Die Gestapo berichtet
Die Gestapo für den Regierungsbezirk Minden berichtet am 3. Juni 1935 für Mai 1935 aus Bielefeld:
Die Versammlungstätigkeit der Juden hat im Berichtsmonat nachgelassen. Die Winterkurse sind beendet. Es finden z. Zt. nur noch die erlaubten Mitgliederversammlungen der Vereine statt. Die Werbung der Zionisten für die Auswanderung ist sehr rege; mit großem Eifer betreibt man die Erlernung der hebräischen Sprache.
Zu judenfeindlichen Kundgebungen ist es im hiesigen Staatspolizeibezirk nicht gekommen. Lediglich in der Gemeinde Rösebeck, Kr. Warburg, sind in der Nacht vom 10. zum 11. Mai im Garten des Juden Katzenstein in Rösebeck die Stachelbeersträucher abgeknickt worden, ferner wurde die Gartentür beschädigt. Die Täter konnten bisher nicht ermittelt werden. Es besteht jedoch die Vermutung, daß der Bäckermeister Johannes Derental und der Landwirtschaftsgehilfe Josef Bader in Rösebeck die Tat ausgeführt haben. Die Ermittlungen werden mit allem Nachdruck betrieben. Derental ist Parteigenosse und Bader SA -Scharführer. Da Derental und Bader sich schon wiederholt an Ausschreitungen gegen Juden beteiligt haben, hat der Ortsgruppenleiter der NSDAP in Bergentreich gemäß den von den zuständigen Parteidienststellen erlassenen Anordnungen bei der Kreisleitung Warburg beantragt, Derental aus der Partei und Bader aus der SA auszuschließen.
In Höxter hielt der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten eine Ortsgruppenversammlung ab, in der ein Vortrag über ''das Schicksal des deutschen Judentums'' gehalten wurde. Der Redner erklärte u.a., daß der Reichsbund bei der Regierung vorstellig geworden wäre, damit die jüdischen jungen Leute wieder Soldat werden könnten. Die deutschen Juden seien seit Jahrhunderten mit dem deutschen Boden verwachsen und betrachten sich als Deutsche. Der Bund jüdischer Frontsoldaten werde sich dafür einsetzen, daß die jüdische Jugend, genau wie vor dem Kriege, zum Heeresdienst eingezogen würde. (s. Tagesbericht vom 10.5.1935).
In Bielefeld hielt der Rechtsanwalt Dr. jur. Ostwald - Münster in der Synagoge einen Vortrag über ''Die Juden in Westfalen von 1648-1848''. Sein Vortrag, der offenbar den Zweck verfolgte, für das Verbleiben der Juden in Deutschland zu werben, hatte etwa folgenden Inhalt:
Der 30. Januar 1933 hat ein neues Zeitalter und einen neuen Geschichtsabschnitt für das deutsche Volk und auch für die deutschen Juden gebracht. Eine große Änderung ist eingetreten und doch kann man sagen, daß nicht alle Verbindungen zwischen Juden und Ariern abgerissen sind. Darum sind wir verpflichtet, den weltgeschichtlichen Umschwung zu verstehen und das Gleiche zu tun, wie der Arier, nämlich unsere Verwurzelung in Deutschland und unser Heimatrecht nachzuweisen. Mit Recht wird der Mythus des XX. Jahrhunderts verkündet, denn es [sic] entspringt aus einem echt germanischen Fühlen. Und doch muß man sagen, daß im Ethos des Germanentums schon altjüdischer Geist ist. So sind viele Einzelnamen aus dem Jüdischen hervorgegangen. Selbst Hänsel und Gretel sind nicht frei von jüdischem Geist. Hans und Grete usw. sind ebenfalls aus jüdischen Namen entstanden. Wenn behauptet wird, daß in Westfalen und Rheinland in den ersten Jahrhunderten nach der üblichen Zeitrechnung keine Juden ansässig waren, so stimmt das nicht. Schon 391 hatte Köln eine ansehnliche jüdische Gemeinde. In Westfalen tauchen die Juden schon 896 auf. Während der Hohenstaufenzeit kann man feststellen, daß Juden und jüdische Gemeinden überall vertreten sind, so auch in Bielefeld und Herford. Die schwarze Pest lichtete diese Kreise. Doch wurden die Juden nicht in dem Maße heimgesucht, wie die Christen. Das liegt darin begründet, daß sie hygienischer lebten und ihre Glaubensgesetze ihnen dieses vorschrieb.
Da die Christen zur damaligen Zeit keine Weltgeschäfte betreiben durften, erlaubte man es doch den Juden. So wurden damals von den Juden gewerbsmäßige Geldgeschäfte betrieben. Der Zinssatz betrug 72% für Einheimische und 108% für Auswärtige. Selbst Könige, u.a. der König von England, betrieben solche Geschäfte mit Juden.
Wegen dieser Ausführungen, über die ich mit Tagesbericht vom 6. Mai berichtet habe, wurde Dr. Ostwald am 17.5.1935 in Schutzhaft genommen. Es sei nochmals hervorgehoben, daß O. für das Verbleiben der Juden in Deutschland geworben hat und dies u.a. damit zum Ausdruck brachte, daß die Zeit wiederkommen würde, wo der gegenwärtige und der zukünftige Staat wieder seinen Nutzen von den Juden haben werde.