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Chronik und Quellen
1935
Juli 1935

Die Gestapo berichtet aus Wesermünde

Die Gestapo für den Regierungsbezirk Stade berichtet für Juli 1935 aus Wesermünde:

Die Juden sind an sich im Juli hier nicht in Erscheinung getreten. Nach Bekanntwerden der erfolgten Festnahmen von Juden wegen Rassenschändungen ist der Aufklärungskampf gegen die Juden lebhafter geworden. So ist in Wesermünde ein Stürmerkasten angebracht worden. Von SA -Männern sind die Besucher des jüdischen Kaufhauses Schocken fotografiert worden. Hierbei ist es wohl zu kleineren Aufläufen gekommen. Zwischenfälle sind jedoch nicht bemerkt worden, so daß ein Grund zum polizeilichen Einschreiten nicht gegeben war. Außerdem sind von der SA einigemale Flugblätter mit gegen die Juden gerichteten Inhalt verteilt worden.

Die Bevölkerung steht im allgemeinen den gegen die Juden getroffenen Maßnahmen verständnislos gegenüber, wenn nicht sogar in vielen Fällen ablehnend. Bei den unkomplizierten Volksschichten herrscht noch immer die Vorstellung von dem ''unschuldig mitleidenden anständigen Juden''. Die intellektuellen Schichten, soweit sie von der oben bereits geschilderten verbreiteten pessimistischen Stimmung ergriffen sind, betrachten das augenblicklich wieder mehr in den Vordergrund gerückte Judenproblem als ''Ablenkungsmanöver'', um über sonstige politische Schwierigkeiten des Staates hinwegzutäuschen.

Ein Jude Mautner, der früher in Wesermünde gewohnt hatte und sich nach der Machtübernahme längere Zeit in Österreich aufgehalten hat, war angeblich besuchsweise nach hier zurückgekehrt. Da er österreichischer Staatsangehöriger ist, wurde er zum Verlassen des Deutschen Reiches aufgefordert. Diesem Verlangen ist der ungebetene Gast schweren Herzens nachgekommen.

Wenn es in Hagen vorkommen konnte, daß bei einer Beerdigung einer 83jährigen Jüdin der hierzu von Hannover gekommene Rabbiner am Schlusse seiner Rede erklären konnte, es wäre ein Zeichen guter Gesinnung der Hagener Einwohner, daß soviel Christen dem Sarge der Verstorbenen gefolgt seien, ist es weiter nicht verwunderlich, wenn trotz aller Belehrungen nach wie vor große Teile der Bevölkerung jüdische Geschäfte bei ihren Einkäufen bevorzugen.

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