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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Breslau und Buchenwald

Nach dem 26. November 1938 berichtet Hermann Schwarz, früher Breslau, jetzt auf dem Weg nach New York, über seine Verhaftung am 11. November, die Misshandlungen in der Bahnhofsunterführung in Weimar und seine Erlebnisse in Buchenwald bis zur Entlassung am 26. November:

Nachdem meiner Frau anfangs von den Kriminalbeamten gesagt war, dass mit Rücksicht auf die Vollständigkeit meiner Auswanderungspapiere meine Verhaftung nicht in Betracht käme, erfolgte diese doch, am Freitag, dem 11. November 1938, morgens. Wir fuhren dann zu etwa 1000 Mann nach Weimar, unter Aufsicht von SS-Leuten, und mussten dort zunächst^ Stunden lang, von 9 bis 9 Uhr, stehen. Sodann mussten wir auf Kommando Brillen und Hüte abnehmen und wurden im Laufschritt durch den Tunnel getrieben, in Gruppen von 40-50 Mann zusammengepresst, die außen Stehenden mit Karabinern gestoßen und geschlagen, sodass es viel blutige Striemen und ohnmächtige ältere Leute gab. Wir wurden dann unter Zurufen: „Verfluchter Jude, lauf schneller!“ und Ähnlichem auf Lastwagen verladen und ins Lager befördert. Dort hielten wir ebenfalls im Laufschritt unseren Einmarsch, begleitet von den so genannten Kapo-Leuten in blauen Uniformen, die in Buchenwald die Aufsicht führten und sich relativ anständig benahmen, solange nicht die SS dahinter stand. Wir mussten dann den ganzen Tag stehen, ausgerichtet und ohne Kopfbedeckung. Drei Tage erhielten wir nichts zu essen, dann so wenig Kaffee, dass uns das Regenwasser wie Sekt schmeckte.

Wir wurden dann zum Haarschneiden geführt und mussten die Haare auffangen und abliefern, weil sie offenbar wegen Materialknappheit verwandt werden sollten. Um Wunden auf dem Kopf wurde einfach herumgeschnitten. Andere Anreden wie „Sauhaufen, Judenhaufen, ihr werdet erschossen“, hörten wir nicht.

Der jüngste Verhaftete war nach meiner Beobachtung 14 Jahre, der älteste 73 Jahre. Die Alten wurden besonders scharf angefasst. Am unerträglichsten waren die Latrinenverhältnisse, so furchtbar, dass viele aus Angst, die Latrine benutzen zu müssen, einfach nichts aßen. Auch Wäsche erhielten wir nicht und mussten auf dem nackten Holz schlafen ohne Decke. Die Baracken waren für etwa 500 Personen bestimmt und mit 2500 belegt, 5 Betten standen übereinander, der Boden war Lehm, auf dem die unten Untergebrachten schlafen mussten. An der letzten Baracke 4a wurde noch gebaut. Ständig war Wasserknappheit, da das Wasser typhusverdächtig war. Häufig kamen Selbstmorde vor, die Verhafteten liefen nachts in ihrer Verzweiflung gegen die mit Elektrizität geladenen Drähte - ich habe auch einen Fall erlebt, in dem sich ein Jude offenbar im Wahnsinn mit seinen Zähnen die Pulsader durchgebissen hat. Fast jede Nacht hörte ich Schreien und Röcheln, offenbar infolge der unbeschreiblichen Misshandlung durch die SS-Leute.

Von 7 bis 8 Uhr war Antreten. Dann gab es kalt gewordenen Kaffee und danach vier Stunden Stehen im Gliede, Mittagessen, bestehend aus Suppe, Kartoffeln und zuweilen auch Brot mit Käse oder Hering. Geschirre mussten wir für RM 3 - kaufen und es nochmals bei der Entlassung bezahlen. Das mir von meiner Frau gesandte Reisegeld habe ich nie bekommen, ebenso ist eine von mir am 12. November abgeschickte Karte erst am 26. November zur Post gegeben.

Wir sind nicht eingeldeidet und die ganzen 14 Tage, die ich im Lager war, nicht aus den Sachen herausgekommen, obwohl sie durch den ewig feuchten Lehmboden schmutzig und schwer geworden waren. Die bekannten Strafen - Binden an Bäume mit erhobenen Armen und 25 Schläge - habe ich selbst oft vollziehen sehen und dabei beobachtet, dass die so bestraften Juden fast regelmäßig ohnmächtig wurden.

Eines Tages wurde kommandiert, „Millionäre vortreten“, und als sich dann acht bis zehn meldeten, unter ihnen der bekannte Schnaps-Wolff aus Breslau, wurden sie abgeführt. Offenbar um Geld aus ihnen herauszuholen.

Ein älterer Häftling ist in die Latrine gefallen infolge des unglaublichen Zustandes der Stange und gestorben. In jeder Baracke wurde durch jüdische Ärzte ein Revier gegründet, das gut funktioniert - Zuckerkranke und Herzkranke jedoch waren rettungslos dem Untergange ausgeliefert. Die Folge war, dass man jeden Tag Bahren mit Toten vorbeigetragen sehen konnte.

Den meisten sind die Füße erfroren, weil sie sich nicht entschließen konnten, die feuchten Strümpfe und Schuhe auszuziehen. Mir ist gesundheitlich nichts passiert, nur habe ich 12 Pfund abgenommen. Wir waren nicht eingekleidet in unserer Baracke und brauchten deshalb auch nicht zu arbeiten. Die Eingekleideten hatten auf Hosen und Jacken ein „Mögen Dovid“, Rassenschänder einen roten Streifen auf dem Rücken. Der Rabbiner Hoffmann aus Breslau, der 65 Jahre alt ist, brach sich in dem feuchten Lehm ein Bein und kam ins Lazarett. Ein mir bekannter Breslauer Großkaufmann mit Namen X. ist infolge von Schlägen gestorben. Ich bin durch die Gestapo in Breslau am 18. November angefordert, aber erst am 26. November entlassen, nachdem wir einen vollen Tag vergeblich angetreten waren und uns, nachdem wir rasiert waren, sämtliches Geld aus der Börse genommen ist. Wir sind dann zu 108, die sämtlich Visen hatten, entlassen und in ein Dorf geführt, wo wir uns selbst überlassen waren. Vor der Entlassung mussten wir noch verschiedene Verzichtserklärungen auf Ansprüche etc. sowie die Schweigepflicht unterzeichnen, nicht ohne dass uns vorher nochmals unser Reisegeld abgenommen wurde.

Zum Abschied wurde uns noch erklärt, unsere Glaubensgenossen hätten es auszubaden, wenn wir irgendwelche Nachrichten über Vorgänge im Lager draußen erzählten.

Im Lager war ein großer Tierpark mit Raubvögeln, riesigen Geiern und Kondoren sowie Bärenzwinger. Täglich mussten beim Appell die Tierwärter vortreten und die Käfige reinigen. Durch die vielen Raubtiere herrschte im Lager ein unerträglicher Gestank.

Berichterstatter: Kaufmann Hermann Schwarz, früher Breslau, Straße der SA 171, unterwegs nach New York

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