Bericht aus Lippe und Umgebung
Für den März 1935 wird von einer unbekannten Stelle ein undatierter Bericht für das Land Lippe, den Regierungsbezirk Minden sowie den Kreis Hameln-Pyrmont abgegeben:
Juden und Bewegung gegen die Juden
Nachdem die Aktionen gegen die jüdischen Geschäfte um die Weihnachtszeit herum, die von einigen SA -Männern und -Führer getätigt wurden, zu Ungunsten der Beteiligten ausgelaufen sind, läßt sich, besonders in den letzten Wochen, wieder ein erheblich sichereres Auftreten der Juden in der Bevölkerung beobachten. Juden verkehren heute in vielen Gaststätten, in die sie vor kurzer Zeit sich nicht mehr hineinwagten, versuchen dort sogar an den Stammtischen, an denen sie früher verkehrt haben, wieder teilzunehmen (was verschiedentlich zu einer Teilung solcher Stammtisch-Gemeinschaften führt), ohne daß das Publikum nennenswerten Anstoß daran nimmt. Pg . und SA-Männer wagen nicht mehr, aus Furcht vor Unannehmlichkeiten durch die Staatspolizei , irgendwelche Schritte gegen einen Juden zu unternehmen. Auch das Kaufen in jüdischen Geschäften hat erheblich zugenommen, und es wird behauptet, daß die jüdischen Kaufhäuser einen erheblich höheren Umsatz hätten, als im Jahr vorher. Irgendwelche Propaganda gegen das Kaufen in jüdischen Geschäften wird von jüdischer Seite sofort mit der Drohung einer Beschwerde beim Reichswirtschaftsminister bedroht. Tritt so in den evangelischen Kreisen des Regierungsbezirks mehr und mehr wieder eine allmähliche Gewöhnung an den Juden ein, so steht man in den katholischen Kreisen schon aus reiner Opposition den Juden freundlich gegenüber. In diesen Kreisen ist die Stellung des Juden noch ziemlich fest. Der Viehhandel liegt fest in jüdischen Händen, und es wird sogar behauptet, daß Juden im Reichsnährstand aufgenommen würden (Getreidehändler), sie dürften nur das Abzeichen nicht tragen. Von Auswanderungsbestrebungen ist unter der ansässigen Judenschaft nur noch wenig zu merken. Die Lage wird als verhältnismäßig sicher angesehen; die Zionisten , die vordem ziemlich an Boden gewannen, sind wieder in die Minderzahl gedrängt worden.
In Hinsicht auf das kulturelle Leben sind die Juden auf sich angewiesen. Sportliche Betätigung innerhalb der jüdischen Jugend findet statt. Versuche mit nichtjüdischen Sportverbänden Beziehungen anzuknüpfen, fanden keine Gegenliebe. In der Bevölkerung gilt der Jude als kulanter Arbeitgeber, der seinen Leuten auch etwas zukommen läßt. Bei der Firma Alsberg (Bielefeld) sollten vor kurzer Zeit 30 Mann entlassen werden; aus Mitleid mit den Gekündigten jedoch ließ der Inhaber die Gekündigten vorläufig weiterarbeiten. Ein Verfahren, das hier dem Juden hoch angerechnet wird und in ähnlicher Form in anderen Teilen des Bezirkes auch Anwendung fand. In der Bevölkerung steht der Jude in dem Geruch [sic], daß er höhere als ortsübliche Löhne zahlt. Es wird behauptet, daß die jüdischen Läger [sic] sehr stark gefüllt seien. Von der Firma Wertheimer, Seidenfabrik in Bielefeld, wird behauptet, sie habe noch eine Fabrik in Basel; die gesamten Unkosten der Fabrik würden aber von der hiesigen Firma getragen. Die Firma betreibe jetzt eine neue Einrichtung einer Fabrik in Kapstadt und suche dafür Meister und Arbeiter zu verpflichten. Obgleich die Läger sehr voll seien, würden Verkäufe an ausländische Kundschaft abgelehnt.
Die Propaganda gegen Juden nimmt zu. Vor allen Dingen ist ''Der Stürmer '' mit einer guten Verkäufer-Organisation sehr stark verbreitet. Man findet ihn auch im Gegensatz zu früher in den Gastwirtschaften an, wo er allerdings häufig ziemlich stark beschädigt angetroffen wird, so daß sich die Gastwirte veranlaßt sahen, Zettel mit der Bitte um gute Behandlung des Exemplares aufzukleben (Bielefeld, Minden, Herford, Paderborn). In den meisten Ortschaften, auch kleineren, befindet sich ein ''Stürmer-Kasten'', der in der Regel von der SA errichtet ist. Mancherorts wurde daran Anstoß genommen und die Entfernung des Kasten gefordert. So in letzter Zeit in Steinheim. In Brockhagen befand sich am Eingange des Ortes ein Schild mit der Aufschrift ''Juden betreten diesen Ort auf eigene Gefahr'', das auf Anweisung höherer Stelle entfernt werden mußte. Außer dem ''Stürmer'' wird neuerdings eine Zeitschrift, betitelt ''Der Judenkenner'', viel gelesen. Einige andere Blätter sind nur wenig verbreitet.
Witze, Satire, Gerüchte, politische Dichtung
Politische Witze traten in den letzten Wochen nur spärlich auf. (…)
Gerüchte über Krieg, insbesondere in der Zeit der Verkündung des Wehrpflicht-Gesetzes, waren an der Tagesordnung. Daneben tauchen immer wieder Gerüchte über Verfehlung und Verhaftung höherer Partei und SA-Führer auf, z.B. in Bielefeld und Detmold, in Halle usw. In Verbindung mit der deutschen Glaubensbewegung und den aufgedeckten Devisenschiebungen katholischer Klöster erscheinen anliegende Lieder.
Juden raus - Papst hinaus
Melodie: Vom Barette schwankt die Feder.
1. Trotzig haben wir gerungen 15 Jahre um die Macht, und der Sturm ist uns gelungen, wenn auch Rom und Juda lacht. Juden raus, Papst hinaus aus dem Deutschen Vaterhaus.
2. Nein wir haben nicht geblutet namenlos und ohne Ruhm, daß der Deutschen Art verjudet weiter durch das Christentum. Juden raus, Papst hinaus.....
3. Ohne Priester ist begraben mancher tote Kamerad, denn die schwarzen Pfaffen gaben ihre Gunst dem Weimarstaat. Juden raus, Papst hinaus.....
4. Weimarstaat benahm sich christlich, beide Backen hielt er hin. Feindesliebe lenkt gewisslich Hitlers Kämpfer nicht den Sinn. Juden raus, Papst hinaus.....
5. Warum hat die Christenlehre Deutsche Werte nicht genannt, Blut und Boden, Treue, Ehre, Arbeit und Wahrhaftigkeit? Juden raus, Papst hinaus.....
6. Fort mit eurer Judenbibel, eurer salbungsvollen Art, Knechtsinn Demut sind von übel, wir sind aufrecht, stolz und hart. Juden raus, Papst hinaus.....
7. Mag der Christ auch Palästina Jahre weihen Herz und Hand, wir sind frei vom Berge Sina, Deutsch ist unser heil'ges Land. Juden raus, Papst hinaus.....
8. Stedinger und Werdens Mannen ziehn mit uns in Sieg und Tod. Fremde Lehren woll'n wir bannen, enden unsere Seelennot. Juden raus, Papst hinaus.....
9. Papst und Rabbi sollen weichen, Heiden woll'n wir wieder sein, nicht mehr in die Kirchen schleichen, Sonnrad führt uns allein. Juden raus, Papst hinaus....