft Stettin, Friedrich-Karl-Str. 2, in der gleichen Angelegenheit. Auch er wurde am 3.8.35 wieder entlassen. (…)

 

NS-Organisationen (…)

In Greifswald wurde bei einer Revision der Pfandleihanstalten festgestellt, daß mehrere SA-Männer, darunter ein Schar-Führer, ihre Mäntel und Uniformen versetzt hatten. Zwei der SA-Männer scheuten sich nicht, ihre Uniformen sogar bei einem jüdischen Pfandleiher zu verpfänden. Die Uniformstücke trugen die vollen Abzeichen und sogar die Litzen des alten Kämpfers. Die zuständige SA-Brigade ist durch die Ortspolizeibehörde in Greifswald in Kenntnis gesetzt. (…)

 

Juden und Freimaurer

Die Versammlungstätigkeit der Juden hat im August nicht zugenommen. Am 10.8.35 hielt die Zionistische Vereinigung, Ortsgruppe Stettin, Klosterhof, eine Versammlung ab, in welcher Dr. Gumpert einen Vortrag über ''Die Situation im Zionismus und in Palästina '' hielt. Im Anschluß an die Versammlung stießen Versammlungsteilnehmer auf der Straße mit SA-Männern zusammen. Nach den Angaben der SA-Männer sollen von den Versammlungsteilnehmern die Äußerungen ''Hitler-Strolche'' oder ''Hitler ist ein Strolch'' gefallen sein. Bei diesem Zusammenstoß wurde ein SA-Mann an der Hand und ein Jude am Kopf verletzt. Der Jude Eliasowitz, der die beleidigenden Worte gesprochen haben soll, wurde zum Schutze seiner Person die Nacht über in Gewahrsam genommen. Ein Verfahren gegen ihn schwebt bei der Staatsanwaltschaft Stettin.

Verschiedentlich mußten Juden wegen rassenschänderischer Beziehungen zu arischen Frauen in polizeilichen Gewahrsam genommen werden. Das rassenschänderische Treiben der Juden war mehrfach Anlaß zu Demonstrationen, die sich sowohl gegen die Juden als auch gegen die mit ihnen verbundenen Frauen richteten. So kam es am 30.8.35 in Pölitz zu einer Volksansammlung von etwa 400 Personen. Vorher waren an die Bevölkerung Druckzettel verteilt worden, welche das rassenschänderische Treiben eines Juden [N.N.b] in Pölitz brandmarkten. Bevor die Volksansammlung von der Polizei zerstreut werden konnte, hatte die Menge den Juden aus seinem Geschäftslokal herausgeholt und ihn zwangsweise mitgeführt. Der Jude kam auf kurze Zeit in polizeilichen Gewahrsam und wurde wieder freigelassen, nachdem die Volksmenge sich zerstreut hatte. - Auf meine Tagesmeldung vom 31.8.35 nehme ich Bezug.

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