Die Gestapo berichtet aus Osnabrück
Die Gestapo für den Regierungsbezirk Osnabrück erstattet am 4. September 1935 folgenden Bericht für August 1935:
Die Aktion gegen die Juden ist im allgemeinen ruhig verlaufen, jedenfalls ist es zu größeren Ausschreitungen nicht gekommen. Wenn auch die gegen die Juden getroffenen Maßnahmen, wie die Kundgebung der NSDAP auf dem Ledenhof, an der 25.000 Personen teilnahmen, bewiesen hat, von der Bevölkerung im allgemeinen gebilligt wurden, so wurden diese Maßnahmen doch auf der anderen Seite von einem anderen Teil der Bevölkerung nicht gutgeheißen. Häufig konnte man die Ansicht hören, daß die Boykottmaßnahmen zu verwerfen seien, da der nationalsozialistische Staat andere Möglichkeiten habe, um die Bevölkerung aufzuklären und gegen die Juden vorzugehen. (…)
Evangelische Kirche (…)
Bezeichnend für die staatsfeindliche Einstellung des Pastors Bornschein in Osnabrück sind Äußerungen, die er in seiner Predigt am 4.8.35 getan hat. Er erklärte: ''Die Juden, ja die Juden, stehen wir zu ihnen, wie wir wollen. Die Israeliten sind das auserwählte Volk des Herrn.''
Da die Judenfrage z. Zt. im Vordergrund des politischen Geschehens steht, wurde die Erklärung des Pastors Bornschein von der Ortsgruppe ''Altstadt'' der NSDAP der Bevölkerung zur Kenntnis gebracht. Pfarrer Bornschein hat daraufhin in einem Schreiben an den Kreisleiter der NSDAP folgendes ausgeführt:
''Wie ich zu meinem Erstaunen erfahre, haben zwei Kirchenbesucher von etwa 700 daran Anstoß genommen, daß ich in einer Predigt Israel als das ''auserwählte Volk'' bezeichnet habe, wobei ich hinzugefügt hätte: Mögen wir über die Juden denken, wie wir wollen.
Um in diesen aufgeregten Zeitläuften ruhig allen Mißverständnissen entgegenzutreten, erkläre ich folgendes:
1.) Es ist in der Tat so, daß Israel in der Bibel als das auserwählte Volk betrachtet wird.
2.) Die Auserwählung im biblischen Sinne liegt jenseits alles menschlichen, rassischen und politischen Urteils und diesbezüglicher staatsnotwendiger Maßnahmen.
3.) Israel ist nicht nur erwählt worden, sondern die Juden sind auch wieder verworfen worden, weil sie Christus gekreuzigt haben.
4.) Daraus folgt, daß es nicht gut ist, zu irgend einem außerkirchlichen Zweck sich Predigten anzuhören. Mißverständnisse sind leicht möglich, wenn man nicht ständiger Hörer ist. Wenn unsereins bei jedem Wort erst tausend Mißverständnisse abwehren soll, käme man überhaupt nicht zur eigentlichen Predigt. Vermutlich haben die beiden Kirchenbesucher noch nie gehört, wenn ich über die Verwerfung der Juden gesprochen habe. Sie hätten aber aus der Predigt alles Nötige selbst entnehmen können, sie ging nämlich von dem Text aus, der davon handelt, daß aus dem Saulus ein Paulus wird, daß das jüdische Gesetz radikal überwunden ist durch das Evangelium. Und das auserwählte Volk sind selbstverständlich nicht mehr die Juden, sondern die Christen: Das Israel nach dem Geist - oder Luther: Das Israel rechter Art.''
Pastor Bornschein ist in staatspolizeilicher Hinsicht bisher noch nicht in Erscheinung getreten.
Vikar Herbert Weigt, geb. am 26.4.11 zu Osnabrück, wohnhaft in Nordhorn, erklärte in seiner Predigt am 25.8.35, der er den Text Matth. 10, Vers 5-6 zugrundegelegt hatte, etwa folgendes:
''Die Juden sind das auserwählte Volk. Christus ist zwar von den Juden ans Kreuz geschlagen, aber er hat es ihnen auch wieder vergeben, da er die Worte gesagt hat: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. - Wenn Gott will, kann er ebensogut aus einem Juden einen Christen machen, wie desgleichen aus einem Heiden.'' -
Nach den Angaben von Kirchenbesuchern wurde die Predigt des Geistlichen mit Mißfallen aufgenommen. Man war allgemein der Ansicht, daß derartige Äußerungen in heutiger Zeit nicht mehr angebracht sind.
Vikar W. erklärte in seiner verantwortlichen Vernehmung, daß es ihm ferngelegen hätte, mit seinen Ausführungen die Juden besonders herauszuheben oder vielleicht gegen die Regierung zu sprechen, er hätte vielmehr nur die Freiheit Gottes hinsichtlich seiner Auswahl der Kinder Gottes hervorheben wollen. (…)
Juden und Freimaurer
Die Juden haben im Berichtsmonat keinerlei Versammlungstätigkeit entfaltet. Selbst die religiösen Veranstaltungen in der Synagoge sind unterblieben. Offenbar hegt man die - allerdings gänzlich unbegründete - Befürchtung, daß es bei Zusammenkünften zu irgendwelchen Ausschreitungen gegen sie kommen könnte. Die Angstpsychose ist so stark, daß während einer Kundgebung der NSDAP auf dem Ledenhof in Osnabrück ein Teil der Juden die Stadt fluchtartig verließ und erst am nächsten Tage zurückkehrte.
Wie ich bereits an anderer Stelle ausgeführt habe, stand im Berichtsmonat die Judenfrage im Vordergrunde des politischen Interesses. In früheren Berichten hatte ich bereits zum Ausdruck gebracht, daß seit mehreren Wochen allgemein darüber Klage geführt wurde, daß die jüdischen Geschäftsleute sich wieder durch ihr freches und aufdringliches Benehmen unangenehm bemerkbar machen. Um diesem Treiben entgegenzutreten, wurden von seiten der Parteidienststellen im ganzen Bezirk verstärkte Abwehrmaßnahmen gegen das Judentum und seine Hintermänner durchgeführt. Es wurden Protestkundgebungen im großen Stil veranstaltet, Aufklärungsvorträge gehalten, Aufrufe in den Tageszeitungen veröffentlicht, in denen gegen die Juden und vor allem die Judenknechte in schärfster Form Stellung genommen wurde u.a.m.
Auf dem flachen Lande galt der Kampf in erster Linie der restlosen Ausschaltung der jüdischen Viehhändler , über deren herausforderndes Benehmen ganz besonders geklagt wurde. Zu diesem Zwecke erließen verschiedene Kreisbauernführer an die Ortsbauernführer die Aufforderung, die Bauern, die jüdische Händler oder Aufkäufer bevorzugten und damit bewußt an der Versklavung deutschen Volkstums arbeiteten, zur öffentlichen Anprangerung zu melden. Die Kunden jüdischer Viehhändler wurden alsdann in den Stürmerkästen namentlich bekannt gegeben. In anderen Fällen wurden die Bauern, insbesondere die Erbhofbauern, die mit Juden in Verbindung standen, beim Abschluß von Geschäften photographiert und die Photographien öffentlich ausgestellt.
Verschiedentlich wurde im Bezirk auch das Betreten von Viehmärkten den jüdischen Händlern behördlicherseits untersagt.
In ähnlicher Weise wurde von der Partei in den Städten, insbesondere in Osnabrück verfahren. Umzüge wurden veranstaltet, wobei Schilder mit Aufschriften gegen das Judentum mitgetragen wurden. Personen, die jüdische Geschäfte betraten, wurden photographiert. Die Bilder gelangten öffentlich zum Aushang. Vor den einzelnen Geschäften waren Schilder mit der Aufschrift ''Jüdisches Geschäft! Wer hier kauft, ist ein Volksverräter und wird öffentlich gebrandmarkt!'' und ähnl. Inhalts aufgestellt worden.
In erster Linie wurde in der Stadt Osnabrück das Bekleidungshaus Alsberg & Co. durch die Boykottmaßnahmen betroffen. Es handelt sich hierbei um einen Betrieb, der eine Gefolgschaft von 151 Personen - darunter 8 nichtarische - beschäftigt. Das Geschäft hat auch heute noch einen täglichen Kassenrückgang von etwa 70% und mehr gegenüber der Zeit vor dem Boykott zu verzeichnen. Die Inhaber hatten dem Herrn Regierungspräsidenten in Osnabrück bereits angekündigt, den Geschäftsbetrieb unter diesen Umständen nicht weiterführen zu können. Es sind jedoch bisher Angestellte von der Firma in keinem Falle gekündigt worden.
Wie aus einem angehaltenen Brief der Firma Alsberg & Co. an das jüdische Pelzwarengeschäft Breslauer in Breslau hervorgeht, bittet sie im Zusammenhang mit dem Judenboykott ''um Ausstellung des erteilten Auftrages'', da ''die örtlichen und zeitlichen Verhältnisse das Hereinnehmen neuer Ware nicht gestatten''. Gleichzeitig spricht aber die Firma die Hoffnung aus, daß es ''mal wieder besser werden wird'', und anschließend die Bitte, ''bei Eintreffen einer Nachricht sofort liefern zu wollen.''
In schwierigerer Lage scheint sich das Kaufhaus Wertheim - ebenfalls ein jüdisches Unternehmen - zu befinden. Die Betriebsleitung hat erklärt, die Gehälter für die Angestellten und Arbeiter zu dem nächsten Termin nicht zahlen zu können. Die Deutsche Arbeitsfront befaßt sich bereits mit dieser Angelegenheit.
Naturgemäß kam es bei den einzelnen Aktionen wiederholt zu größeren Ansammlungen vor den jüdischen Geschäften, wobei es sich jedoch in der Hauptsache lediglich um Schaulustige und Neugierige handelte. Wohl versuchten in den ersten Tagen des Abwehrkampfes unkontrollierbare Elemente, durch Hetzreden Unruhe in die Bevölkerung zu tragen, ohne daß es jedoch zu irgendwelchen Ausschreitung größeren Ausmaßes gekommen wäre. Dies ist in erster Linie dem energischen Vorgehen der hiesigen örtlichen Polizei gegen derartige Unruhestifter und nicht zuletzt der vorbildlichen Disziplin zu danken, die die Angehörigen der NSDAP an den Tag gelegt haben. Dadurch, daß sogleich zu Anfang der Aktion eine größere Anzahl solcher staatsfeindlicher Elemente vorübergehend in Schutzhaft genommen wurde, war es möglich, von vornherein jegliche Ausschreitungen zu verhüten.
Nur in einem Falle ist mir von dem Landrat in Aschendorf gemeldet worden, daß mehrere Fensterscheiben an 7 Häusern in Sögel, welche von Juden bewohnt werden, in der Nacht vom 16. zum 17.8.35 mit Steinen eingeworfen worden sind. Nach den Zeugenaussagen hatten sich an diesen Ausschreitungen einige jüngere Leute beteiligt. Vor den Häusern war im Sprechchor gerufen worden: ''Ihr Saujuden, raus aus Sögel!'' - Zum Einwerfen der Scheiben waren Feldsteine benutzt worden. In einem Falle wurde ein 4 Pfund schwerer Stein in das Schlafzimmer eines Juden geworfen. Der Gesamtschaden beläuft sich auf etwa 28 RM. Es wurde niemand verletzt. Der Landrat in Aschendorf hat bereits die erforderlichen Ermittlungen in die Wege geleitet. Es wird vermutet, daß hierbei Provokateure am Werke waren.
Den Höhepunkt des Abwehrkampfes bildete die gewaltige Massenkundgebung der NSDAP in Osnabrück auf dem Ledenhof am 20. August 1935, der mehr als 25.000 Personen beiwohnten. Es sprach Kreisleiter Münzer über das Thema ''Osnabrück und die Judenfrage''. Nachdem er in längeren Ausführungen den schädlichen Einfluß der Juden in außenpolitischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht einleitend dargelegt hatte, kam er auf das Vorgehen der Partei in Osnabrück gegen die Juden zu sprechen, wobei er u. a. ausführte:
''Was heute in Osnabrück vor sich geht, ist kein Antisemitismus im üblichen Sinne, ist kein Kampf gegen die Juden als solche, sondern ist ein Kampf um die deutsche Seele, also eine Art Progermanismus. Der Führer will, daß jeder Deutsche, in Erkennung der jüdischen Gefahr, sich nach und nach völlig auf sein Deutschtum besinnt, daß er einsieht, daß jeder Kompromiß dem Juden gegenüber dem deutschen Volke und damit letzten Endes auch ihm selbst schaden muß. In Osnabrück ist keinem Juden etwas passiert, wir haben niemanden gehindert, in ein jüdisches Geschäft zu gehen. Es sind lediglich die Deutschen, die aus einem jüdischen Geschäft kamen, photographiert worden, um ihnen damit zu zeigen, daß sie die großen deutschen Aufgaben noch nicht erkannt haben. Als Warnung für sie selbst und andere Volksgenossen hängen die Bilder in den Kästen. Es ist schon richtig, daß in dem Kampf um die vollkommene Rettung unseres deutschen Volkes alle, aber auch alle Volksgenossen zusammen halten müssen und es ist auch richtig, wenn hier und dort gesagt wird, wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter. Denn er unterstützt den Juden in seinem Weltherrschaftsbestreben und schädigt das deutsche Volk in seinem Abwehr und damit im Kampf um seine eigene Existenz. Das jetzige Vorgehen ist eine Frage der Erziehung des deutschen Menschen der jahrzehntelang vom jüdischen Gift verseucht ist und nun durch eine Radikalkur von dem Gift befreit werden soll.''-
Im Einvernehmen mit dem Herrn Regierungspräsidenten in Osnabrück - ich darf hierbei auf den Erlaß des Herrn Reichs- und Preuß. Ministers des Innern vom 20.8.35 - II P. 3710/59 - betr. Verhinderung von Ausschreitungen Bezug nehmen - ist von seiten der Partei die Aktion mit Ablauf des 27.8.35 eingestellt worden. In sämtlichen Tageszeitungen ist von der Kreisleitung der NSDAP als Abschluß der Aktion ein Aufruf an alle deutschen Volksgenossen erlassen worden, worin es heißt:
Die von verschiedenen Personen und Stellen in den letzten Wochen durchgeführte Erziehungsaufgabe an deutschen Volksgenossen in Bezug auf Einkauf in nichtdeutschen Geschäften hatte durchschlagenden Erfolg.
Ich habe daher veranlaßt, daß
1.) die Warnungsschilder in der Nähe der jüdischen Geschäfte ab 26.8.35 verschwinden,
2.) das Photographieren von Deutschen, die aus jüdischen Geschäften kommen, ab 26. Aug. unterbleibt,
3.) das Aushängen dieser Bilder mit dem Ablauf des 27.8. eingestellt wird.
Ich erwarte von allen deutschen Volksgenossen und Volksgenossinnen, daß sie nunmehr so viel Selbstbewußtsein aufbringen, in Zukunft nur in deutschen Geschäften zu kaufen, damit dieselben Erziehungsmittel so bald nicht wieder angewendet werden brauchen.
Heil Hitler
Münzer, Kreisleiter
Die Anweisungen des Kreisleiters sind nach meinen Feststellungen in allem strikt befolgt worden.
Obwohl täglich in den Tageszeitungen zu lesen ist, daß Juden wegen Schändung deutscher Mädchen in Schutzhaft genommen werden mußten, scheinen diese Maßnahmen die erhoffte abschreckende Wirkung bisher nicht ausgeübt zu haben. Es werden immer wieder Fälle bekannt, in denen Juden sich deutschen Mädchen in unsittlicher Weise zu nähern versuchen.
Allein im Berichtsmonat mußten 3 Juden aus diesem Grunde in Schutzhaft genommen werden. Zwei Juden hatten es sogar gewagt, deutsche Ehefrauen mit unsittlichen Redensarten zu belästigen. Aus ihren Worten und ihrer Handlungsweise war zu entnehmen, daß sie darauf ausgingen, die Frauen geschlechtlich zu gebrauchen. In sämtlichen Fällen bemächtigte sich nach Bekanntwerden der Vorfälle der Bevölkerung der betr. Ortschaften eine erhebliche Erregung. Die Juden wurden von der Menschenmenge durch die Straßen geführt, wobei sie Schilder des Inhalts ''Ich bin ein Jude und schände deutsche Frauen'' oder ähnliches mitführen mußten. Ein Jude, der wegen sittlicher Verfehlungen bereits vorbestraft ist und den Eindruck eines moralisch verkommenen und minderwertigen Menschen macht, mußte hierbei auf dem Marsch eine Trommel schlagen, um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich zu lenken.