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Chronik und Quellen
1935
Juni 1935

Bericht aus Stettin

Der Oberpräsident der Provinz Pommern erstattet am 9. Juli folgenden Lagebericht für Juni 1935 aus Stettin:

Die Versammlungstätigkeit der Juden hat weiterhin nachgelassen. In der Provinz wird häufig über das Auftreten der Juden geklagt. Man glaubt, daß gegen die Juden nicht scharf genug vorgegangen wird, und daß die Juden ihre wirtschaftliche Lage daher im letzten Jahr wieder verbessern konnten. Die antisemitische Stimmung wird wesentlich genährt durch die Tatsache, daß immer noch ein großer Prozentsatz von Volksgenossen seine Einkäufe bei Juden tätigt. Dies gilt besonders von der Landbevölkerung, die als Grund hierfür angibt, daß es beim Juden billiger sei und man eine größere Auswahl habe. Aus der hierdurch entstandenen Erregung heraus werden in sehr vielen Ortschaften Anschriften aufgebracht wie:

''Juden! Halt! Lebensgefahr!'', ''Das Befahren der Dorfstraße geschieht für jeden Juden auf eigene Gefahr!'', ''Juden haben hier nichts verloren!'', ''Juden sind nicht erwünscht!'', ''Jüdische Händler werden hier keine Ware los!''

In einer kleinen Stadt war die Folge der Erregung, daß man die in jüdischen Geschäften kaufenden Personen vom Kaufen abhielt, photographierte und den jüdischen Geschäftsleuten Plakate an die Schaufenster klebte. In der Nacht vom 3. zum 4. Juli ist es in Kolberg zu Ausschreitungen gekommen. Zwei jüdische Geschäfte wurden mit Inschriften in roter Farbe beschmiert, zwei Juden wurden verprügelt und eine jüdische Pension mit Steinen beworfen. Unter den Badegästen Kolbergs befinden sich zahlreiche Juden, deren Zahl indes nicht erheblich größer sein soll als im Vorjahre (1934: 900). Der große Zustrom der Juden nach Kolberg hatte die Kreisleitung der NSDAP veranlaßt, bei einem Maler Auftrag zu geben, Schilder mit der Aufschrift: ''Juden sind hier nicht erwünscht'' anzufertigen. Dies hatte sich nach Ansicht der Polizei herumgesprochen und anscheinend übereifrige Personen zu ihrem Vorgehen veranlaßt.

Allgemein wird in den Bädern die Judenfrage wie im Vorjahre lebhaft erörtert. In fast allen Bädern wird ''Der Stürmer '' in Kästen ausgehängt und unter die Kurgäste verteilt. Diese Propaganda wird von der Bevölkerung lebhaft begrüßt.

Maßnahmen sind in die Wege geleitet, daß die Gesichtspunkte des Erlasses des Stellvertreters des Führers vom 11.4.1935 beachtet werden.

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