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Chronik und Quellen
1935
Juni 1935

Die Gestapo berichtet

Die Gestapo des Regierungsbezirks Aurich erstattet ihren Monatsbericht für Juni 1935 aus Wilhelmshaven:

In der ersten Hälfte des Monats Juni ist eine gewisse Beunruhigung in die Bevölkerung hineingetragen worden dadurch, daß Parteigenossen in Emden und Aurich die Personen photographierten, die in jüdischen Geschäften kauften und die photographierten Personen öffentlich in Schaufenstern aushängten. Von der diesseitigen Stelle wurde der Unfug unterbunden.

In den ländlichen Bezirken sind die Juden nach wie vor stark im Wirtschaftsprozeß und insbesondere im Viehgeschäft tätig. Dieses Vorgehen wird ihnen dadurch erleichtert, daß die Bauern ihr Vieh gern an Juden absetzen. In Jemgum, Kreis Leer, hat sich ein Jude dahin geäußert, daß er im dritten Reiche ein besseres Geschäft mache als vorher. Aufgefallen ist in verschiedenen Gemeinden, daß Juden sich gern in ärmeren Volkskreisen, welche zum Teil aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden, aufhalten.

Am 11.6.35, abends 20.30 Uhr, fand im Restaurant Wolff, Norderstraße in Aurich, eine Versammlung des jüdischen Jugendbundes in Aurich statt, wozu sich etwa 100 jüdische Jünglinge und Jungfrauen eingefunden hatten. Als Redner trat Dr. Karl Kindermann aus Berlin auf. Er erklärte, daß er vor mehreren Jahren in russischer Gefangenschaft gewesen und dort zum Tode verurteilt worden sei. Auf wiederholte Vorstellungen der deutschen Regierung hätten die russischen Kommunisten ihn wieder frei gelassen.

Nachdem er längere Zeit über seine Reiseerlebnisse gelegentlich der Reise der Kaiserin von Abessinien nach dem Orient, die er als Begleiter mitgemacht hätte, gesprochen hatte, äußerte er sich über Ansiedlungsmöglichkeiten auf der Insel Zypern. Da es nicht möglich sei, alle Juden bezw. alle auswanderungslustigen Juden auf einmal in Palästina unterzubringen, sei die Gelegenheit vorhanden, eine Anzahl auf der Insel Zypern anzusiedeln. Er habe die Insel vollständig bereist, diese sei etwa so groß wie der Freistaat Oldenburg, wovon noch ein Drittel vollständig unbewohnt sei. Es könnten sich dort 500 jüdische Familien ansiedeln, für einzelne Personen sei die Siedlung nicht so praktisch. Die Insel stünde unter englischer Herrschaft, das Klima sei sehr gut und für jeden Europäer sofort erträglich. Die englische Regierung sei mit der Besiedlung durch Juden einverstanden.

Die Versammlung verlief ohne Störung.

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