Die Gestapo berichtet
Die Gestapo des Regierungsbezirks Königsberg berichtet über den Monat Juni 1935:
Zu judenfeindlichen Kundgebungen größeren Umfanges ist es nicht gekommen. Allmählich wächst jedoch auch hier eine judenfeindliche Stimmung heran, vor allen Dingen, da sich auch in Ostpreußen die Fälle mehren, in denen Juden arische Mädchen mißbrauchen.
Juden und Freimaurer
In der Berichtszeit hielt sich die Versammlungstätigkeit der jüdischen Verbände und Organisationen in mäßigen Grenzen. In Königsberg ist eine Versammlung der jüdisch-konservativen Vereinigung erwähnenswert in der ein Dr. S. Ehrmann aus Frankfurt a.M. sprach. Im übrigen hielten die Jugendorganisationen ihre regelmäßigen Sport- und Schulungsabende ab.
Es mehren sich auch in Ostpreußen die Fälle, wo Juden arische Mädchen geschlechtlich mißbrauchen, wobei allerdings gesagt werden muß, daß die Mädchen sich bedenkenlos dazu hergeben. So wurde am 20. Juni 1935 der jüdische Kaufmann [N.N.a] in Schutzhaft genommen, weil er mit der arischen Hausangestellten [N.N.b] geschlechtlich verkehrt und diese infiziert hat, obwohl ihm seine Geschlechtskrankheit bekannt war. Ferner wurde am 29.6.35 der jüdische Kaufmann [N.N.c] festgenommen, weil er mit einem Lehrmädchen aus dem Geschäft seines Vaters nach Cranz gefahren war und mit dieser ohne Badebekleidung gebadet hat. Nachdem diese Tatsache der Bevölkerung bekannt geworden war, wurde er mit einem Schild am Hals durch die Straßen Königsbergs geführt. Das Schild hatte folgende Aufschrift: ''Dieses ist der Jude [N.N.c], der in Cranz mit einem deutschen Mädchen ohne Badehose gebadet hat''.
Am 28.5.35 veranstaltete die zionistische Vereinigung Ortsgruppe Tilsit einen Vortragsabend verbunden mit einem Lichtbildervortrag, an dem etwa 130 Personen beiderlei Geschlechts teilnahmen. Nachdem der Kaufmann Arthur Flachsmann - Tilsit - die Veranstaltung eröffnet hatte, sprach Hans Sturmann Kbg. über das Thema: ''Der Weg und die Zukunftsgestaltung des deutschen Judentums''. Der Redner brachte in seinen Ausführungen besonders zum Ausdruck, daß Palästina das Zukunftsland der Juden sei. Anschließend führte der jüdische Delegierte der Deutschen Keren-Hajessod-jüdisches Palästinawerk e.V. , - Heinrich Freudenberger - Berlin - unter eingehenden Erläuterungen den Film ''Eres Israel'' vor. Dieser von einem Touristen aufgenommenen Film zeigt Bilder über den wirtschaftlichen Aufbau Palästinas. Zum Schluß schilderte Freudenberger seine eigenen Reiseerlebnisse in Palästina, wobei er besonders auf die in diesem Land von den Juden bisher geleistete Pionierarbeit hinwies.
Die in Eydtkuhnen ansässigen Juden der jüngeren Generation gehören fast restlos der zionistischen Bewegung an. Da Versammlungen dieser Bewegung in Eydtkuhnen nicht beobachtet worden sind, ist anzunehmen, daß sie ihre Veranstaltungen in Litauen abhalten. Seit der Machtübernahme sind aus Eydtkuhnen etwa 10 Juden endgültig nach Palästina ausgewandert. Mit einer gleichen Anzahl zionistischer Auswanderer ist in Kürze zu rechnen.
Eine Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten - Ortsgruppenführer ist der Jude Keidankski - hat auch in Eydtkuhnen bestanden. Diese Organisation ist aber in den letzten Jahren nicht merklich in Erscheinung getreten. Ursprünglich gehörten ihr etwa 20 Juden an, die auch gleichzeitig Mitglieder des Reichsbanners gewesen waren.
Obwohl die Juden von der Treuburger Bevölkerung bisher nicht behelligt worden sind, gestaltet sich das Geschäftsgebaren des [N.N.d] immer unverschämter. So ist er bereits im vergangenen Jahre dadurch unangenehm aufgefallen, daß er versuchte die behördliche Genehmigung für Leichentransporte, die er mit einem Lieferwagen ausführen wollte, zu erlangen. Diesen Lieferkraftwagen benutzt er jedoch vorwiegend für Lebensmitteltransporte. Einige Zeit später wurde er von der Gendarmerie gestellt, als er Butter auf einem Wagen des Abdeckers transportierte. Ferner hat die Ehefrau [N.N.e] vor etwa 14 Tagen ein deutsches Kind auf der Straße geschlagen. [N.N.d] betreibt einen schwunghaften Handel mit Butter, Eiern, Wild und Geflügel und versendet diese Produkte in Einzelpaketen an seine Abnehmer im Reich. Den Abnehmern gegenüber tarnt er seine Firma unter der Bezeichnung ''Lebensmittelversandhaus Treuburg''.
Im Kreise Ortelsburg wurde festgestellt, daß sich die Juden unter der Bezeichnung ''Naumannjaner'' zusammengeschlossen haben. Die Anzahl der Mitglieder dieses Bundes konnte noch nicht ermittelt werden.
Am 10.6.35 ist in Johannisburg die Gründung des ''Frauen-Chewra-Kawische, [sic] israelitischer Verein für Krankenpflege und Beerdigung der Kreissynagogengemeinde Johannisburg'' bekannt geworden. Der Zweck dieses Vereins ist
1.) unbemittelte Ortskranke jüdischer Religion unentgeltlich zu pflegen,
2.) das rituelle Waschen, Ankleiden und Geleiten der Verstorbenen als Liebesdienste.
Im Berichtsmonat ist der Jude, Kaufmann [N.N.f] aus Allenstein nach Palästina ausgewandert, wo sich auch sein Sohn, Rechtsanwalt [N.N.g], der wegen Verschiebens von Devisen in das Ausland strafrechtlich verfolgt wird, aufhalten soll.
Am 21.6.35 fand auf dem Marktplatz in Marienburg eine Demonstration statt, an der sich etwa 200 Personen beteiligten. Es handelte sich um eine spontane Kundgebung der Bevölkerung gegen den Juden [N.N.h], der vor kurzem wegen einer Allimentensache [sic] vor Gericht stand. Einige junge Leute holten den Juden aus seinem Geschäft, hängten ihm ein Plakat mit der Aufschrift: ''Mädchenschänder, Jude'' um den Hals und führten ihn auf den Marktplatz. Aus der Menge wurden Rufe wie ''Mädchenschänder von Marienburg usw.'' laut. Da die Befürchtung bestand, daß die Demonstranten den Juden tätlich angreifen würden, wurde er zum Schutze seiner eigenen Person in Haft genommen. Nach der Inhaftierung des Juden zerstreuten sich die Demonstranten.
In Elbing wurde am 21.6.35 vor dem jüdischen Geschäft Jacoby ein Transparent mit der Aufschrift ''Die Juden sind unser Unglück'' angebracht. Es fanden vor diesem Geschäft geringfügige Ansammlungen statt, ohne das gegen die Juden selbst Stellung genommen wurde. Jacoby beschwerte sich bei der Staatspolizeistelle über die Anbringung des Transparents. Die Entfernung ist jedoch nicht angeordnet worden, da Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht eingetreten sind.
Während der Pfingstfeiertage hat ein auffallend starker Reiseverkehr von Juden teils mit der Bahn, teils mit Kraftwagen nach der Freistadt Danzig stattgefunden. Soweit es möglich war, wurden die Juden bei ihrer Rückreise gelegentlich der Paßkontrolle namentlich festgestellt. So konnte festgestellt werden, daß etwa 72 Juden nach Danzig ausgereist und wieder nach Ostpreußen zurückgekehrt sind. Die Vermutung, daß sie in Danzig eine Zusammenkunft gehabt hätten, hat sich nicht bestätigt. Nach Mitteilung der politischen Polizei in Danzig sollen die Juden nach Danzig gereist sein um dort die Feiertage mit deutscher Währung billiger verleben zu können.
In dem Pommereller Tageblatt Nr. 141 v. 22.6.35 war zu lesen, daß die jüdische Boykottzentrale in Warschau von den polnischen Behörden ausgehoben worden sei. Der Zentrale ist eine Auflösungsverfügung mit sofortiger Wirkung zugestellt worden. Nachdem die polnischen Behörden diese Zentrale wiederholt ermahnt hatten, ihre antideutsche Propagandatätigkeit einzustellen, ist nunmehr ihrer Tätigkeit ein Ende gemacht worden.
Die Maßnahmen der Reichsregierung gegen Volksschädlinge und die damit verbundene Judenfrage werden in der Bevölkerung mit wenig Verständnis aufgenommen. Es kann nach wie vor die Beobachtung gemacht werden, daß auch weiterhin in jüdischen Geschäften gekauft wird. Es ist eine bedauerliche Tatsache, daß nicht nur die Land- und ärmere Bevölkerung, sondern auch ein großer Teil der Beamtenschaft ihre Einkäufe in diesen Geschäften tätigen, ganz gleich, ob sie den nationalsozialistischen Organisationen angehören oder nicht. Bei den unauffällig angestellten Beobachtungen konnte festgestellt werden, daß die jüdischen Unternehmungen einen größeren Umsatz zu verzeichnen haben als die christlichen und die jüdischen Wirtschaftsbetriebe in jeder Beziehung als stabil zu bezeichnen sind. Ein Erfolg der Maßnahmen der Reichsregierung wird umfassender und schneller eintreten, wenn auch nur ein Teil der Bevölkerung mehr Zurückhaltung üben würde. Nur durch strenge Disziplin und korrekte Haltung, vor allem der Beamtenschaft, kann der nationalsozialistische Gedanke, die Volksschädlinge zu beseitigen, verwirklicht werden. Bisher konnte in keiner Weise eine Zurückhaltung in der Judenfrage beobachtet werden.