Die Gestapo berichtet aus Münster
Die Gestapo für den Regierungsbezirk Münster erstattet folgenden Bericht für August 1935:
Durch die Festsetzung des Höchstpreises für Schweine von 50 RM für den Zentner glauben die Bauern, daß die Schweine knapper werden. Sie halten deshalb mit dem Verkauf der Schweine zurück und versuchen auf Umwegen einen höheren Preis zu erzielen. Sie sind der Ansicht, daß sie heute schon 55 RM je Zentner Lebendgewicht verlangen können. Zahlreiche Bauern verkaufen deshalb das Vieh anstatt an die einheimischen Gewerbetreibenden lieber an die Viehjuden , die ihrerseits das gekaufte Vieh nach den rheinischen Großstädten bringen, wo höhere Preise erzielt werden. Die Bauern bezeichnen diese Juden, von denen sie höhere Preise geboten bekommen, sogar noch als ''anständige'' Juden. [...]
Nicht viel besser liegen die Verhältnisse in der Textilindustrie; auch hier wird in den meisten Betrieben nur 36 Stunden in der Woche gearbeitet. Bezeichnend für die Verhältnisse in der Textilindustrie ist ein Bericht des Landrats von Münster, in dem es u. a. heißt: ''Die Firma Hüls & Meyknecht in Appelhülsen klagt sehr über schlechte Belieferung mit Garnen. Auch der Verkauf ist sehr still; dieses ist teilweise zurückzuführen auf die im vorigen Jahre vielfach getätigten Angstkäufe, teilweise auch auf die Bewegung gegen jüdische Geschäfte. Die Grevener Textilfirmen berichten übereinstimmend, daß im verflossenen Monat eine Reihe von Aufträgen zurückgestellt werden mußten sowie annulliert wurden, da ein sehr starker Boykott der jüdischen Geschäfte im Laufe des letzten Monats im ganzen Reich eingesetzt habe. Die Firmen haben sich auf die Annullierung dieser Abschlüsse einlassen müssen, da sie glauben, daß ein großer Teil der jüdischen Unternehmen wegen finanzieller Schwierigkeiten im Laufe der nächsten Zeit ihr Geschäft doch aufgeben müssen und die Firmen für diese Waren später anderweitig Verwendung haben. Trotz des Boykotts hat sich der Versand noch auf normaler Höhe halten können, nur der übliche Saison-Versand-Überschuß ist nicht so groß geworden, wie ursprünglich zu erwarten war. [...]
Die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft ist nach wie vor zufriedenstellend. [...] Geklagt wird jedoch von bäuerlicher Seite nach wie vor über einzelne Verbote des Selbstmarktens und über Störung des Absatzes durch die Kampfmaßnahmen gegen den jüdischen Handel. (…)
Juden und Freimaurer
Der Kampf gegen das Judentum hat sich im Berichtsmonat weiter erheblich verschärft. Die von der Partei und ihren Gliederungen im gesamten Bezirk durchgeführten Abwehrmaßnahmen gegen die Juden erstreckten sich in der Hauptsache auf die Aufklärung der Bevölkerung durch Lautsprecherübertragungen sowie auf die Anbringung von großen Transparenten mit Aufschriften wie: ''Wer beim Juden kauft ist ein Volksverräter'', ''Wer vom Juden frißt stirbt daran'' und auf die Anprangerung von Juden und anderen Personen, die sich gegen die Volksgemeinschaft und das Rasseempfinden vergangen hatten. An den Schaufenstern und den Hausfronten der jüdischen Geschäfte wurden Inschriften angebracht wie z.B.: ''Juda den Tod'', ''Hier wohnt ein Jude'' usw. Personen, die jüdische Geschäfte betraten, um dort Einkäufe zu tätigen, wurden fotografiert und die Bilder öffentlich ausgehängt. Verschiedentlich wurden auch Juden als Rasseschänder mit entsprechenden Plakaten durch die Straßen geführt. Auf Grund dieser Aktion ließen die Einkäufe bei den Juden merklich nach.
Es konnte jedoch auch die Beobachtung gemacht werden, daß die Bevölkerung durchaus nicht gegen die Juden eingestellt war. So wird z.B. aus Bottrop gemeldet, daß von der Bevölkerung einem jüdischen Kaufmann, der durch die Straßen der Stadt geführt wurde, offene Sympathien entgegengebracht wurden. Insbesondere zeigte sich die Einstellung eines Teiles der Bevölkerung an den nächsten Tagen, wo vor dem Geschäft des betreffenden Juden ein starker Käuferandrang beobachtet werden konnte.
In einzelnen Gemeinden wurde in den letzten Wochen beschlossen, den Juden den Zuzug sowie den Erwerb von Grundbesitz, die Benutzung öffentlicher Einrichtungen, Badeanstalten, sowie den Zutritt zu Märkten, Parks usw. zu verbieten.
In Epe wurden zwei jüdische Metzgereien wegen grober Verstöße gegen das Nahrungsmittelgesetz gerichtlich geschlossen und ihre Inhaber zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt.
Eine ganze Reihe von jüdischen Geschäftsleuten haben im Verlaufe der Aktion ihre Geschäfte verkauft und den Regierungsbezirk verlassen. Die übrigen Juden verhielten sich ruhig und traten wenig in Erscheinung.
Ein großer Teil der Bevölkerung steht allerdings dem Kampf gegen das Judentum fremd gegenüber und kann für die getroffenen Maßnahmen kein Verständnis aufbringen. Vielfach ist man insbesondere im kath. Kreisen der Ansicht, daß die Maßnahmen gegen die Juden zu weit gehen, da diese nur einen geringen Bruchteil der gesamten Bevölkerung ausmachen, oft in bescheidenen Verhältnissen leben und seit langem hier ansässig sind. Auch aus religiösen Gründen werden derartige Kampfmaßnahmen vielfach abgelehnt. Der bäuerliche Teil empfindet die Ausschaltung der Viehjuden sehr unliebsam, da der Absatz des Viehs dadurch empfindlich gestört worden sein soll. Einzelne Großindustrielle, die viel nach dem Auslande ausführen, befürchten, daß die deutsche Ausfuhr durch die Aktion gegen die Juden stark zurückgehen wird. Im Verlaufe der Aktion gegen die Juden waren leider auch einzelne Übergriffe gegen Ausländer zu verzeichnen. In einem Falle wurden in Gelsenkirchen Angehörige eines jüdischen Kegelklubs, die polnische Staatsangehörige waren, von unbekannten Tätern auf der Straße ohne jeden Grund tätlich angegriffen. Zwei andere Zwischenfälle ereigneten sich im Kreise Tecklenburg, die aber als bereinigt angesehen werden können. In dem einen Falle war in Westercappeln das Geschäft eines holländische Juden mit Plakaten beklebt, in denen die Bevölkerung zur Meidung dieses jüdischen Geschäfts aufgefordert wurde. Auf die Beschwerde des holländischen Konsuls wurde vom Landrat im Einvernehmen mit der Kreisleitung sofort die Anweisung gegeben, Ausländer unter keinen Umständen zu belästigen, da andernfalls die Polizei rücksichtslos durchgreifen müßte. Der zweite Fall betraf die aus Ibbenbüren gebürtige Ehefrau eines dänischen Beamten, die beim Verlassen eines jüdischen Geschäftes fotografiert und bei den von ihr erhobenen Vorstellungen auf die Kreisleitung der NSDAP etwas unfreundlich behandelt wurde.
Auch dieser Fall ist gütlich beigelegt worden.
Auf Grund des Erlasses des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern ist nunmehr Vorsorge getroffen, daß in Zukunft Einzelaktionen unter allen Umständen unterbunden werden. Der Herr Gauleiter und Reichsstatthalter Dr. Meyer hat ebenfalls an alle Parteidienststellen entsprechende Anweisung ergehen lassen, wie überhaupt die Gauleitung während der Aktion die Staatspolizei in weitgehendem Maße unterstützt hat, so daß sich ein Einschreiten der Polizei gegen Mitglieder der Partei oder ihrer Gliederungen in keinem Falle erforderlich machte.