Bericht aus Marburg
Der Landrat des Kreises Marburg erstattet am 15. Juli 1935 folgenden Lagebericht für Mai und Juni 1935:
Die Aufklärung in der Rassenfrage greift insofern in der Kreisbevölkerung um sich, als die Zeitschrift ''Der Stürmer '' mehr und mehr Verbreitung findet. Zu dieser Aufklärung tragen Stürmerkästen bei, die in verschiedenen Landgemeinden des Kreises Aufstellung gefunden haben. Es steht zu hoffen, daß damit auch der jüdische Handel eine Einbuße erleidet. Der jüdische Viehhandel ist leider immer noch recht lebhaft. Wenn bisher jüdische Viehhändler zum Teil bessere Preise als arische Händler zahlten, so lag es mit daran, daß die jüdischen Händler hauptsächlich verstanden, sich ihren steuerlichen Pflichten zu entziehen, soweit es sich um die Wandergewerbe- bzw. Gewerbeertragssteuer handelt. Während auf der einen Seite der Jude wegen ihm zu hoch erscheinenden Wandergewerbesteuer den erforderlichen Wandergewerbeschein nicht beantragte oder einlöste, schützte er auf der anderen Seite das Bestehen eines stehenden Viehhandelsgeschäftes durch gewerbepolizeiliche Anmeldung vor, um mit der Legitimationskarte sein Gewerbe betreiben zu können. Aber auch für den stehenden Gewerbebetrieb entrichtete er keinerlei Gewerbeertragssteuer, da er nie die Freigrenze überschritten haben wollte. Hier ist nun insofern Wandel geschaffen worden, als der zuständige Schlachtviehverwertungsverband nach der Verordnung über die Regelung des Verkehrs mit Schlachtvieh vom 2.2.1935 seine Genehmigung zur Errichtung neuer stehender Gewerbebetriebe für den Viehhandel vor der Geschäftseröffnung erteilen muß. Diese Regelung hat zur Folge gehabt, daß seit dem 1.4. d. Js. keinerlei jüdische Viehhandelsgeschäfte eröffnet und keine Gewerbelegitimationskarten zum Aufkaufen von Schlachtvieh beantragt worden sind.