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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Dachau

Nach dem 18. Januar 1939 berichtet ein Betroffener über zehn Wochen Haft in Dachau:

Ich war im Ganzen zehn Wochen, und zwar von 10. November 1938 bis zum 18. Januar 1939, in Dachau und wurde an letzterem Tage auf Grund eines Vorvisums nach Panama entlassen.

Am 10. November wurde ich morgens durch die Gestapo, und zwar durch vier Leute, mit meinem Bruder aus der Wohnung geholt. Wir kamen ins Gefängnis und blieben dort von Donnerstag bis Dienstag, in dieser Zeit wurden unsere Personalien aufgenommen, uns aber in keiner Weise mitgeteilt, was der Grund der Freiheitsentziehung war. Wir lagen zu fünf Leuten in einer Zelle. Am Dienstag wurden wir dann in den Hof geführt, dort hatten sich etwa 400 Juden zum Abtransport versammelt, unter denen eine große Zahl 50- und 60-Jähriger war. Dann wurden wir im Omnibus zum Bahnhof gefahren -die Straße und der Bahnhof waren streng abgesperrt. Wir fuhren dann in einem Sondergefangenenzug nach Dachau. Dort erklärten uns die begleitenden Gestapobeamten, wir sollten über den Empfang, der uns jetzt bevorstände, uns nicht zu sehr aufregen, der wäre das Schlimmste von allem, was uns bevorstände. Es erfolgte dann auch sofort das Kommando: Juden raus! Es erschienen SS-Leute mit Stahlhelm und Karabiner, Scheinwerfer spielten, die Karabiner wurden in Anschlag gebracht. Wir mussten antreten und im Laufschritt, bei dem es unausgesetzt Hiebe mit Gummiknüppeln und Stöße mit Gewehrkolben regnete, auch auf Gefallene, zu dem uns erwartenden Güterzug eilen. Wir wurden in Viehwagen verladen - anders kann man dies Hineinwerfen in die Wagen nicht nennen -, und die Reise mit 250 Leuten im Waggon begann. Zunächst wurde uns gedroht, und zwar mit Erschießen, wenn wir aus dem Wagen sehen würden. Viele wurden, weil wir vollkommen gepresst nebeneinanderstanden, ohnmächtig.

Bei Ankunft im Lager selbst spielten wieder die Scheinwerfer so stark, dass wir vollkommen geblendet waren. Wir mussten im Laufschritt an einen uns bestimmten Sammelplatz uns begeben. Viele blieben liegen, was mit ihnen geschehen ist, weiß ich nicht. Wir mussten nun, völlig nass geschwitzt, im Nebel zwei Stunden stehen bleiben und kamen dann zu 800 Mann in einen Raum, dann einzeln in einen Nebenraum, wo wir auf nassen Strohsäcken Nachtquartier beziehen sollten. Wir bekamen etwas Tee und Brot. An Schlafen war aber nicht zu denken, da wir so eng lagen, dass die Köpfe zwischen den Füßen des Vordermannes lagen. Um 5 Uhr mussten wir aufstehen und antreten. Zu dieser Zeit waren schon zwei von unseren Leuten erschöpft.

Wir wurden dann photographiert und zum Baden geführt. SS-Leute hatten die Aufsicht, stellten dabei Fragen an uns und spritzten mit einem Gartenschlauch, als wir antworten wollten, in den geöffneten Mund. Um 7 Uhr wurde dann gegessen, kraftlos und wenig. Im Schlafsaal lagen wir 200 auf Stroh, nicht Strohsäcken, irgendwelches Bettzeug war natürlich nicht da. Wir erhielten je eine Decke, die natürlich bei der strengen, bald einsetzenden Kälte nicht ausreichte. Täglich wurde exerziert. Um 6 Uhr war Appell, von 8-11 ½ Uhr wurde exerziert, dann gegessen, darauf mussten wir eine Stunde stehen, von 2-5 wieder exerzieren, dann war von 5-6 Zählappell. Sonntags mussten wir off sechs Stunden strammstehen und wurden in dieser Zeit, ohne dass exerziert wurde, lediglich von der SS „getriezt“.

Wir erhielten nur ein Viertel Brot pro Tag. Das ging so weiter bis Weihnachten! Dann fand wegen des Frostes kein Dienst statt, wir mussten nur ständig stehen, einmal weil einer von uns fehlte, zweieinhalb Stunden bei 18 Grad Kälte im Drillichanzug. Nach Weihnachten wurde der Appelldienst unverändert fortgesetzt - alle Kranken, auch die Lungenkranken, mussten dabei sein. Es ist wiederholt vorgekommen, dass diese Kranken bei dem Appell starben. Ich habe einen Fall in Erinnerung, bei dem ein Jude, der 40 Grad Fieber hatte, in diesem Zustande mit Holz, das er unter die Füße gebunden hatte, dem Appell beiwohnen musste. Im Lager waren 13000 Juden und 4500 Arier. Die Ältesten waren 84 und 87 Jahre alt. An einem Tage starben 40 Leute.

Zuerst konnte man in der Kantine alles kaufen, dann nach Weihnachten nichts Ordentliches mehr, für Juden gab es überhaupt kein Brot und keine Butter mehr. An den Tagen, wo Geld für uns gekommen war, wurden nur 6-Pfennig-Zigaret-ten an uns abgegeben.

Nach Weihnachten taten wir keinen Dienst mehr, es wurde ununterbrochen geputzt. Die geringste Unordnung oder Unsauberkeit wurde streng bestraft, z. B. mit acht Tagen Abortschrubben oder Essentragen. Eines Tages mussten 150 Leute, weil ein Handtuch nicht ganz sauber war, stundenlang unbeweglich mit ausgestreckten Armen das Handtuch vor sich hin-halten, an einem anderen Tage mussten wir ohne Essen von 8-6 bei dem so genannten Jourhaus strammstehen. Es gab dann noch die Strafe des Baumhängens, wobei wir mit gefesselten Händen an einen Baum derartig befestigt wurden, dass wir in der Luft schwebten. Die Strafe, die in 25 Schlägen bestand, wurde in dem Bunker (Gefängnis) durch einen aus der Haft entlassenen Lustmörder vollstreckt.

Als eines Tages eine Wand unserer Baracke wegen der großen Kälte geplatzt war, mussten wir die Reparatur bezahlen. Die zur Reinhaltung der Baracke erforderlichen Materialien wie Seife, Schrubber, Tücher etc. mussten wir ebenfalls anschaf-fen, durften aber niemals an den Schalter herantreten. Im Waschraum durften wir nur mit entblößtem Oberkörper erscheinen. Eines Tages hielt sich, nachdem wir gebadet hatten, ein Wiener Journalist A. (55 Jahre alt) noch im Waschraum auf und hatte sein Hemd angezogen, als ein SS-Mann auf ihn zukam, ihm mit der Faust ins Gesicht schlug und [ihn] dann auf den Steinboden niederwarf, sodass ihm hinterher zwei Zähne fehlten. Er musste nachher einen Revers unterschreiben, dass seine Verletzung Folge eines Unfalls war. Der Arzt im Revier untersuchte kaum.

Häufig fand Fußappell statt, daneben Handtuchappell und Prüfung der Rasierapparate, Zahnbürsten, Seife usw. Beim Fußappell kam es täglich vor, dass die SS-Leute, wenn ihnen etwas nicht passte, mit ihren genagelten Schuhen auf die Füße traten.

Alle gekauften Gegenstände mussten im Lager bleiben. Da es in den Holzbaracken bitter kalt war, haben wir uns niemals ausziehen können und in den zehn Wochen in denselben Kleidern und in dem allmählich verfaulenden und feuchten Stroh geschlafen. Eines Tages waren zwei Arier entflohen, der eine wurde nach kurzer Zeit entdeckt, an den Füßen gebunden und hinter einem Motorrad ins Lager geschleift, wo er natürlich tot ankam. Bis diese beiden Leute gefunden waren, mussten wir im Lager in der kalten Luft stehen.

Während meines Aufenthaltes im Lager wurden mir viermal die Haare geschnitten. Bei der Entlassung wurde uns gesagt, wir dürften im Inland nichts von unseren Erlebnissen und der Einrichtung im Lager erzählen, im Auslande könnten wir es tun, da glaubte uns doch keiner etwas.

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