Bericht aus Marburg
Der Landrat des Kreises Marburg gibt am 27. April 1935 seinen Bericht für den Monat April 1935 ab:
Der jüdische Handel, insbesondere der jüdische Viehhandel , hat auch in der Berichtszeit keine Beeinträchtigung erfahren. In einer großen Zahl von Gemeinden ist vielmehr ein weiteres Anwachsen des jüdischen Handels beobachtet worden, wobei leider auch festgestellt werden mußte, daß neben Mitgliedern der NSDAP auch Gemeinderäte, Gemeinderechner und sonstige Inhaber eines gemeindlichen Ehrenamtes in Geschäftsverbindung mit Juden stehen. Im Viehhandel haben die jüdischen Händler teilweise Preise gezahlt, die erheblich über den Preisen liegen, die von der Viehverwertungsgenossenschaft gezahlt werden konnten. Man spricht davon, daß die jüdischen Viehhändler unter sich eine sogenannte Ausgleichskasse gegründet haben, aus der dem Händler Verluste, die er im Handel erlitten hat, ersetzt werden. Genaues hierüber konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen.
Die Geschäftsverbindung, die ein Teil der Bevölkerung mit jüdischen Händlern pflegt, hat bei anderen Teilen der Bevölkerung erhebliche Beunruhigung und Verärgerung hervorgerufen. Dieser Unwille hat sich in einzelnen Fällen in dem Bemalen der Häuser von Landwirten pp., die fortgesetzt mit Juden handeln, Luft gemacht. Es erscheint mir dringend erwünscht, daß von Regierung wegen allen Inhabern gemeindlicher Ehrenämter und von Partei wegen den Parteimitgliedern der Handel mit Juden unter Androhung des Ausschlusses aus dem Amt bzw. aus der Partei verboten wird. Eine Schwierigkeit besteht insofern darin, daß ein Teil der jüdischen Händler Mitglied des Reichsnährstandes ist und darüber einen entsprechenden Ausweis besitzt, den er bei der Bevölkerung in seinem Interesse ausreichend verwertet.
Im übrigen ist im Zusammenhange hiermit noch bemerkenswert, daß nach einer mit heute gewordenen Mitteilung eines Bürgermeister des Kreises vor kurzem ein Beauftragter der Landesbauernschaft Kurhessen in einer öffentlichen Versammlung in Kirchhain erklärt haben soll, daß die Militärverwaltung den größten Teil des von ihr benötigten Hafers heute schon wieder durch jüdische Großhändler bezieht. Viele Bauern berufen sich hierauf und sagen dann mit einem gewissen Recht, daß ihnen alsdann auch der Handel mit den Juden nicht verwehrt werden könne. Zugegeben werden muß, daß der ein oder andere jüdische Händler teilweise die Bauern besser und zuverlässiger bedient, als dies durch die Kornhäuser und andere Geschäfte geschieht. Es wird mit allen Mitteln angestrebt werden müssen, daß der Bevölkerung gleichwertige bzw. noch bessere Einkaufsquellen arischer Unternehmer zur Verfügung stehen.