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Chronik und Quellen
1935
März 1935

Bericht aus Hameln

Der Oberbürgermeister von Hameln erstattet am 21. März 1935 folgenden Lagebericht für die Monate Februar und März 1935:

Die in meinem Januarbericht erwähnte rege Versammlungstätigkeit jüdischer Organisationen hat auch in der jetzigen Berichtszeit weiter angehalten. Am 29.1.35 veranstaltete die Bezirksgruppe Hameln des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten im Hotel ''Unter den Linden'' einen Kameradschaftsabend, verbunden mit einem Lichtbildervortrag des Dr. Fritz Loewe (nähere Personalien nicht bekannt) aus Berlin. Der Vortrag war betitelt: ''Zwei Jahre im Grönlandeis mit Alfred Wegener''. Zu der Veranstaltung waren Einladungen ergangen an die Kameraden und Sportgruppenmitglieder des Bundes und an die Mitglieder der hiesigen jüdischen Gemeinde und Umgegend. Die Teilnehmerzahl betrug etwa 70 Personen beiderlei Geschlechts. In einem dreistündigen Vortrage schilderte Dr. L. an Hand von Lichtbildern die von Alfred Wegener eingeleitete Expedition in den Jahren 1931/32 nach Grönland. Er machte Ausführungen über das Zustandekommen, den Verlauf, das tragische Ende des Expeditionsleiters Alfred Wegener und die wissenschaftliche Ausbeute der Expedition. Zu irgendwelchen Beanstandungen gaben die Ausführungen keinen Anlaß. Über Politik wurde nicht gesprochen. Insbesondere betonte Dr. L. die Kameradschaft, die unter den Forschern während des Verlaufs der Expedition über Konfession, Rasse und politische Einstellung hinaus geherrscht hätte und erwähnte hierbei auch das ''Weihnachtsfest'', das von ihnen 1931 auf der Station ''Eismitte'' gefeiert wurde mit einem Gefühl der engsten Zusammengehörigkeit. Loewe selbst hat während der Expedition sämtliche Zehen seiner Füße durch Erfrieren verloren. Die Amputation mußte auf der Station ''Eismitte'' mittels eines Taschenmessers und einer Drahtschere vorgenommen werden. Offensichtlich haben derartige Vorträge den Zweck, der Welt zu beweisen, daß sich auch Juden an gefahrvollen Unternehmungen beteiligen.

Am 14. Februar veranstaltete die Synagogen-Gemeinde Hameln im hiesigen Bahnhofshotel eine Versammlung in der Dr. Werner Grunsfeld (nähere Personalien und Wohnung nicht bekannt) aus Hamburg, Syndikus des Verbandes Nordwestdeutschlands des Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens '' über das Thema: ''Für unsern Arbeits- und Lebensraum - für deutsch-jüdische Zukunft'' sprach.

An der Versammlung nahmen etwa 75 Juden teil. Dr. Grunsfeld führte u.a. aus, daß von den deutschen Juden nur noch etwa 30.000 in Palästina untergebracht werden könnten. [...]

In Zukunft wird bei derartigen jüdischen Versammlungen nach der Anordnung des Geheimen Staatspolizeiamts vom 10. Februar 1935 - II 1B II - 60934/I. 191/35 - verfahren.

Am 16. Februar 1935 veranstaltete der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten eine Mitgliederversammlung, in der nur organisatorische Fragen behandelt wurden.

Am 6.3.35 veranstaltete die Synagogengemeinde Hameln in der Synagoge einen Rezitationsabend, an dem etwa 50 Juden teilnahmen und zu dem der Schauspieler Meinhard Maud (früher Deutsches Theater, Berlin) - nähere Personalien und Wohnung unbekannt - verpflichtet war. M. rezitierte für die Juden passende Stellen aus der Bibel, ferner Teile aus ''Goethes Faust'', aus den Werken von Nitsche [sic], Heine, Herder, Aussprüche die Bismarck über die Juden gemacht hat, den ''Durchzug durch das Rote Meer'', verdeutscht von Bubers [sic] das Gleichnis vom Weinberg und eine ''Ostjüdische Geschichte'' betitelt: ''Wenn nicht noch höher''. Über Politik wurde nicht gesprochen.

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