Die Gestapo berichtet aus Bielefeld
Die Gestapo des Regierungsbezirks Minden erstattet am 4. August 1935 folgenden Lagebericht für Juli 1935 aus Bielefeld:
In der Berichtszeit machte sich die durch das ganze Reich neue antisemitische Welle auch im hiesigen Bezirk bemerkbar. Das wieder anmaßende Auftreten der Juden in der Öffentlichkeit, hat eine starke Verbitterung hervorgerufen, so daß es hier und da zu kleineren Aktionen gekommen ist, die allerdings in keinem Falle ernstere Folgen hatten. So wurden in Lemgo 6 Häuser von Juden mit Farbe beschmiert. In Detmold wurden an dem Wohnhaus eines Juden mehrere Fensterscheiben zertrümmert.
Besonderen Staub wirbelte das in Hessisch-Oldendorf, an der Grenze des hiesigen Bezirks (Provinz Hannover), von einem Juden begangenen Sittlichkeitsverbrechen an einem arischen Mädchen auf. Über dieses Verbrechen wurden in Bückeburg Flugblätter verbreitet, bei denen Drucker und Verleger nicht angegeben waren. Von einer Beschlagnahme der Flugblätter ist jedoch abgesehen, da sich der Inhalt des Flugblattes auf Vorgänge im Kreise Rinteln bezog, woselbst dort die Verbreitung des Flugblattes geduldet wurde.
In Minden wurden in einigen Nächten, vor allem in der Nacht vom 17. zum 18. Juli, an mehreren Stellen, besonders an jüdischen Geschäften, öffentlichen Gebäuden und Aushängekästen des Stahlhelm von unbekannt gebliebenen Tätern auf das eben genannte Sittlichkeitsverbrechen in Hessisch-Oldendorf sich beziehende Plakate angeklebt mit der Überschrift: ''Unerhörte Rassenschändung im Hause des Juden [N.N.a] in Hessisch-Oldendorf.'' Der Drucker und der Verleger sind auf diesen Plakaten, die in roter Farbe, etwa 38 x 32 cm groß, hergestellt worden sind, nicht angegeben. Mehrere jüdische Geschäfte in Minden sind auch mehrmals mit roter Farbe beschmiert worden, ohne daß bisher auch hierzu irgend ein Täter festgestellt werden konnte. Die Parteistellen rücken von diesen Aktionen entschieden ab. Sie wollen auch in Zukunft darauf einwirken, daß derartige Einzelaktionen unterbleiben. Führen doch solche Einzelaktionen letzten Endes dazu, daß sich die Juden als Märtyrer fühlen und von andern Teilen des Volkes bemitleidet werden. Daß dies schon heute teilweise der Fall ist, zeigt die Tatsache, daß aus einzelnen Teilen des Bezirks, unabhängig von einander berichtet wird, daß dort der Umsatz der jüdischen Geschäfte in der letzten Zeit gestiegen ist. Hinzu kommt, daß im hiesigen Bezirk etwas darauf Rücksicht genommen werden muß, daß von hier viele Handelsbeziehungen nach Holland bestehen, wohin auch wichtige Durchgangsstraßen durch diesen Bezirk führen. Schließlich sind im Bezirk die beiden bedeutenden Bäder Oeynhausen und Salzuflen gelegen, die gerade jetzt in der Hauptsaison auf Ausländerbesuch angewiesen sind.
Wegen des dreisten Auftretens der Juden in Badeanstalten mußte ihnen der Zutritt in einigen Orten des Bezirks untersagt werden. So hat z.B. die Ortspolizeibehörde in Minden am Eingang des städtischen Sommerbades ein Schild aufgestellt mit der Aufschrift: ''Juden ist der Zutritt nicht gestattet.'' Veranlassung hierzu gab das Verhalten eines Judenjungens, der derart auftrat, daß er von Oberrealschülern (HJ -Jungen) mehrfach getaucht wurde, so daß schließlich der Bademeister eingreifen mußte.
Ein weiteres Schild dieser Art wurde in Wüsten in Lippe, an der dortigen Badeanstalt angebracht. Der jüdische Händler, David Berghausen, geb. am 1.9.89 zu Frille, wohnhaft in Bad Salzuflen, Obere Mühlenstraße 8, äußerte sich in einem Friseurgeschäft in Bad Salzuflen, als man dort auf dieses Schild zu sprechen kam, ''Das hat Hetland getan, der Idiot!'' Weiter behauptete er, daß bei einer Abstimmung über die Entfernung des Schildes 80% der Einwohner für die Entfernung stimmen würde. Der von dem Juden Berghausen beschimpfte Hetland ist Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP in Wüsten i/Lippe. Berghausen wurde von mir am 28.7.35 in Schutzhaft genommen, die inzwischen vom Geheimen Staatspolizeiamt bestätigt worden ist. Berghausen hat früher des öfteren gegen die NSDAP Stellung genommen und auch wegen Abhörens des Moskausenders mit der SS in Bad Salzuflen Zusammenstöße gehabt. Die abschließenden Ermittlungen in dieser Angelegenheit schweben noch. Auf meine Tagesmeldung vom 29.7.35 nehme ich Bezug.
Eine besondere Stimmung gegen die Juden machte sich in der letzten Zeit auch in Bad Oeynhausen bemerkbar, wo vor allem gegen einzelne Parteigenossen der Vorwurf erhoben wird, daß sie noch heute beim Juden kaufen. Angeblich soll ein junger Oeynhauser Parteigenosse diese Pgs. beim Betreten des jüdischen Kaufhauses Rüdenberg fotografiert haben. Ernstere Zwischenfälle haben sich aber auch hier nicht ereignet.
Viel belacht wurde in Paderborn der Fall des Juden Grünebaum jun. Dieser Jude hatte bis gegen 1/2 1 Uhr nachts im Kaffee Eiethaup in Paderborn mit einem arischen Mädchen gesessen. Nachdem er mit dem Mädchen das Lokal verlassen hatte, wurde er von bisher unbekannt gebliebenen Männern in eine Seitenstraße geleitet, um dort trotz seines Sträubens sehr intensiv in der sogen. ''Kalten Pader'' gebadet. Dem Mädchen zog man auf der Promenade in der Nähe des Western Tores die Kleider bis auf Hemd und Schlüpfer aus und schickte sie so nach Hause. Trotzdem Paderborn als judenfreundlich bekannt ist, ist dieser Vorfall von der Bevölkerung nicht übel aufgenommen worden, zumal er für die Betroffenen selbst weiter keine ernsteren Folgen hatte.
Im übrigen beschränkte sich die Propaganda im hiesigen Bezirk gegen die Juden auf die Anbringung von Schildern mit Aufschriften wie: ''Juden sind hier unerwünscht!'' oder ''Juden betreten den Ort auf eigene Gefahr.'' In einzelnen Orten wurden auch neue Stürmerkästen in besonders feierlicher Form angebracht. Schilder der genannten Art befinden sich in etwa 20 bis 25% der Ortschaften des Bezirks.
In einem Falle hat ein Jude eine demonstrative Stellung gegen sich direkt herausgefordert. Der Inhaber des jüdischen Kaufhauses, Berl in Bückeburg, hatte für den 23.7.35 einen Totalausverkauf angekündigt, der am 22.7.35 unter Aufsicht der Polizeibehörde Bückeburg vorerst untersagt wurde, weil demnächst die allgemeinen Saison-Ausverkäufe beginnen und im Publikum eine allgemeine Verärgerung darüber entstand, daß die jüdische Firma kurz vor den allgemeinen Ausverkäufen schon die Bedürfnisse des Publikums befriedigte. Die Firma Berl hatte die Anordnung der Bückeburger Polizeibehörde auf einem Schild im Schaufenster ausgehängt und besonders hervorgehoben, daß ihr die polizeiliche Anordnung des Abends bekannt geworden war, wobei das Wort ''Abends'' nicht nur unterstrichen, sondern auch mit einem Ausrufungszeichen versehen war. Wegen dieses Plakats bildeten sich vor dem Geschäft diskutierende Gruppen, die die Entfernung des Plakates verlangten. In der Nacht zum 23.7.35 wurde dann mit roter Farbe an das Schaufenster geschrieben: ''Es lebe hoch der Magistrat, der den Ausverkauf verboten hat,'' und an einem anderen Schaufenster ''Judenknechte , hütet Euch! Schluß mit den Ausverkäufe Bückeburg [sic].'' Am Sonnabend, dem 27.7.35 bildete sich dann gegen 19 1/2 Uhr ein Demonstrationszug gegen die jüdischen Ausverkäufe, der unter Teilnahme von etwa 170 Personen gut diszipliniert durch die Straßen Bückeburgs marschierte. Im Zuge wurden zwei Schilder mit der Aufschrift mitgeführt: ''Kauft nicht beim Juden.'' Beim Vorbeimarsch an jüdischen Geschäften wurden aus dem Zuge kurze Fragen gerufen: ''Wer ist unser Unglück?'', oder ''Wer schädigt den deutschen Kaufmann?'' oder ''Wer ist das größte Schwein?'' Die Antwort aus dem Zuge lautete darauf in jedem Falle ''Der Jude!'' Zu irgend welchen Ausschreitungen ist es dabei nicht gekommen. Die Teilnehmer des Zuges waren zum größten Teil auswärtige Kaufleute und kaufm. Angestellte aus Bückeburg. Weitere Demonstrationen dieser Art sind nach Mitteilung der Außendienststelle in Bückeburg in nächster Zeit nicht mehr zu befürchten, wenn auch die öffentliche Meinung weiterhin gegen die jüdischen Ausverkäufe eingestellt ist. Auf meine Tagesmeldungen vom 27.7. und 1.8. nehme ich Bezug.
Wie judenfreundlich auch heute noch Teile der Bevölkerung eingestellt sind, zeigt ein Vorfall, der sich während des Schützenfestes in der Gemeinde Natzungen im Kreise Warburg abspielte, das dort am 30.7. stattfand. An diesem Schützenfest nahmen auch Juden teil, die sich im offiziellen Festzelt aufhielten. Anwesende Parteigenossen wünschten die Entfernung der Juden, für die nunmehr die ortseingesessenen Bauernjungen Partei ergriffen. Trotzdem ein anwesender SA -Sturmführer auf die Entfernung der Juden drängte, erklärte sich der anwesende Ortsgruppenleiter der NSDAP im Einvernehmen mit dem Stützpunktleiter der NSDAP mit dem Verbleiben der Juden im Zelt einverstanden. Die Ermittlungen in dieser Angelegenheit sind noch nicht abgeschlossen.
Von den jüdischen Organisationen kann nichts besonderes berichtet werden. Sie sind in der Berichtszeit fast gar nicht in die Erscheinung getreten. Es macht sich bei ihnen auch stark die Ferienzeit bemerkbar. Hinzu kommt sicherlich, daß sie auch befürchten, bei den augenblicklichen Einstellungen großer Teile der Bevölkerung gegen das Judentum bei Veranstaltungen doch gestört zu werden. Von den ganzen jüdischen Organisationen betätigt sich z. Zt. nur der zionistisch eingestellte ''Hechaluz '', dessen Heimatabende aber sehr schwach besucht sind, so daß auch dieser Kreis an ein geregeltes Arbeiten z. Zt. nicht denken kann.