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Chronik und Quellen
1935
Mai 1935

Die Gestapo berichtet

Die Gestapo für den Regierungsbezirk Münster berichtet am 6. Juni 1935 für Mai 1935 aus Recklinghausen:

NSDAP und ihre Gliederungen

Bereits in den letzten Lageberichten mußte immer wieder auf die schweren Ausschreitungen und Übergriffe der im Bezirk untergebrachten österreichischen Legionäre hingewiesen werden. Auch im Berichtsmonat änderte sich an diesen Verhältnissen nichts.

So drang am 4.5.35 gegen 9 1/2 Uhr ein Trupp der in der Sportschule in Velen stationierten österreichischen SA in Stärke von 8 Mann gewaltsam nach Erbrechen der Tür in die dortige Synagoge ein, in der sich die jüdische Gemeinde zum Gottesdienst versammelt hatte. Die anwesenden Juden wurden von den SA-Leuten beschimpft, bespien und mit Steinen beworfen, wobei der Rabbiner durch einen Steinwurf am Kopf verletzt wurde. Die in der Synagoge anwesenden Juden flüchteten schließlich durch die Fenster.

Ferner drangen am 2.5.35 zwei Unterführer aus dem Lager der österreichischen SA in Velen in angetrunkenem Zustand mit einer Schnapsflasche im Arm in die dortige kath. Kirche ein, in der gerade Gottesdienst abgehalten wurde. Die beiden SA-Leuteximilian, Schreiner, deutschstörten dadurch den Gottesdienst. Sie beschäftigten sich ferner mit der Schnapsflasche, die anscheinend leer war und tranken sich gegenseitig zu. Weiter machten sie während des Gottesdienstes Zwischenbemerkungen, wie ''dumme Pfaffen'' und verließen sodann die Kirche.

Diese Vorfälle haben nicht nur in der kath. Bevölkerung eine starke Erregung ausgelöst, sondern sind auch in den in der Nähe liegenden holländischen Grenzorten und den holländischen Zeitungen lebhaft erörtert und zu einer erneuten Greuelhetze gegen Deutschland benutzt worden.

Sonstige Klagen sind im Berichtsmonat über die SA nicht laut geworden. (…)

In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß die Führerfrage in der HJ nach wie vor ihrer Lösung harrt. Es wird immer wieder berichtet, daß viele Eltern Bedenken tragen, ihre Jungen in die HJ zu schicken, weil die Führung nicht in den richtigen Händen liegt. So wurde in einer kleinen Stadt seitens der Eltern vieler Hitlerjungen an der Tatsache starker Anstoß genommen, daß die Führung der örtlichen HJ einem Jugendlichen übertragen wurde, der vor einiger Zeit an der Sprengung einer Synagoge in dem betreffenden Ort beteiligt war. (…)

 

Juden und Freimaurer

Die Versammlungstätigkeit der jüdischen Vereine war im Berichtsmonat wieder ganz besonders rege. In verschiedenen Orten wurden Vorträge und Kulturabende abgehalten, die sich fast durchweg eines sehr regen Zuspruchs zu erfreuen hatten [sic].

Wie in den meisten Orten des Reiches so ist auch im hiesigen Bezirk in den letzten Wochen das Judenproblem wiederum in den Brennpunkt des allgemeinen Interesses getreten. Überall machte sich eine verstärkte Propaganda gegen das Judentum, ganz besonders aber gegen die jüdischen Geschäftsleute, bemerkbar. Diese gegen das jüdische Element gerichtete Propaganda fand ihren Ausdruck in der Aufstellung von Stürmerkästen , in Aufforderungen zum Boykott jüdischer Läden und vereinzelt auch in Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte. So wurde am 20.5.35 in Südlohn von 2 SA-Leuten die Schaufensterscheibe eines jüdischen Geschäftes eingeschlagen und am selben Tage das Haus eines jüdischen Kaufmanns in Ahaus mehrfach beschädigt. Ferner wurden Anfang Mai auf dem Judenfriedhof in Dülmen mehrere Grabdenkmäler umgeworfen und beschädigt und dem im gleichen Ort ansässigen holländischen Juden Davidsohn eine Schaufensterscheibe eingeworfen.

Nach den vorliegenden Berichten sind die in den Grenzbezirken erfolgten Ausschreitungen gegen Juden von verschiedenen holländischen Zeitungen zum Gegenstand einer erneuten Hetze gegen Deutschland gemacht worden. Ferner sollen auch die in einer Reihe von an der Grenze liegenden deutschen Orten aufgestellten Tafeln mit antisemitischen Inschriften bei den im Grenzgebiet verkehrenden Holländern starken Anstoß erregt und die geschäftlichen Beziehungen mit Holland stark beeinträchtigt haben.

Während die katholische Bevölkerung kein rechtes Verständnis dafür hat, daß in letzter Zeit die Judenfrage wieder so stark in den Vordergrund gestellt wird und aus ihrer religiösen Einstellung heraus auch die Art des Kampfes gegen die Juden nicht billigt, ist in weiten Kreisen der Bewegung, insbesondere auch der SA, die Ansicht vorherrschend, daß jetzt die Zeit gekommen sei, die Judenfrage restlos zu lösen. Man will - wie man sich ausdrückt - das Judenproblem von unten aus aufrollen und in Angriff nehmen und glaubt, daß die Regierung dann folgen muß. Unter diesen Umständen haben naturgemäß die Behörden einen sehr schweren Stand, da insbesondere dem vom Reichswirtschaftsministerium vertretenen Standpunkt der wirtschaftlichen Gleichberechtigung der Juden in der Parteigenossenschaft nicht das geringste Verständnis entgegengebracht wird.

Nach den gemachten Erfahrungen ist die Art des Kampfes, wie sie augenblicklich propagiert wird, allerdings in keiner Weise geeignet, die Juden wirksam zu bekämpfen, da trotz aller Boykottaufforderungen nach wie vor in den jüdischen Geschäften gekauft wird. Leider muß immer wieder die Feststellung gemacht werden, daß die Frauen von Parteigenossen, ferner auch viele Beamte und selbst Angehörige der Bewegung noch in jüdischen Geschäften kaufen. Von dieser Seite allein kann das Judenproblem mit Erfolg gelöst werden, d.h. jeder Parteigenosse muß so erzogen werden, daß er aus innerster Überzeugung die jüdischen Geschäfte meidet und auf seine Angehörigen im gleichen Sinne einwirkt. Solange dies nicht der Fall ist, wird man auch nicht erreichen, daß die Arbeiterbevölkerung, die infolge ihres geringen Einkommens die billigeren jüdischen Geschäfte bevorzugt, nicht mehr bei den Juden kauft.

Besondere Beachtung muß den jüdischen Hausierern geschenkt werden, die insbesondere bei den Bauern, die dem Nationalsozialismus besonders schwer zugängig sind, staatsfeindliche Propaganda treiben. Hier müßte eine Versagung des Wandergewerbescheines bezw. der Legitimationskarte allgemein für Nichtarier möglich sein.

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