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Chronik und Quellen
1935
Juni 1935

Die Gestapo berichtet

Die Gestapo Hannover berichtet am 5. Juli 1935 über den Monat Juni 1935:

Die von den Juden nach der Machtergreifung zunächst geübte Zurückhaltung hat in den letzten Monaten stark nachgelassen. Eine Flut von Versammlungen und Veranstaltungen machte die Bevölkerung mit Befremden auf das unerwünschte und dreiste Auftreten der Juden aufmerksam. Zu irgend welchen bemerkenswerten Kundgebungen bezw. Ausschreitungen gegen die Juden ist es bisher im hiesigen Bezirk nicht gekommen. Erwähnen möchte ich, daß in einer großen Anzahl Orten meines Bezirks im Monat Juni sogenannte Stürmer -Kästen zum Aushang gelangten.

Besonders dreist trat in letzter Zeit der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten auf. Nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht ist der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten stark bemüht, seine besonderen Taten, die seine Mitglieder im Kriege angeblich geleistet haben, der Öffentlichkeit zu übermitteln. Unter Berufung auf das gemeinsame Fronterleben von Deutschen und Juden im Weltkriege vertritt man die Forderung auf gleiche Achtung und gleiche Rechte im deutschen Volksleben. So hoffte auch der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, daß die deutschen! Juden bei der Einführung der Wehrpflicht mit berücksichtigt würden. Nachdem sie auch hier ihr Ziel nicht erreicht hatten, erließ der Bundesvorsitzende des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten das bekannte Rundschreiben, worin aufgefordert wird, den Antrag auf Zulassung zum Heeresdienst fristgemäß zu stellen, um damit auf jeden Fall den Anspruch, als Jude am Ehrendienst unter der Waffe teilzuhaben, anzumelden.

In der Judenbewegung ist die schon seit langem bestehende Uneinigkeit zwischen den Zionisten und den deutsch-jüdischen Juden in letzter Zeit erheblich gestiegen. Von den Organisationen der letzteren sind es insbesondere der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten und der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens , die gegen die Forderung der Zionisten, ihnen eine mindestens 50%ige Mitführung in allen für die Zukunft des deutschen Judentums wichtigen Positionen der jüdischen Gemeinden zu ermöglichen (z.B. Dezernat für jüdische Schulen , Berufsumschichtung , Sozialarbeit, Jugenderziehung pp.), Stellung nehmen. Von den Zionisten wird die Hoffnung ausgesprochen, ohne innere Kämpfe mit den anderen jüdischen Verbänden durch Verhandlungen zu diesem Ziel zu gelangen. Besonders in der Jugenderziehung gehen die Ansichten der Zionisten und die des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten stark auseinander. Die Zionisten wollen die Jugend zusammenfassen und sie im jüdisch-nationalen Geist erziehen und für Palästina vorbereiten. Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten dagegen will die Jugend im Frontsoldatengeist erziehen und kämpft unter dem Motto ''Deutsch und Jude''. Nicht zuletzt ist die feindliche Einstellung des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten und des Centralvereins den Zionisten gegenüber in der bevorzugten Behandlung der letzteren seitens des Staates zu erblicken; denn gerade der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, der bisher glaubte, den größten Einfluß zu besitzen, sieht nunmehr seine Vormachtstellung in der Judenbewegung schwinden. Diese Auseinandersetzungen bestimmen im Augenblick die Atmosphäre innerhalb der einzelnen Gruppen des deutschen Judentums. Nach wie vor betreibt die ''Zionistische Vereinigung'' eine starke Propaganda für die Erfassung aller nichtzionistischer Juden. Der Mitgliederbestand der hiesigen Zionisten ist in den letzten drei Monaten etwa um 40% gestiegen. Seit April 1933 sind aus der Stadt Hannover 183 Juden ausgewandert. Unter diesen Auswanderern befinden sich allein 172 Ostjuden . Weitere 27 Personen stehen in der Umschichtung und haben bereits bei der englischen Regierung um ihre Zertifikate nachgesucht. Von diesen Personen sind wiederum 21 Ostjuden.

Mit Genehmigung des hiesigen Magistrats hat die Synagogengemeinde im Synagogen-Gemeindehaus in der Lützowstraße im Mai dieses Jahres eine jüdische Schule eingerichtet, die in fünf Klassen eingeteilt ist und von etwa 80 Schülern besucht ist. Der Ausbau der Schule soll noch im Laufe der nächsten Zeit erfolgen, da in Hannover etwa 600 Schüler vorhanden sind. Der derzeitige Schulunterricht wird von einem Studienassessor als Leiter und drei weiteren Lehrkräften erteilt.

Von den weiteren jüdischen Vereinen und Verbänden ist besonderes nicht zu berichten.10

Bemerkenswert ist ein Vorfall, der sich am 13. Juni in Northeim ereignete. An der Beerdigung des jüdischen Bankiers Müller in Northeim nahmen unter anderem auch 17 Volksgenossen teil, bei denen es sich nach dem Bericht des Bürgermeisters in Northeim um Angehörige des NSDFB und Personen aus reaktionären Kreisen handelte. Diese wurden von der Kreisleitung der NSDAP fotografiert und die Bilder nebst Namensverzeichnis mit der Überschrift ''Northeimer Judenknechte '' in 4 Stürmerkästen zum Aushang gebracht. Einem Antrage auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung auf Beseitigung der Bilder und des Namenverzeichnisses wurde seitens des Gerichts nicht stattgegeben, sondern ein Termin zur Entscheidung über den Antrag anberaumt. Die Bilder wurden vor dem Termin aus dem Kasten entfernt. Das Gericht verkündete folgendes Urteil: ''Die Hauptsache wird für erledigt erklärt. Von den Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller 2/3, der Antragsgegner 1/3 zu tragen.''

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