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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Brauweiler und Dachau

Nach 1. Dezember 1938 berichtet der 34-jährige Ernst Wallerstein aus Siegburg (jetzt Amsterdam) über seine Verhaftung am 10. November 1938, über mehrere Tage Haft in Brauweiler und Groß-Königsdorf und seine Erlebnisse während der zwölftägigen Haft in Dachau:

In Siegburg, einer rheinischen Stadt von etwa 20000 Einwohnern, ist, soviel mir bekannt, nichts geplündert. Die Synagoge, in der am Mittwochabend der Rabbiner noch einen Vortrag gehalten hatte, ist angezündet und innen vollkommen ausgebrannt und in diesem Zustande fotografiert. Am Donnerstag, dem 10. November 1938, bin ich gegen 10 Uhr morgens von einem Kriminalbeamten verhaftet und dann mit 40 Leuten im Alter von 17 bis 68 Jahren durch die Gestapo nach Brauweiler ins Arbeitslager gebracht worden. Ich will bemerken, dass wir alle etwas Ungewöhnliches erwartet hatten, weil in der Zeitung am Mittwoch gestanden hatte, die SS sollte um Mitternacht beeidet werden.

Nach vier Tagen anständiger Behandlung wurden wir dann am Dienstagmorgen um ½ 2 Uhr nach Groß-Königsdorf zu Fuß gebracht, von wo am Samstag die älteren Leute nach Haus entlassen wurden. Mit mir wurde mein Vater verhaftet, der aber nur zwei Tage in Haft blieb.

Wir kamen dann - wir hatten uns inzwischen auf etwa 1500 Mann vermehrt - nach Dachau und wurden dort von etwa 100 SS-Leuten mit Stahlhelm und Seitengewehr empfangen. Eine Unzahl Scheinwerfer blendete uns und machte uns so schwindelig, dass viele ohnmächtig wurden. Wir wurden in einen Waggon umgeladen, der fast zwei Meter hoch vom Erdboden war und in den wir ohne Hilfe klettern mussten. Das war naturgemäß für die Älteren besonders schwierig, zumal für einen 87-jährigen, der unter uns war und auf den nicht die geringste Rücksicht genommen wurde. In dem Waggon wurden wir dann von oberbayrischen SS-Leuten begleitet, die uns so furchtbar beschimpften und misshandelten, dass wir unter der Leitung des Rabbiners die üblichen Sterbegebete sprachen.

Wir kamen dann im Lager [an] und wurden in einen Raum zu 200 Leuten so dicht hineingepresst, dass Ohnmächtige nicht einmal zu Boden fallen konnten. Aus den Nachbarräumen hörten wir ununterbrochenes Schreien. Wir mussten dann heraustreten und wurden im Laufschritt mit dem strengen Befehl, „den Blick nicht von dem Nacken des Vordermannes fortzuwenden“, zur Untersuchung geführt. Wir mussten uns in dem Saal dicht an die Wand stellen - ein Teil von uns wurde, als er auf Fragen nicht so antwortete, wie die SS-Leute es wollten, auch hier misshandelt. Wir kamen dann in einen anderen Saal mit Strohsäcken - neben mir lag mein 57-jähriger Schwiegervater, ein jüdischer Lehrer. Ich blieb dann im Ganzen 12 Tage im Lager, das erste Registrieren dauerte so lange, dass wir volle acht Stunden, ohne etwas zu essen, stehen mussten, wobei es uns verboten war, anders als geradeaus zu sehen. Wir wurden dann geschoren und unter die Brause gebracht, erst heiß und dann eiskalt. Während des Brausens wurden Fragen an uns gerichtet und in dem Augenblick, wo der Betreffende den Mund öffnete, der Schlauch mit dem eiskalten Wasser in den Mund gerichtet.

Nachdem wir lange nackt gestanden hatten, erhielten wir Anzüge, die teils mit dem „Mogen Dovid“ versehen waren und teils mit in Farbe aufgemalten Nummern - eine besondere Freude machte es den Leuten, den Beleibteren unter uns zu enge Anzüge zu geben. Der Tagesablauf blieb immer gleich. Um 4% Uhr mussten wir aufstehen, dann war um 8, um 12 und 5 Uhr Appell, in der Zwischenzeit wurde exerziert und Laufschritt geübt, besonders Kniebeugen. Zu vier Leuten hatten wir einen Spind und ein Messer. Wir lagen zu 200 Leuten in der Stube, die meisten hatten durch den ständigen Wechsel von Kälte und Hitze Schüttelfrost und Fieber. Für die ganzen 200 Leute waren nur acht Klosetts vorhanden. Die Bewachung bestand aus höchstens 22-jährigen SS-Leuten, allein der Lagerkommandant war etwa 30 Jahre alt. Wenn beim Kommando „Stillstehen“ jemand sich bewegte, schnallte der in der Nähe stehende SS-Mann seinen Koppelriemen ab und schlug auf ihn ein.

Ich habe häufig Wagen mit Toten gesehen und weiß auch, dass ein Rabbiner bei einer Beerdigung assistiert hat.

Um ½ 2 Uhr mussten wir zu Bett gehen, konnten aber nur schwer schlafen, weil die Luft unerträglich war und außerdem die Scheinwerfer die ganze Nacht spielten. Wir haben nachts oft Schießen gehört, vielleicht hing dies mit der beim Appell ständig wiederholten Warnung zusammen, „nachts nicht vor die Tür zu gehen“ - jeder, der außerhalb des Hauses sich zeigte, wurde erschossen.

Die Behandlung wurde von Tag zu Tag schärfer - die Befehle auf dem Appellplatz wurden durch Lautsprecher übermittelt.

Wir hatten ausnahmslos durch das Marschieren in dem lehmigen aufgeweichten Boden geschwollene Füße.

Ich bin dann schließlich auf Grund eines Vorvisums nach China entlassen, mit mir 150 etwa, die sämtlich auswandern wollten oder deren Betriebe arisiert wurden. Am Tage der Entlassung mussten wir noch stundenlang stehen, bis die Formalitäten erledigt waren. Insbesondere die Arztuntersuchung erfolgte sehr genau, da alle, deren Körper mit blauen Flecken oder Verletzungen versehen waren, Zurückbleiben mussten.

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