Die Gestapo berichtet
Die Gestapo für den Regierungsbezirk Königsberg berichtet für April 1935:
Die Versammlungstätigkeit der jüdischen Verbände und Organisationen verhielt sich im Berichtsmonat in mäßigen Grenzen. Erwähnenswert sind lediglich folgende Veranstaltungen:
1.) Ein Vortragszyklus eines Dr. Wolff Dresden.
2.) Kameradschaftsabend des RjF am 8.4.1935.
3.) Tagung des Königsberger Hechaluz am 9.4.1935.
4.) Liederabend des Kulturbundes deutscher Juden am 10.4.1935.
5.) Veranstaltung des Prof. Dr. Falkenhayn in seiner Privatwohnung am 15.4.1935.
6.) Provinzialtagung des Hechaluz am 28.4.1935.
Sämtliche Veranstaltungen waren in politischer Hinsicht nicht zu beanstanden.
Im übrigen hielten die jüdischen Organisationen in Königsberg ihre regelmäßigen Ausbildungs und Schulungsabende ab.
Die jüdische Gemeinde Königsberg hat, nachdem sie auf ihren Antrag von der Regierung die Konzession für eine 8 klassige Volksschule erhalten hat, mit Beginn des Schuljahres 1935 eine eigene Volksschule eröffnet. Die Schule ist in der hiesigen neuen Synagoge untergebracht. Es nehmen zur Zeit etwa 80 Kinder an dem Unterricht teil. Leiter der Schule sind der Lehrer Franz Kälter und der Lehrer Neon Nussbaum . Offizieller Träger der neugegründeten jüdischen Schule ist die hiesige jüdische Gemeinde; finanziert wird sie von der Reichsvertretung in Berlin und von einem in Gründung begriffenen Königsberger jüdischen Schulverein.
In Osterode wurde eine Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten gegründet. Der Vorsitzende ist der Kaufmann Hennry Wittenberg am 25.8.1879 in Memel geboren, seit dem 21.9.1922 in Osterode wohnhaft. Die Ortsgruppe ist dem Landesverband Ostpreußen in Königsberg angeschlossen.
In Marienwerder sprach vor der zionistischen Ortsgruppe der Bezirkssekretär Hans Sturmann aus Königsberg über das Thema: ''Weg und Zukunftsgestaltung des deutschen Judentums.'' Der Redner gab eine geschichtliche Übersicht über die Stellung des Judentums in Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Auf die Jetztzeit eingehend wandte er sich insbesondere gegen eine Schrift der Assimilationsbewegung der Juden, betitelt: ''Wille und Weg des deutschen Judentums.'' Im Anschluß an den Vortrag veranstaltete der Redner eine Geldsammlung für den jüdischen Nationalfonds zum Ankauf neuen Siedlungsgebietes in Palästina.
Antisemitische Kundgebungen
Am 23.4.35 fand in Marienburg eine antisemitische Willenskundgebung statt, an der sich etwa 5 600 Personen beteiligten. Den Anlaß zu dieser Kundgebung hat das Verhalten des Juden [N.N.a] gegeben, der 2 Mädchen des BDM am 2. Osterfeiertag belästigt hat. Bei [N.N.a] handelt es sich um einen übel beleumdeten Burschen, der keiner Beschäftigung nachgeht und auch keine Lust zur Arbeit hat. Es ist allgemein in Marienburg bekannt, daß er sich mit zweifelhaften Frauenspersonen herumtreibt und auf der Straße ständig junge Mädchen in ungebührlicher Weise angeht. Der Vater des [N.N.a], der Zigarrenhändler [N.N.b], steht ebenfalls in keinem guten Ruf. Da sich während der Demonstration [N.N.a] nicht bei seinen Eltern aufhielt, und die Vermutung auftauchte, daß er sich bei Bekannten verborgen hätte, zog die Menschenmenge vor mehrere jüdische Geschäfte. Um Ausschreitungen vorzubeugen, mußten 2 Juden zum Schutze der eigenen Person in Haft genommen werden. Die beiden Inhaftierten konnten am nächsten Tage wieder aus der Haft entlassen werden.
Von jüdischer Seite ist Beschwerde über ein Plakat geführt worden, welches in Christburg, Kreis Stuhm, in den beiden Aushängekästen der NSDAP angebracht war. Die Plakate hatten folgenden Inhalt:
''Es nähert sich die Zeit des jüdischen Passahfestes , an dem eine jüdische Sekte zu ihren abergläubischen Gebräuchen Christenblut braucht. In der litauischen Stadt Tauroggen ist vor einigen Tagen ein Mädchen abgeschlachtet worden. Daß diese Sekte auch in Deutschland besteht, haben die Fälle in Konitz und Marienburg (im Jahre 1917) gezeigt. Gefährdet sind besonders Kinder und Jugendliche, die hiermit gewarnt werden.''
Das Plakat ist vom Ortsgruppenleiter der NSDAP in Christburg unterzeichnet. Eine Entfernung des Plakats hat nicht stattgefunden, weil hierdurch die öffentliche Ruhe und Sicherheit nicht gestört worden ist und eine Störung auch nicht zu befürchten war.
Nach einem Bericht der Ortspolizeibehörde in Wormditt wurde in der Nacht vom 13. zum 14.4.35 die Synagoge, die Häuser und Schaufenster von jüdischen Geschäftsleuten mit großen Inschriften antisemitischen Inhalts versehen.
Die Täter sind unbekannt.
Am 11. April sind in Allenstein Schaufenster jüdischer Inhaber durch Steinwürfe zertrümmert worden. In Johannisburg wurde die etwa in 3 mtr. Höhe auf Segeltuch angebrachte Firmenbezeichnung jüdischer Geschäfte heruntergerissen und die Schaufenster zertrümmert.
Die Äußerungen des kath. Geistlichen Dobberstein hatten die Bevölkerung in eine derartige Erregung versetzt, daß es am 11.4.1935 zu spontanen Protestkundgebungen kam. Einzelne Gruppen von Volksgenossen bewegten sich durch die Straßen und stießen Rufe aus, wie:
''Nieder mit Dobberstein, diesem Jesuiten, diesem Landesverräter, nieder mit der Freimaurerei , Juda verrecke.'' Bei dieser Demonstration sind in fast allen jüdischen Geschäften Schaufenster eingeschlagen worden. Die Ermittlungen nach den Tätern sind eingeleitet.
Die SA in Schillehnen, Kreis Pillkallen, hat durch Anbringen von Tafeln an verschiedenen Stellen des Ortes unter Aushängung des Kampfblattes ''Der Stürmer '' die deutsche Bevölkerung aufgefordert, nicht bei den Juden zu kaufen.
In der gleichen Weise hat die NS Hago in Malwischken, Kreis Pillkallen, durch ihren Ortsgruppenleiter in der Dorfstraße eine Anschlagtafel mit der Aufschrift: ''Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter'', ''die Juden sind unser Unglück'' angebracht und darunter das Kampfblatt ''Der Stürmer'' zum Aushang gebracht.
An den Hauptstellen der Stadt Treuburg sind Tafeln angebracht worden, die folgende Aufschrift trugen: ''Der Aufenthalt von Juden und Freimaurern in dem Bezirk ist unerwünscht! Treuburg, im September 1934. Der Bürgermeister.'' Es handelt sich hierbei um Tafeln, die bereits im September 1934 für einige Stunden angebracht waren und dann auf höhere Weisung entfernt werden mußten.