Bericht aus Hechingen
Der Landrat des Kreises Hechingen erstattet am 30. Juli 1935 folgenden Bericht für Juni und Juli 1935:
Ich nehme Bezug auf meinen Bericht vom 27.6.35 - I 8664 - über die Vorfälle aus Anlaß des Kulturabends der israelitischen Gemeinde vom 26. Juni. Ergänzend habe ich zu berichten, daß der hiesige Kreisamtsleiter der Firma Levi & Co. die Zusicherung gemacht haben soll sich dafür einzusetzen, daß Ausschreitungen irgendwelcher Art gegen Juden künftig unterbleiben, soweit nicht die jüdische Kultusgemeinde oder eines ihrer Mitglieder provozierenden Anlaß dazu gebe.
Juden und Freimaurer
Auch in Haigerloch nimmt das Verhältnis der dortigen arischen Bevölkerung zur Judengemeinde gespanntere Formen an. In der Angelegenheit des Juden [N.N.a], die der Staatspolizeistelle bekannt ist, nehme ich Bezug auf die Pressenotiz in den Hohenzollerischen Blättern vom 26.7.1935 ''Der Jud' geht um'': Sobald die polizeilichen Ermittlungen, die in dieser Angelegenheit wieder aufgenommen werden, abgeschlossen sind, wird die Staatspolizeistelle zu prüfen haben, ob gegebenenfalls [N.N.a] in Schutzhaft zu nehmen ist. Mir scheint ein solches Vorgehen wirksamer, als wenn, wie es jetzt geschehen ist, Selbsthilfemaßnahmen in der Presse angedroht werden. Solche Pressenotizen beunruhigen die Öffentlichkeit und sollten unterbleiben.
Infolge wiederholter Zusammenstöße zwischen der HJ und jüdischen Schulkindern hat sich der Bürgermeister von Haigerloch veranlaßt gesehen, für die jüdische Bevölkerung gesonderte Badezeiten einzuführen. Diese Maßnahme ist seitens der jüdischen Gemeinde lebhaft entgegengenommen worden. Rabbinatsverweser Spier hat dem Bürgermeister die Zusicherung gemacht, daß auf diese Anordnung hin künftig kein Mitglied der Judengemeinde mehr den Badeplatz betreten wird.
Im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Badezeiten ereigneten sich durch das Verhalten arischer Schulkinder Zwischenfälle in deren Verlauf einige Jungen von den sich beleidigt fühlenden Juden Ohrfeigen erhielten. Dabei wurde die amerikanische Staatsbürgerin Paulsen, die z.Zt. in Haigerloch zu Besuch weilt, beleidigt. Die Vorgänge sind der Staatspolizei bekannt. Die Väter der von den Juden geohrfeigten Jungen haben bei der hiesigen Staatsanwaltschaft Strafanzeige gestellt. Soweit ich unterrichtet bin, beabsichtigt die Staatsanwaltschaft die Anzeigeerstattenden auf den Privatklageweg zu verweisen.
Am 27. Juli, am Tage nach den bekannten Vorfällen in Hechingen, ist auch in Haigerloch der Kulturabend abgehalten worden. Zu irgendwelchen Zwischenfällen ist es dort nicht gekommen.
Auf dem Grundstück des Amtsgerichts Haigerloch und dem diesem benachbarten Gasthof ''Dreikönig'' ist seit einiger Zeit wie in Hechingen und anderen Gemeinden des Kreises eine Tafel zum Anschlag des ''Stürmers '' aufgestellt worden. Eine zur Finanzierung dieser Tafel vorgesehene Sammlung des Ortsgruppenleiters ist von der Ortspolizei beanstandet worden, weil die hierzu erforderliche Genehmigung des Reichsschatzmeisters der NSDAP nicht vorlag.
Wie im Vorjahr hat vor kurzem eine zugelassene Jugendorganisation aus Frankfurt a. M. bei der Ortsbehörde in Haigerloch um Erlaubnis nachgesucht, in Scheunen des Ortsteils ''Haag'' ein Ferienlager für etwa 70-80 jüdische Jugendliche im Alter von 14-20 errichten zu dürfen. Die Ortspolizeibehörde hat dies (...) suchen an die hiesige Kreisleitung mit dem Ersuchen um Stellungnahme weitergeleitet. Eine Antwort ist bisher nicht eingelaufen.