Bericht aus Hannover
Der Regierungspräsident Hannover berichtet am 3. August 1935 über den Monat Juli 1935:
Die in letzter Zeit wachsende Erregung gegen die Juden macht sich immer wieder in örtlichen Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte und ihre Inhaber, gegen Rasseschänder oder gegen sonstwie aufdringlich auftretende Juden bemerkbar. Vielfach wird Unwillen darüber zum Ausdruck gebracht, daß trotz der antijüdischen Propaganda noch sehr viele Volksgenossen ihre Einkäufe in jüdischen Geschäften tätigen. In Nienburg a/W. wurden von Angehörigen der Partei und der Hitlerjugend eine Reihe von Personen, die in jüdischen Geschäften kauften, photographiert und die Lichtbilder mit Bemerkungen in Schaukästen ausgehängt. Von den Juden, die ihre Geschäfte nicht aufgegeben haben, hört man auch keineswegs Klagen über geringen Umsatz. Nachdem in letzter Zeit die Versammlungstätigkeit der Juden fast vollkommen eingestellt ist, gehen auffallend viele Anträge von Juden auf Ausstellung von Reisepässen zum vorübergehenden Aufenthalt im Auslande ein. Es werden hierbei alle möglichen Gründe für den Aufenthalt im Auslande angegeben. Von den Schlachtern wird darüber geklagt, daß die Landwirte noch durchweg ihr Vieh an Juden verkaufen und mit diesen Tauschgeschäfte betreiben. Falls sich dies allgemein wieder einbürgern sollte, sind die Schlachter gezwungen, mit den Juden Handel zu treiben und von diesen das Schlachtvieh zu kaufen. Von den Kreisbauernschaften wird scharf gegen diesen Handel mit Juden Stellung genommen und auch rücksichtslos vorgegangen, wenn Verbindungen festgestellt werden. Ein Fall von Rasseschändung in Hess.-Oldendorf, Kreis Grafschaft Schaumburg, gab Anlaß zu einer starken örtlichen Beunruhigung. Ein Jude, der des Notzuchtverbrechens beschuldigt wird, wurde in gerichtliche Haft, 2 weitere Juden wurden von der Staatspolizeistelle in Schutzhaft genommen. Ein ähnlicher Fall ereignete sich im Kreise Grafschaft Hoya. Vereinzelt wurden auch örtliche Maßnahmen getroffen, um die Juden von den öffentlichen Badestellen auszuschließen.
Allgemein ist zu beobachten, daß über die Erlasse des Reichswirtschaftsministers und des Stellvertreter des Führers in der Judenfrage hinweg Einzelaktionen in den untersten Parteidienststellen unterstützt und gebilligt werden.
Innerhalb des Judentums besteht seit langem einen erhebliche Uneinigkeit zwischen den Zionisten und den deutsch-jüdischen Juden. Besonders in der Jugendrichtung gehen die Ansichten der Zionisten und die der jüdischen Frontsoldaten stark auseinander. Nicht zuletzt ist die feindliche Einstellung des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten und des Zentralvereins den Zionisten gegenüber in der bevorzugten Behandlung der Zionisten seitens des Staates zu erblicken. Der Mitgliederbestand der Zionisten in Hannover ist in den letzten Monaten um etwa 40 v.H. gestiegen. Seit April 1933 sind aus der Stadt Hannover 183 Juden ausgewandert, unter denen sich allein 172 Ostjuden befinden. Weitere 27 Personen stehen in der Umschichtung und haben bereits bei der englischen Regierung um ihre Zertifikate nachgesucht.