Bericht über Sachsenhausen
Ende Dezember 1938 verfasste ein Berliners einen Bericht über das Konzentrationslager Sachsenhausen und seine dortigen Erlebnisse in mehrwöchiger Haft:
Ich wurde auf Anordnung des Polizeireviers meines Wohnbezirks von zwei Kriminalbeamten am Nachmittag des 11. November 1938 in meiner Wohnung aufgesucht und ersucht, ihnen zum Polizeipräsidium zu folgen, wo ich mit einem anderen älteren Herrn zusammen gegen Abend ankam. Auf dem Hof standen dort bereits etwa 150 Mann, die im Laufe des Nachmittags verhaftet waren. Nach ungefähr einer Stunde Wartens wurden wir auf Lastkraftwagen verladen und nach Oranienburg, unmittelbar zu dem dort bei dem Dorfe Sachsenhausen befindlichen Lager, gefahren.
Während das Verhalten sowohl der verhaftenden und auch der den Transport begleitenden Polizeibeamten verhältnismäßig anständig, teilweise sogar zuvorkommend gewesen war, war der Empfang durch die Bewachungsmannschaften des Lagers von Anfang an von einer Brutalität und Rohheit, wie ich sie nicht für möglich gehalten hätte. Unter wüsten Beschimpfungen wurden wir von den Wagen herunter getrieben. Ein größerer Teil der Verhafteten, die zumeist über 50 Jahre alt waren, einige von ihnen sogar über 70 Jahre, fiel beim Herabspringen von den Wagen der Länge nach hin; diejenigen, die ihnen helfen wollten, wurden daran gehindert, die Hüte wurden uns vom Kopfe gerissen, unter ständigen größten Beschimpfungen, Kolbenstoßen und Schlägen wurden wir durch eine Postenkette in das Lagerinnere getrieben.
Wenn Leute infolge der Kolbenstoße oder aus anderen Gründen hinfielen, wurden die anderen gezwungen, über sie hinwegzutreten. Wie ich später hörte, war bei dem vorangegangenen Transport auf dem Wege vom Bahnhof zum Lager auf diese Weise ein älterer Mann, der ohnmächtig hinfiel, so geschlagen und zertrampelt worden, dass er bereits auf diesem Wege starb.
Es mag gegen 10 Uhr abends gewesen sein, als wir im inneren Lager eintrafen. In der Dunkelheit, die ab und zu von Scheinwerfern erhellt wurde, mögen etwa 2-3000 Mann, in Gruppen zu Zehnerreihen aufgestellt, dort gestanden haben, die, wie ich hörte, im Laufe des Tages oder bereits der vorigen Nacht eingetroffen waren. Mit nur kurzen Unterbrechungen standen wir auf dem Appellplatz bis gegen V23 oder V24 Uhr des nächsten Tages. Dann ging es zum Einkleiden, Baden, anschließend war Appell bis gegen % 6, sodass wir im Ganzen ungefähr 18 bis 19 Stunden hintereinander standen. Verpflegung wurde nicht gegeben. Wenn sich gerade die bewachenden SS-Mannschaften vorübergehend etwas entfernt hatten, gaben uns die die Aufsicht führenden politischen Gefangenen etwas Trinkwasser. Sonst wurde streng darauf geachtet, dass wir in aufrechter Haltung und ausgerichtet standen. Die bewachenden SS-Schar- oder Blockführer belustigten sich damit, sich die Zeit mit den unflätigsten Beschimpfungen, Drohungen [und] Misshandlungen zu verkürzen. Die Misshandlungen bestanden insbesondere darin, dass sie Fußtritte mit ihren schweren Stiefeln ins Gesäß versetzten oder einen ins Gesicht schlugen. Die Beschimpfungen wurden zumeist damitverbunden, dass sie die einzelnen Leute nach ihrem Beruf und Stand fragten und dann im Anschluss daran unflätige Schimpfworte gebrauchten.
Von Anfang an hatte man das Gefühl, dass alles darauf ausging, uns durch möglichst erniedrigende und demütigende Behandlung mürbe zu machen. So zwang man verschiedene Leute, Brotkrumen, die sie von dem mitgebrachten Brot auf die Erde hatten fallen lassen, in den Mund zu nehmen und zu zerkauen. Dann wurden anderen Schilder in die Hand gedrückt, die mit erhobener Hand gehalten werden mussten und auf denen beschimpfende Inschriften standen wie: „Wir Juden sind die Zerstörer der deutschen Kultur.“
Ab und zu wurden auch unter dem Druck von Misshandlungen Sprechchöre gebildet, die ähnliche Sätze wie den ebengenannten im Chor sprechen mussten. Besonders gefielen sich die SS-Leute darin, uns klarzumachen, dass wir nun für alle Zeit erledigt und zertrümmert seien, höhnische Hinweise darauf, dass die Juden für Lebenszeit festgehalten würden, und dass sie nun das Recht und die Macht hätten. Einer der SS-Leute rühmte sich, dass er den Beinamen „der Satan von Oranienburg“ führe und dem entsprechend uns behandeln würde.
Symptomatisch dafür, wie die Bewachungsmannschaften bemüht waren, uns unter Druck zu setzen, scheint mir folgender Vorfall: In der vor mir stehenden Gruppe befanden sich besonders viele Akademiker: Ärzte, Richter, Rabbiner, unter anderem auch ein Oberstaatsanwalt. Als dieser seinen früheren Beruf und Namen nannte, wurde er wie auch andere nach seinem Einkommen, Größe seiner Wohnung, Höhe der Pension etc. gefragt. Nachdem ihm der fragende SS-Mann zunächst klargemacht hatte, dass er ja ein Zerschmetterter sei und alles für ihn verloren sei, kam er plötzlich darauf, dass der Oberstaatsanwalt ihn von früher her kennen müsse; er sagte ungefähr Folgendes: „Sag mal, wir kennen uns, du bist doch der, der 1931 mich und noch fünf meiner Kameraden für ein halbes Jahr in den Kasten gebracht hat.“ Als der Angesprochene sagte, er könne sich nicht mehr erinnern, fuhr der SS-Mann fort: „Wir haben uns immer schon gesagt hier, wo bleibt denn bloß der X., auf dich hatten wir ja schon lange hier gewartet, na jetzt kannst du dir gratulieren, jetzt werden wir mit dir abrechnen.“
Obwohl ich mir ebenso wie andere meiner Kameraden darüber im Klaren war, dass derartige Drohungen zum Teil Theater waren, war dieses Theater doch recht unangenehm, da es von Misshandlungen und Zwang zu Kniebeugen etc. begleitet war.
In der Frühe gegen 8 Uhr erschien der Kommandant mit dem Lagerführer persönlich, ging die Front ab, tat eine beschimpfende Äußerung über die Strolche, denen seiner Meinung nach Ordnung erst noch beigebracht werden müsste, fragte, wie lange wir hier ständen, ohne aber auch nur das Geringste sonst zur schnellen Unterbringung etwa zu veranlassen. In der Nacht gegen 1 Uhr wurden ebenfalls unter Stößen und Misshandlungen die Personalien aufgenommen. Nachmittags gegen 3 ½ Uhr ging es dann zum Umkleiden und zum Baden in den Baderaum. Von dem Baderaum ist mir ein Vorfall, der zur Illustration besonders bemerkenswert erscheint, noch im Gedächtnis. Mein Nebenmann hatte es ganz vorübergehend gewagt, da er zum Auskleiden beide Hände gebrauchte, den Hut, da er sich unbeobachtet glaubte, für einen Augenblick aufzusetzen. Ein doch in der Nähe anwesender SS-Mann schlug ihm den Hut ohne weiteres vom Kopf, versetzte ihm noch ein paar Faustschläge ins Gesicht und brüllte: „Du Scheißjude, gibst du zu, dass du ein Scheißjude bist!“ Mein Nebenmann bewahrte trotz des Vorangegangenen die Haltung und sagte mit betonter Festigkeit: „Ich bin Jude.“ Darauf erneute Schläge und wieder die gleiche drohende Frage. Der Gefragte blieb trotz drei- bis viermaliger Wiederholung derselben Szene [bei] seiner festen Haltung und wiederholte immer nur: „Ich bin Jude.“ Der SS-Mann forderte ihn dann auf, sich noch besonders bei ihm während des Badens zu melden.
Das Baden und Umkleiden spielte sich dann so ab, dass im Sprung von einem Tisch zum anderen Personalien angegeben, Wertsachen, Geld und Kleidung abgegeben werden mussten, dann wurde innerhalb weniger Sekunden der Kopf geschoren, was vorher besonders denen, die eine Künstlermähne hatten, höhnisch in Aussicht gestellt worden war. Es ging unter eine kalte und eine warme Dusche, statt der abgegebenen Unter- und Oberkleidung wurde Häftlingskleidung, die in dünner Unterwäsche und Hose und Rock aus dünnem gestreiften Stoff oder alten Soldatenröcken aus der Kriegszeit bestand, ausgeteilt. Ob diese Kleidung passte, wurde zunächst nicht berücksichtigt. Bei den etwas korpulenteren Leuten konnten Hose und Rock einfach nicht zugeknöpft werden. Sie mussten sich zunächst damit behelfen, den Anzug mit Bindfaden zuzubinden und dabei die freie Stelle mit Zeitungspapier zu bedecken.
Von Anfang an stand alles unter der Androhung der angeblich im Lager üblichen Disziplinarstrafe von „24 auf den Nackten“. Diese Bestrafung wurde in der Weise ausgeführt, dass der Delinquent auf einen Bock geschnallt wurde und mit einer Peitsche, die am Ende mit Bleistücken versehen war, von mehreren SS-Leuten bearbeitet wurde.
In vollkommenem Gegensatz zu dem überaus brutalen und rohen Verhalten der bewachenden SS-Mannschaften stand die Haltung der Häftlinge, denen neben den SS-Männern die Aufsicht übertragen war. Wie sie nur irgendwie konnten, suchten sie die Lage zu erleichtern und wiesen uns immer wieder daraufhin, dass die ersten Tage im Lager immer besonders scharf seien, dass man sich dann aber, was uns wenig aussichtsvoll erschien, daran gewöhne. Besonders ist noch zu erwähnen, dass ein älterer Mann, der offenbar auch krank war und das Stehen nicht aushalten konnte, in der Frühe sich sterbend auf dem Boden wälzte. Als die Aufsicht führenden Häftlinge wiederholt versuchten, ihn abzutransportieren, wurde ihnen von den SS-Leuten gesagt, dass er noch über die in der Frühe stattfindende Zählung dableiben müsse. Als dann die Krankenträger mit der Bahre erschienen und ihn abtransportierten, starb er, wie uns später erzählt wurde, auf dem Wege zum Krankenrevier.
Bezeichnend ist, dass offenbar absichtlich nach der Frontkämpfereigenschaft oder nach der militärischen Vergangenheit weder bei der Aufnahme der Personalien noch sonst gefragt wurde. Von vornherein wurde bekanntgegeben, dass alle Orden und Ehrenzeichen abzulegen seien. Als bei der Abgabe der Wertsachen ein Bekannter von mir neben dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse das Verwundetenabzeichen abgab, sagte der die Sachen in Empfang nehmende SS-Mann: „Dir werden wir hier noch ein zweites Verwundetenabzeichen besorgen.“
Bevor ich zur Schilderung des Lagerlebens übergehe, erscheint mir zum besseren Verständnis eine kurze Darstellung der Lagereinrichtung zweckmäßig. Das gesamte Lager besteht, soweit ich es übersehen konnte, aus drei getrennten Teilen, die durch Posten, Stacheldrahtverhaue und Zäune getrennt sind. Das äußere Lager, in dem Siedlungs- und industrielle Bauten errichtet wurden, das Mannschaftslager, in dem sich die Baracken für die den Postendienst versehenden SS-Leute, Kasino und Kantine sowie Büros befinden, außerdem der Industriehof und der Holzhof, in denen Handwerksstuben und Holz- und Eisenvorräte untergebracht werden; sodann das innere Lager, in dem sich im wesentlichen das Leben der Häftlinge, soweit sie nicht bei der Außenarbeit beschäftigt waren, abspielte.
Dieses innere Lager besteht aus etwa 60 bis 70 Baracken, die in etwa einem Halbkreis in drei Reihen angelegt sind um einen Platz, der als Appellplatz bezeichnet wird. Innerhalb des Barackengeländes befindet sich ein durch eine besondere Mauer und Hof abgetrenntes Gelände, der so genannte Bunker, der für die Aufnahme von einzelnen Häftlingen bestimmt ist. Dort soll u. a. der bekannte Pfarrer Niemöller untergebracht sein. Von dem Bunker wurde im Kreise der Häftlinge nur mit besonderem Abscheu gesprochen; dort werden diejenigen Häftlinge zeitweise untergebracht, die sich disziplinarisch vergangen haben. Es soll sich dort nicht um Zellen, sondern um regelrechte Käfige handeln. Uns waren diese Dinge nur vom Hörensagen bekannt, da ein Zutritt natürlich nicht möglich war. Zwei oder drei Baracken sind ferner ebenfalls durch eine besondere Mauer abgegrenzt, die so genannten Isolierbaracken, in welchen die Strafabteilungen untergebracht sind. Bei diesen Strafabteilungen handelt es sich ebenfalls um Gruppen von Häftlingen, die aus irgendwelchen Gründen verschärft behandelt werden. U. a. befanden sich zur Zeit meiner Internierung etwa dreihundert Bibelforscher in den Isolierbaracken; wie mir erzählt wurde, sind diese Bibelforscher im März 1938 aufgefordert worden, einen Revers zu unterschreiben, der zum Inhalt hatte, dass sie ihre Überzeugung als Bibelforscher widerrufen, worauf sie entlassen werden sollten. Nicht ein Einziger von den dreihundert Unterzeichnete diesen Revers. Seitdem sind sie unter besonders strengen Haftbedingungen in den Isolierbaracken untergebracht.
Beim Antreten fiel es mir auf, dass diese Leute, mit denen ein mündlicher oder sonstiger Kontakt nicht möglich war, von den anderen Leuten, die auch alle unterernährt waren, physisch besonders ungünstig abstachen. Man hatte den Eindruck, als ob ein Teil dieser Menschen vollkommen von Kräften war. Welche seelische Stärke sie sich trotzdem bewahrt hatten, ging aus einem gelegentlichen Gespräch des Lagerkommandanten mit einem von ihnen hervor. Bei der Arbeit auf dem Industriehof sprach der Kommandant den Mann an mit der Frage, wann er von seinem Glauben an Zebaoth nun lassen werde. Als der Bibelforscher antwortete, dass er nie von dem Glauben an Zebaoth, der ewig sei, lassen werde, war die Antwort des Kommandanten: „Dann wirst du auch nie aus dem Lager herauskommen.“
Die einzelnen Wohnbaracken enthielten gewöhnlich vier größere Räume, zwei Tagesräume und zwei Nachträume, die für die Aufnahme von je etwa 75 Mann bestimmt sind. Zwischen den Räumen befindet sich ein Waschraum und ein Toilettenraum. In den Schlafräumen sind die Betten in drei Etagen übereinandergestellt. Bei der normalen Belegung von 150 Mann per Baracke wären die Unterbringungsräume und auch die Wasch- und Toilettenräume unter Berücksichtigung der Ansprüche, die an eine derartige Massenunterbringung gestellt werden können, in hygienischer Beziehung nicht zu beanstanden gewesen. Ganz anders aber lag es bei der Unterbringung der 6- oder 7000 Juden, die in dem so genannten „neuen“ Lager, d. h. in den schon Monate vorher errichteten Wohnbaracken untergebracht wurden und statt in der normalen Belegung von 150 Mann pro Baracke zu der [von] etwa 350 bis 400 Personen zusammengepfercht wurden. Und als im Laufe der Zeit durch Entlassungen, Krankheits- und Todesfälle die Zahl der Häftlinge abnahm, wurde durch Zusammenlegung dafür gesorgt, dass nur immer wieder die Zusammen-drängung innerhalb der einzelnen Baracken auf der Höhe von 350 bis 400 Mann blieb.
Betten gab es natürlich nicht, es wäre auch nicht genug Raum dafür gewesen. Es war lediglich Stroh vorhanden. Im Laufe der Zeit wurden allerdings auch Strohsäcke geliefert, ebenso wurden pro Mann durchschnittlich zwei Decken für die Nacht zur Verfügung gestellt. Kopfkissen oder etwas Derartiges waren nicht vorhanden.
Von den Baracken des inneren Lagers bildeten zwei das so genannte Krankenrevier, ferner waren in der Mitte die Küche, die Magazine und die Badebaracke angelegt. Die Badebaracke enthielt etwa 100 Duschen, sodass zugleich immer hundert Mann abgefertigt werden konnten. Es muss zugegeben werden, dass die hygienischen Einrichtungen dieser Badebaracke ebenso wie die Toiletten und Wascheinrichtungen bei normaler Belegung den Anforderungen hätten genügen können. Es ist auch durchaus zuzugeben, dass die Sauberhaltung des inneren Lagers nichts zu wünschen übrig ließ und dass sogar die ganze Anlage keinen hässlichen Eindruck machte.
Zu dem inneren Lager gelangte man durch ein besonderes Tor, das die umgebende Steinmauer unterbricht. An dieser Steinmauer entlang führt ein Weg, der nach innen zu wieder durch eine Stacheldrahtumwehrung, die mit Starkstrom geladen sein soll, abgegrenzt ist. Auf besonderen Türmen in der Umgebungsmauer sind Maschinengewehre postiert, die in der Lage sind, das gesamte Gelände innerhalb des inneren Lagers zu bestreichen.
In dieser Umgebung spielte sich das gesamte genau geordnete Lagerleben ab, das ebenso eintönig wie furchtbar war. Nach dem Aufstehen in der Morgendunkelheit zunächst das Drängen in den Waschräumen, um dort Gesicht und Oberkörper an den vorhandenen Fontänen abzuspülen. Jede weitere Pflege wie Mundpflege war bei dem Massenandrang ausgeschlossen. Sodann Frühstück, bestehend aus einer Sagosuppe und trockenem Brot, das in ausreichendem Maße vorhanden war. Am Sonntag gab es etwas Marmelade. Das Frühstück musste in aller Eile verschlungen werden, damit wir pünktlich zum Appell vor der Baracke antreten konnten. Dann ging es im geschlossenen Zuge und in Zehnerreihen zum Morgenappell. Danach Antreten zur Arbeitsverteilung. In den ersten Wochen ging das noch, da nur die Jüngsten und Kräftigsten zu den vor allem gefürchteten Arbeiten im Klinkerwerk, bei den Straßenbauten und an den Siedlungen eingeteilt wurden. Dann wurden aber die zahlenmäßigen Anforderungen besonders bei den Klinkerwerken so groß, dass selbst Leute bis zu 59 Jahren zu diesen Arbeiten mit herangezogen wurden. Nach dem Abmarsch der zum Außendienst Abkommandierten begann in den ersten Wochen das Exerzieren der Zurückgebliebenen, nur unterbrochen durch den etwa eine Stunde dauernden Mittagsappell. Bis zum Abendappell, d. h. ungefähr um 5 oder V26 Uhr, musste ununterbrochen marschiert werden, und zwar in der anstrengendsten Weise, eine Qual, die für diejenigen Häftlinge, die das Kommando übernehmen mussten, durch die Einförmigkeit fast noch größer war als für diejenigen, die kommandiert wurden. In der Regel waren es etwa 8- bis 900 Mann, die auf dem Appellplatz marschierten und lediglich Schwenkungen nach rechts oder links in kurzen Abständen ausführen mussten. Ab und zu bemühten sich einige der vorübergehenden SS-Leute dadurch, dass sie Laufschritt und Kniebeugen kommandierten, um besondere Schikanen. Austreten, auch nur für die Notdurft, war streng verboten. Höchstens nach fünf bis sechs Stunden durfte hierfür eine kurze Pause, wenn nicht gerade ein besonders strenger SS-Mann in der Nähe war, gemacht werden.
Nach etwa zwei bis drei Wochen wurde angeordnet, dass das Marschieren aufhören sollte. Von nun an musste gestanden werden. Was das bedeutete bei der völlig unzureichenden Bekleidung (abgesehen von einer dünnen Unterhose und einem ebenso dünnen Unterhemd hatten wir kein Unterzeug erhalten, eine Kopfbedeckung war bei den meisten auch nicht vorhanden) in der November- und Dezemberwitterung, braucht nicht gesagt zu werden. Ein Glück war es noch, dass es wenig regnete und dass, bis die ungewöhnlich strenge Kälte Mitte Dezember einsetzte, besonders mildes Wetter war.
Das war das Leben derjenigen, die wegen ihres Alters oder wegen Schwächlichkeit so „begünstigt“ waren, dass sie nicht zur Arbeit, insbesondere nicht zur Außenarbeit eingeteilt wurden.
Am allerhärtesten waren diejenigen betroffen, die Dienst auf dem Klinkerwerk, beim Straßenbau und auf der Siedlung zu leisten hatten. Schon der Hin- und Rückmarsch der off tausend Häftlinge zu den Außenarbeiten war unter den Kolbenstoßen der Begleitmannschaften eine Qual. Die Szenen, die sich insbesondere am Klinkerwerk abspielten, waren von kaum zu beschreibender Grausamkeit. Besonders hatte man es in der ersten Zeit offenbar abgesehen auf Leute, die infolge ihrer Vorbildung für diese körperliche Arbeit nicht geeignet erschienen. Rabbiner, Akademiker und andere Geistesarbeiter wurden sowohl von Vorarbeitern wie von den Wachmannschaften aufs unglaublichste maltraitiert. Dies war allerdings nicht durchwegs der Fall. Die Haltung der Wachmannschaften war verschieden. Auch unter ihnen gab es Abteilungen, die sich bemühten, menschlich und schonend vorzugehen. Auch der größere Teil der Vorarbeiter war, besonders wenn sie nicht von sadistischen SS-Mannschaften beaufsichtigt und kontrolliert wurden, anständig. Die meisten von ihnen versuchten sogar, den anderen Häftlingen das Leben, soweit sie konnten, zu erleichtern. Besonders bei den politischen Gefangenen, aber auch bei denen, die als „Berufsverbrecher“ gekennzeichnet waren, konnte man auf weitgehende Rücksicht und Solidarität rechnen. Die Ratschläge, die mir von diesen Leuten im Anfang auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen gegeben wurden, erwiesen sich allerdings teilweise als zu weitgehend. So wurde mir vor dem Ausmarsch in den ersten Tagen geraten, auch bei einem Anruf zu vermeiden, einem Posten zu nahe zu kommen oder hinter ihn zu treten, da dieser Anruf des Postens nur den Zweck habe, einen Vorwand zum Schießen zu haben. Tatsächlich hörte ich, dass bei den Bewachungsmannschaften ein Schießverbot bestand. Es sollte doch anscheinend vermieden werden, dass wie bei der Juniaktion in den ersten Wochen täglich eine Anzahl von Gefangenen erschossen wurde.
Trotz dieses Schießverbots starben aber auch ohne besondere Einwirkung eine verhältnismäßig große Anzahl von Menschen, infolge von Überanstrengung oder aus sonstigen Gründen fielen manche auf der Arbeitsstelle tot um. So ist mir von einem etwa 50-jährigen Mann bekannt, der, obwohl er schwer herzleidend war, zur Arbeit auf den Klinkerwerken eingeteilt wurde; er erlitt einen Herzschlag und fiel tot um. Besonders viele Todesfälle ereigneten sich in den sehr kalten Dezembertagen. Bezeichnend ist der folgende Vorfall: Eines Tages fiel beim Abmarsch aus dem inneren Lager ein Mann um und starb. Auf Anordnung der Bewachungsmannschaften musste die Leiche mit zum Arbeitsplatz getragen und abends wieder zurückgebracht werden. Dies geschah, weil sonst Unstimmigkeiten beim Abzählen befürchtet wurden.
Mit einer halbstündigen Mittagspause, die sich an den ebenfalls eine halbe Stunde dauernden Mittagsappell anschloss, wurde durchgearbeitet bis zum Abmarsch zum Abendappell. Während der Mittagspause war Hinsetzen nicht erlaubt. Das mitgebrachte Frühstück musste im Stehen verzehrt werden. Für etwa eine Viertelstunde war auch Rauchen erlaubt.
Beim Schippen war es nicht erlaubt, sich auch nur für einen Augenblick aufzurichten, ohne dass man Gefahr lief, zur disziplinarischen Bestrafung gemeldet zu werden.
Weniger anstrengend war in der Regel die Arbeit auf dem Holzhof. Dort war auch die Aufsicht nicht so streng. Doch wirkte hier die Gleichförmigkeit und der Stumpfsinn ebenso wie die Kälte ermüdend und lästig.
Als besonderer Vorzug wurde es betrachtet, wenn man zum Stubendienst eingeteilt wurde. Da dieser Stubendienst aber zahlenmäßig immer mehr eingeschränkt wurde, kam diese Vergünstigung nur einigen älteren und schwächeren Leuten zugute. Auch hierbei gab es aber noch einige sehr unangenehme Verrichtungen, wie das Tragen der sehr schweren Essenskessel, die so schwer waren, dass ältere Leute und solche, die Bruch hatten, sie nicht tragen konnten. Außerdem war das Essen- und Brotholen auch aus anderen Gründen kein reines Vergnügen. Abgesehen von dem stundenlangen Anstehen und Frieren vor der Küche zeichnete sich der eine der drei Scharführer, die abwechselnd die Essensausgabe beaufsichtigten, durch besondere Rohheit aus. Sehr oft hieb er mit einem Besen oder Stock bei der Ausgabe wie wild um sich und benutzte die Gelegenheit, ohne jeden Anlass Leuten, die in seine Nähe kommen mussten, Faustschläge ins Gesicht zu versetzen und durch Laufschritt die vor der Küche angetretenen Essenholer in Bewegung und Unruhe zu versetzen.
Um den anderen dort tätigen SS-Leuten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muss gesagt werden, dass der eine offenbar ausgesprochen menschlich gestimmt war und dass sich bei ihm die Ausgabe in aller Ruhe und reibungslos vollzog und der dritte so ungefähr die Mitte hielt insofern, als er manchmal ganz ruhig war, gelegentlich aber durch Ohrfeigen und Fußtritte sich bemühte, den Lagergewohnheiten zu entsprechen.
Bei der Brotausgabe war es nicht ganz so schlimm, einer der SS-Leute dort war durchaus ruhig, während der andere oft, wenn auch nicht durch Schlagen, streng verfuhr, indem er längere Zeit aus geringfügigen Anlässen Stillstehen ließ und auch sonst die Brotholer schikanierte. Ab und zu erschien an der Küche ein als besonderer Schweinehund bekannter SS-Mann, der die Gelegenheit benutzte, um, wenn besonders schwere Säcke oder Lasten zu tragen waren, ausgesprochen schwächliche Leute dafür herauszusuchen, die dem nicht gewachsen waren. Folgender Vorfall ist mir noch im Gedächtnis: Er fragte einen Gefangenen aus einer neben mir aufgestellten Gruppe nach seinem Beruf. Es handelte sich um einen früheren höheren Beamten. Nachdem er verschiedene Fragen nach Stellung und Zukunftsabsichten beantwortet erhalten hatte, stellte er noch folgende Frage: „Du gibst doch zu, der Stellung, in der du früher tätig gewesen bist, unwürdig gewesen zu sein.“ Der Gefangene, der vorher alle Fragen beantwortet hatte, schwieg demonstrativ. Darauf einige Faustschläge vor die Brust: „Willst du reden, du weißt, ich habe Mittel, dich zum Reden zu bringen.“ Der Häftling schwieg weiter. Fortgesetzte Faustschläge, sodass der Häftling zurücktaumelte, ohne die geforderte Antwort zu geben. Das setzte sich noch eine Zeitlang so fort, bis schließlich der Häftling doch sprach, aber dabei zum Ausdruck brachte, dass er auf die letzte Frage keine Antwort habe. Damit war schließlich der Vorfall, bei dem der SS-Mann doch noch einige Hemmungen zu haben schien, erledigt.
Die Aufrechterhaltung der Ordnung wurde im Wesentlichen bewirkt durch die Androhung von Disziplinarstrafen und durch das für den Nationalsozialismus ja auch sonst charakteristische System der Kollektivbestrafung. Bei dem geringsten Anlass, den ein Häftling zu Anständen bot, wurde der gesamte Block bestraft. Es kam auch oft vor, dass von den als besonders scharf bekannten SS-Leuten ein solcher Anlass künstlich herbeigeführt wurde. Das Damoklesschwert der Disziplinarbestrafung durch Strafexerzieren, Stehen am Tor, Barackenarrest schwebte daher ständig über allen.
Wurde in der Frühe beim Waschen beobachtet, dass einer seinen Oberkörper nicht entblößt hatte, dass er die Hände in den Hosentaschen hielt, dass er nicht rechtzeitig angetreten war usw., so wurde der gesamte Block bestraft. Andere Anlässe zu Bestrafungen waren, wenn beim Antreten zu den Appellen der Block nicht hinreichend auf Vordermann und Seitenrichtung ausgerichtet war. Man stelle sich vor, dass es teilweise unmöglich war, genaue Seitenrichtung einzuhalten, weil einige besonders beleibte Leute gar nicht in der Lage waren, sich auszurichten, dass ferner bei den Appellen sämtliche Leute, auch wenn sie wegen Krankheit oder aus anderen Gründen nicht gehen konnten, im Gliede stehen mussten.
In der ersten Nacht schien es unmöglich, sämtliche Leute in dem Schlafsaal unterzubringen; obwohl die meisten schon auf der Seite lagen, um Platz zu haben, stellte sich heraus, dass vier oder fünf Leute durchaus nicht untergebracht werden konnten. Es wurde nicht gestattet, diese wenigen Leute in den Tagesraum, der vollkommen leer war, zu legen. Stattdessen wurde mit der Drohung, dass der gesamte Block ohne Oberkleidung draußen stehen müsse, wenn nicht sofort alle Leute im Schlafsaal untergebracht würden, doch noch Platz auch noch für diese vier geschaffen. In einem anderen Block war die gleiche Drohung in der vergangenen Nacht ausgeführt worden.
Hinsichtlich des Arbeitsdienstes wurden im Lauf der Wochen für ältere und schwächere Leute einige Erleichterungen geschaffen. Nach vorgehender Prüfung durch den Lagerältesten wurden diese Leute teilweise einem Strumpfstrick- und Kartoffelschälkommando zugeteilt, wo sie wenigstens in gedeckten Räumen saßen.
Das gesamte Lager unterstand der Aufsicht eines Lagerkommandanten, der von den Häftlingen wegen seines Aussehens „Vierkant“ genannt wurde, ein untersetzter Mann, der sich in seinen Ansprachen durch besonderen Zynismus auszeichnete. Die Ansprache, die er am dritten Tage nach der Einlieferung den jüdischen Häftlingen nach dem Abendappell hielt, hatte etwa folgenden Inhalt: „Sie sind wegen Ihrer feindseligen Haltung gegenüber Volk und Staat hier interniert worden. Das Konzentrationslager ist kein Gefängnis, kein Zuchthaus, aber auch kein Sanatorium oder Erholungsheim, sondern eine Erziehungsstätte eigener nationalsozialistischer Prägung. Es handelt sich hier darum, vor allem zur strengsten Disziplin zu erziehen. Die Disziplinarstrafen sind 24 auf den Nackten, sodass Sie die Engel im Himmel singen hören, trocken Aufhängen, Unterbringung in Einzelhaft oder in der Strafkompanie, Stehen am Tor etc. etc. Falls Sie es sich einfallen lassen sollten, flüchten zu wollen, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass es dann keine Rücksicht mehr gibt, peng, ein Knall und die Geschichte ist aus, und meine SS-Jungs sind bestimmt gute Schützen.“
Bei der gleichen Ansprache an einige neu eingelieferte arische Häftlinge, die ich zufällig hörte, fügte er ein: „Zweck der Erziehung ist, Sie, soweit Sie Arier sind, zu brauchbaren Volksgenossen zu machen. Bei Juden verfolgt die Erziehung den Zweck, sie zu lehren, wie sie sich einem Wirtsvolk gegenüber zu verhalten haben.“
Welchen Ton dieser Kommandant sonst anzuschlagen wusste, ergibt sich aus seinen folgenden Äußerungen. Als gelegentlich einer Abteilung Häftlinge von ihrem Führer eine Ehrenbezeugung durch Augen links kommandiert wurde, rief er: „Nehmt eure Nasen grade aus, ich will eure Stinkrüben gar nicht sehen!“
Seine erste Begrüßung erlebte ich am Morgen nach der Einlieferung, also nach etwa 12-stündigem Stehen. Er schritt die Front der Häftlinge ab und wandte sich, als er einige Fetzen Papier auf der Erde liegen sah, an seinen Adjutanten mit den Worten: „Sauberkeit scheinen die Strolche nicht zu kennen, na sie werdens schon bei uns noch lernen.“ Der Lagerkommandant hatte die Aufsicht über das gesamte Lager nebst Bewachungsmannschaften. Verantwortlich für das innere Lager und die Behandlung der Häftlinge war der so genannte Lagerführer, der offenbar in einer Art Hauptmannsrang stand.
Die systematischen Quälereien und Schikanen, die im inneren Lager angeordnet wurden, das lange Stehen, der auch an den Sonntagen nicht unterbrochene lange Arbeitsdienst, die Beschränkung der Freistunden, Barackensperre, Heizverbote, die Zusammenpferchung der Leute in den Baracken, all das geschah offenbar auf Anordnung des Lagerführers. Ich schließe dies daraus, dass bei einer kurzen Beurlaubung des ordentlichen Lagerführers während einiger Tage erhebliche Erleichterungen zu verspüren waren, was sich vor allem dadurch bemerkbar machte, dass auch die unteren Bewachungsorgane wesentlich milder auftraten, dass ferner die Gelegenheit zum Schreiben gegeben wurde, dass am Sonntag der Arbeitsdienst ausgesetzt und in den Mittagsstunden in der Baracke das Hinsetzen erlaubt wurde.
Unter dem Lagerführer wurde die Aufsicht von SS-Leuten, die als Block- oder Scharführer bezeichnet wurden, geführt. Die Haltung uns gegenüber von Seiten dieser Leute war verschieden. Es gab unter ihnen zweifellos Leute, die, abgesehen von den ersten Tagen, in denen es darauf ankam, die Menschen mürbe zu machen, sich anständig benahmen und, wenn sie nicht gerade von höherer Stelle beaufsichtigt wurden, ruhig ihre Pflicht erfüllten. Ein Teil der SS-Leute hatte aber ausgesprochen sadistische Neigungen. Wo sie eine Gelegenheit zu Misshandlungen fanden, schlugen sie zu, verabreichten Fußtritte und Faustschläge ins Gesicht. Besonders hatten sie es auf körperlich unbeholfene, sehr beleibte oder geistig minderwertige Leute abgesehen.
Zum Glück für die Häftlinge war die Zahl der SS-Leute nicht so groß, dass sie überall gegenwärtig sein konnten. Die Unteraufsicht in den Baracken selbst lag im Wesentlichen in den Händen von arischen Häftlingen, die auch als Vorarbeiter unsere Vorgesetzte waren. Es gab den sogen. Blockältesten und den Stubenältesten und etwa acht oder neun andere arische Häftlinge als Aufseher in jedem Block. Diese waren in ihrem menschlichen Solidaritätsempfinden bemüht, den jüdischen Gefangenen das Leben nach Möglichkeit zu erleichtern, obwohl sie sich damit der Gefahr schwerster Bestrafung aussetzten. Eine Anzahl von ihnen, die früher SA-Leute gewesen waren und sich nicht in dieser Weise zeigten, bildeten nur eine geringe Ausnahme. Es geschah z.B., dass ein Stubenältester disziplinarisch bestraft wurde, weil er einigen Leuten, die frierend und feucht in die Baracke kamen, gestattet hatte, sich für einige Minuten am Ofen zu wärmen. Es war nicht leicht für die Stubenältesten, bei der großen Zahl und ungleichmäßigen Zusammensetzung der in den Baracken Untergebrachten eine Ordnung herzustellen und aufrechtzuerhalten, das Essen gleichmäßig zu verteilen, für die rechtzeitige Einhaltung der Arbeitszeiten und der sonstigen Lagerregeln zu sorgen, und es war zeitweilig geradezu bewundernswert, mit welcher überlegenen Ruhe und Beherrschtheit Einzelne von ihnen ihrer Aufgabe genügten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich gerade bei diesen Menschen zumeist um Leute handelte, die seit 1933 hinter Schloss und Riegel oder Stacheldraht saßen und deren Nerven im Laufe der Zeit oft genug auf harte Proben gestellt worden waren. Zum großen Teil waren es politische Gefangene, Marxisten oder Kommunisten, die die Aufsicht führten.
Im Lager waren die einzelnen Kategorien der Häftlinge durch besondere Abzeichen in Dreiecksform gekennzeichnet, die sichtbar auf Rock und Hose aufgenäht werden mussten. Die politischen Gefangenen hatten rote, die Berufsverbrecher blaue, die so genannten Arbeitsscheuen braune, die Katholiken violette, die Homosexuellen rosa Dreiecke. Weiter waren besonders die Rückwanderer gekennzeichnet. Eine besondere Klasse bildeten frühere Parteiangehörige, die in so genannter „Ehrenhaft“ waren. Diese wurden off dazu benutzt, um unter den anderen Häftlingen zu kontrollieren. Die höchststehende Klasse unter den Häftlingen, die wohl auch unter sich besondere Ehrenverpflichtungen vereinbart hatten, waren die politischen. Bezeichnend für sie ist, dass es unter ihnen streng verboten war, gegen andere Häftlinge tätlich zu werden, obwohl der Anreiz hierzu nach den Verhältnissen off gegeben war. Bei den als „Arbeitsscheue“ gekennzeichneten Leuten handelte es sich hauptsächlich um Gefangene der Juniaktion, Arier und Juden gemischt. Zumeist war bei ihnen von Arbeitsscheu keine Rede, aber sie waren als Nazigegner bekannt, die man auf diese Weise unschädlich machen oder einschüchtern wollte. Auch unter den „Berufsverbrechern“ befanden sich zahlreiche Leute, die alles andere als Berufsverbrecher waren. Im Übrigen zeigten sich auch die wirklichen Berufsverbrecher durchaus solidarisch mit den jüdischen Gefangenen.
Die Juden waren gekennzeichnet durch ein gelbes Dreieck, das entweder mit dem braunen Dreieck von der Juniaktion oder mit dem roten Dreieck von der Novemberaktion gekreuzt aufgenäht wurde, sodass es einen „Mogen Dovid“ formte.
Am Tage fanden drei Appelle statt. Bei den Früh- und Abendappellen trat die ganze Belegschaft mit Ausnahme der Revierkranken, also ca. 12-14000 Mann, auf dem Appellplatz an. Es wurde abgezählt und gemeldet, und schlimm war es, wenn sich beim Abendappell irgendeine Unstimmigkeit herausstellte, dass z.B. einer fehlte. Der Appell wurde dann nicht früher beendet, bis die Unstimmigkeit aufgeklärt war. So konnte sich ein solcher Appell, der schon normal über eine Stunde dauerte, bis in die späten Abendstunden ausdehnen, was besonders in den kalten Tagen im Dezember furchtbar war. Zum Appell mussten alle Leute, soweit sie nicht im Revier oder Lazarett lagen, antreten, wenn sie nicht laufen konnten, mussten sie getragen werden. Mir ist noch ein schwer blasenleidender Mann, der unaufhörlich stöhnte und schrie, in Erinnerung. Vom 12-jährigen Jungen bis zum 84-jährigen Greis stand alles auf dem Platze. Allerdings wurden nach einigen Tagen Greise über 81 im Revier untergebracht. Von einem 80-Jährigen weiß ich aber, dass er drei Wochen lang mit zum Appell angetreten war.
An die Abendappelle schloss sich an manchen Tagen noch die Gesangsstunde an. Es wurden drei oder vier Lieder im Chor gesungen, die von Gefangenen verfasst und komponiert waren. Wer nicht mitsang oder den Text nicht richtig gelernt hatte, lief Gefahr geschlagen zu werden. Ferner wurden bei den Abendappellen noch gewöhnlich eine größere Anzahl von Häftlingen ihrer Nummer nach aufgerufen. Es handelte sich hierbei um die Leute, die aufgefallen und aufgeschrieben worden waren und am Anschluss an den Appell den Rest des Abends am Tor stehen mussten. Manchmal auch bis zum nächsten Morgen.
In den ersten Wochen wurden auch diejenigen Häftlinge beim Abendappell aufgerufen, die entlassen wurden. Später wurden Entlassungen erst am nächsten Morgen bekanntgegeben. Bei den Mittagsappellen fanden wiederholt besondere Veranstaltungen statt. Es wurden Leute herausgesucht, die zum Zwecke der Aufnahme in den „Stürmer“ oder das „Schwarze Korps“ von Journalisten fotografiert wurden. Hierfür bevorzugte man Rabbiner und „Millionäre“; zu den Letzten nahm man aber auch verschiedentlich Leute, die erheblich weniger als eine Million besaßen.
Als eines Tages ein Häftling, der früher aus dem Lager entflohen war, wieder in das Lager eingeliefert wurde, wurde er unter Paukenschlägen herumgeführt, ein Rabbiner und ein evangelischer Pastor begleiteten ihn und mussten ein Schild tragen, auf dem eine mir nicht mehr im Gedächtnis gebliebene Spottschrift geschrieben war. Der Pastor und der Rabbiner mussten im Anschluss daran noch drei oder vier Stunden am Tor stehen.
Die Disziplinarstrafe von „24 auf den Nackten“ wurde beim Appell öffentlich vollzogen. Ich habe dies allerdings nicht selbst miterlebt, denn in den Wochen meines Aufenthalts dort wurde bekannt, dass die Prügelstrafe auf Anordnung des aufsichtsführenden Ministeriums untersagt wurde. Während dieser Zeit wurde auch in den offiziellen Bekundungen die Prügelstrafe nicht mehr erwähnt.
Unter den Gefangenen war aber bekannt, dass im „Bunker“ die Prügelstrafe doch vollstreckt wurde. Vom Hörensagen weiß ich auch, dass in den ersten Tagen nach meiner Einlieferung die Prügelstrafe einmal beim Abendappell ausgeführt worden ist. Bei der Zusammendrängung der Menschenmassen auf dem Appellplatz und bei der übermäßigen Ermüdung durch das lange Stehen ist es mir selbst entgangen. Ebenso hörte ich, dass im Dezember in den Frosttagen zwei Häftlinge dieser Strafe unterzogen wurden. Diese Häftlinge waren während des Außendienstes in einem gedeckten Raum infolge der Kälte eingeschlafen und zum Appell nicht erschienen und erst nach stundenlangem Suchen aufgefunden worden.
Ganz besonders schlimm war es, wenn man krank wurde. Bevor man zur Vorstellung im Revier vor den Arzt kam, musste man damit rechnen, dass man mit den Revierkranken auf dem Appellplatz mindestens fünf Stunden stehen musste. Der eine Arzt behandelte Juden grundsätzlich nicht und ordnete darüber hinaus an, dass nach der Vorstellung bis zum Appell weiter gestanden werden musste. Mir bekannt ist ein Fall, dass ein Mann, der an Nierentuberkulose litt, den ganzen Tag über am Tor stand. Die Folge war, dass diejenigen, die ernstlich krank waren, sich überhaupt nicht mehr krank meldeten oder allenfalls zur ambulanten Behandlung, die von arischen Häftlingen in menschlicherWeise durchgeführt wurde. Leute, die Fieber hatten, wurden gelegentlich durch besondere Verwendung des Stuben- oder Blockältesten im Revier untergebracht, waren sie dort erst einmal, so war ihre Behandlung und Pflege erträglich, und sie waren nicht der Gefahr ausgesetzt, dass der kontrollierende Arzt, um angeblich Simulanten zu prüfen, anordnete, dass der eine oder andere von ihnen am Tor stehen musste. Von zwei Fällen habe ich gehört, dass in dieser Weise behandelte Patienten noch in der Nacht oder am folgenden Tage starben. Die durchschnittliche Zahl der Sterbenden mag etwa sieben oder acht Leute pro Tag betragen haben, wobei zu berücksichtigen ist, dass sehr schwer kranke Leute doch wohl teilweise zeitig entlassen wurden.
In den ersten Tagen machten einige Häftlinge Selbstmordversuche, indem sie in den Schussbereich des Sicherungsmaschinengewehrs zu gelangen versuchten. Sie konnten nur mit Mühe von den Kameraden zurückgehalten werden. Ein Fall ist mir bekannt, in dem es einem Häftling doch gelang, sein Vorhaben auszuführen. Von einer ganzen Anzahl Schüssen, die auf ihn abgefeuert wurden, trafen ihn nur vier, die aber tödlich waren.
Das Essen bestand aus einer warmen Mahlzeit, die nach dem Abendappell ausgegeben wurde, ferner einer Suppe zum Frühstück und aus der so genannten Portion, die am Sonntag mit etwas Marmelade ergänzt wurde. Daneben gab es Brot in ausreichender Menge. Die „Portion“ bestand abwechselnd aus Sülze, in der Lagersprache bezeichnet als „Lagerspeck“, Margarine, etwas Käse, gelegentlich auch Bückling oder Salzhering. Schlecht war der so genannte „Lagerspeck“, aus minderwertiger Gelatine und Eingeweideabfällen zusammengesetzt; der Käse war immerhin genießbar. Die warme Mahlzeit enthielt oft Walfischfleisch, das gut enttrant war, manchmal Erbsen oder Bohnen. Unbeliebt war die Fischsuppe. Im Allgemeinen kann das Essen unter Berücksichtigung der Ansprüche, die man an die Qualität einer solchen Massenabfütterung stellen kann, der Zubereitung nach als nicht schlecht bezeichnet werden. Zumeist wurde noch etwas allerdings sehr dünner Kaffee oder Tee geliefert. An einem Tage gab es sogar Gulasch mit Kartoffeln, das recht appetitlich war. An diesem Tage wurde die Küche einer Reichswehrkommission vorgeführt, die aus verschiedenen hohen Offizieren bestand und, wie ich hörte, zur Einweihung des neuen Kasinos geladen war. Diese Kommission hatte, wie auch andere Kommissionen, ausländische Journalisten bei sich, die aber wohlweislich nicht in das Lager, in dem sich die Juden befanden, gebracht wurden.
Das Essen war ausreichend für diejenigen, die erst kurze Zeit im Lager waren und daher noch gewisse Kraftreserven hatten, nicht aber für die schon lange Zeit Anwesenden, die nur auf die Lagerverpflegung angewiesen waren. Nur so kann es erklärt werden, dass ein großer Teil der schon lange internierten Häftlinge in mitleiderregender Weise trotz der strengen Strafen, mit denen sie bedroht wurden, um Brot oder andere Überreste von Essen bettelten. Vorgesehen war in der Lagerordnung, dass jeder Häftling pro Woche RM15-, die ihm von Angehörigen geschickt wurden, ausgezahlt erhalten konnte. Diese Auszahlung setzte aber erst nach drei Wochen ein. Dann war es allerdings möglich, sich in der Kantine zu billigen Preisen alle möglichen Lebensmittel besorgen zu lassen. Die völlige Abmagerung, an der die meisten Häftlinge nach wenigen Wochen des Lageraufenthalts litten, ist auch weniger auf den Mangel an Nahrung zurückzuführen als auf das ständige Frieren, dem sie in völlig unzureichender Kleidung im Freien ausgesetzt waren. Man suchte sich dadurch zu helfen, dass man das Handtuch, das jedem geliefert wurde, oder Zeitungspapier um die Brust legte. Sobald das aber ruchbar wurde, kontrollierte die SS beim Appell, und es wurden strenge Strafen auf solche Vergehen gesetzt. Leute, die zu inneren Erkrankungen neigten, litten besonders schwer. Im Übrigen aber war fast jeder mehr oder weniger mit Bronchitis behaftet.
Am Entlassungstage musste jeder gewöhnlich noch einmal von 7 Uhr früh bis nachmittags um 4 Uhr im Freien stehen, bis ihm unter den üblichen Formalitäten die Freiheit wiedergegeben wurde.