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Chronik und Quellen
1935
Mai 1935

Bericht aus Breslau

Der Regierungspräsident Breslau berichtet über die Monate April und Mai 1935:

Die Juden haben nach außen im allgemeinen die erforderliche Zurückhaltung geübt und zu Beanstandungen keinen Anlaß gegeben. Dagegen bemühen sie sich sehr lebhaft, durch Veranstaltungen verschiedener Art den Zusammenschluß unter sich zu fördern.

Die Regelung des Beflaggens von Häusern und Geschäftsunternehmungen, die sich in Händen von Juden befinden, hat in der Bevölkerung vielfach zu der Annahme geführt, es dürften an Gebäuden, deren Besitzer Jude ist, die Fahnen des Reiches und vor allem die Hakenkreuzflagge überhaupt nicht gezeigt werden. Diese Annahme ist wohl auf eine Pressenotiz zurückzuführen, die die Überschrift trug ''Juden dürfen die Reichsfahnen nicht hissen'' und folgenden Wortlaut hatte: ''Die Hissung der Reichsfahnen durch jüdische Geschäfte und Privathäuser hat wiederholt zu Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung geführt. Um derartige Zwischenfälle für die Zukunft zu vermeiden, hat der Reichsminister des Innern bestimmt: Die Hissung der Reichsfahnen, insbesondere der Hakenkreuzflagge, durch Juden hat zu unterbleiben. In Zweifelsfällen trifft die örtliche Polizei die erforderlichen Anordnungen.''

Die Bekanntmachung hat u.a. zur Folge gehabt, daß in einem Falle nationalsozialistische Mieter eines jüdischen Hausbesitzers sich nicht für berechtigt gehalten haben, die Reichsflagge in ihrer Wohnung zu hissen, sich aber darüber beklagten, daß ihnen dieses Recht verwehrt sein sollte. Auch hat die Betriebsgemeinschaft A. Wertheim G.m.b.H. Beschwerde erhoben, daß die von ihr anläßlich des Feiertages der nationalen Arbeit gehißten Reichsflaggen auf Veranlassung von SA Leuten von dem Geschäftslokal Wertheim entfernt werden mußten. Die Belegschaft, die sich zum größten Teil aus Ariern zusammensetzt und von der ein großer Teil schon vor der Machtübernahme der NSDAP angehörte, hatte am Tage der nationalen Arbeit das Geschäftslokal würdig ausgeschmückt und hierbei auch die Fahnen in den Farben schwarz weiß-rot sowie Hakenkreuzflaggen verwendet. Mehrere SA Leute unter Führung eines Gauamtsleiters verlangten von der Straße aus die sofortige Entfernung der Fahnen und drohten mit gewaltsamen Vorgehen. Da auch ein großer Teil der Straßenpassanten sich hierbei von dem Geschäftslokal der Wertheim G.m.b.H. ansammelte und seiner Empörung über die Beflaggung Ausdruck verlieh, wurden die Fahnen, um Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu vermeiden, auf Veranlassung der Polizei durch die Geschäftsleitung entfernt. Die Mitglieder der Betriebsgemeinschaft der Wertheim G.m.b.H. empfinden die Entfernung der Flaggen als eine schwere Kränkung, zumal die Ausschmückung der Hausfront und der Schaufenster von Gefolgschaftsmitgliedern freiwillig vorgenommen war und bis 1 Uhr nachts gedauert hatte.

Um ähnliche Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden, dürfte es sich empfehlen, die durch die Erlasse des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 12. Februar und 29. April d.Js. und den in letzteren angezogenen Erlaß des Herrn Reichsministers des Innern vom 27. April d.Js. (dieser ist hier bisher nicht eingegangen) getroffene Regelung in eindeutiger Form durch die Presse bekannt zu machen.

Im übrigen macht sich die Erscheinung bemerkbar, daß die jüdischen Geschäfte in zunehmendem Maße von der Bevölkerung beim Einkauf in Anspruch genommen werden, wodurch wiederum eine starke Verärgerung der kleinen Gewerbetreibenden hervorgerufen wird.

Seit dem 4.4. d.Js. veranstaltet die SA Brigade 20 an allen Sonntagen um die Mittagszeit Propagandaumzüge gegen die sogenannte Rassenschande . Bei diesen Umzügen werden die Namen der Frauen und Mädchen öffentlich bekanntgegeben, die sich mit Juden eingelassen haben. Eine Liste dieser Personen wird vor dem Rathause an der Staupsäule angebracht und von den SA Leuten bewacht. Wie mir berichtet wird soll diese Propaganda noch den ganzen Sommer über an allen Sonntagen fortgesetzt werden. Die Bevölkerung steht diesen Maßnahmen teilweise ablehnend gegenüber.

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