Berichte über Ansbach, Nürnberg und Fürth
Ende November 1938 berichtet ein Augenzeuge über die Verschärfung der antisemitischen Stimmung schon Wochen vor dem Pogrom, z. B. in Ansbach, sowie über die Verwüstung seiner Wohnung und seines Geschäfts, über die Verhaftung vieler Männer und ihre Verschleppung nach Dachau, die Plünderung der Synagogen und mehrere Todesfälle in Nürnberg und Fürth sowie über die dortige Lage nach dem Pogrom.
Schon seit einigen Wochen war eine ausgesprochene Beunruhigung der Massen zu verspüren, so hörte ich in der Straßenbahn zwei Frauen sich unterhalten: Man solle doch die Juden bei nächstbester Gelegenheit erschlagen. Auch tauchten schon an verschiedenen Läden, Kinos etc. die Schilder auf: „Juden unerwünscht“ etc. In Ansbach z.B., dem Sitz der Kreisregierung, war schon vor Wochen ausnahmslos an jedem Geschäft, gleich welcher Branche, dieses Schild, an den kleineren Plätzen und am flachen Land waren die Verhältnisse noch schlimmer, die Leute wurden durch Terrorakte oder auch unterschriftlich gezwungen, ihr Hab und Gut binnen einiger Stunden zu einem Spottpreis zu verkaufen und fortzugehen - wohin? Natürlich in die nächste größere Stadt. Die gleiche Frage wohin, vor der nun alle stehen. Der Mordanschlag, manche glauben an bestellte Arbeit, gab die gewünschte Auslösung.
In der Nacht vom 9. zum 10. erwachten wir von dem Geräusch umstürzender Möbel und konnten feststellen, dass die SA in Uniform in privaten Kleinautos, immer je sieben bis acht Mann, in die jüdischen Wohnungen eindrang und alles van-dalisch vernichtete. Die Schränke mit Geschirr wurden einfach umgestürzt, die Möbel alle zerhackt, die Kleider in den Schränken aufgeschlissen, das Silber auf den Boden geschmissen und zerstampft, Bilder zerschnitten, Flügel zerschlagen, kein Spiegel, kein Fenster blieb ganz. Man kann es heute noch nicht fassen, warum das alles zerstört wurde, und zwar organisiert zerstört, denn die SA kam mit Zetteln, sodass faktisch jede Wohnung zerstört wurde, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um eine große Villa der Reichen oder um das kleinste Dachkämmerchen der Kleinsten handelte.
Während bei den Wohnungen ganz einzelne übersehen wurden, wurden die Geschäfte auch der Ausländer restlos vernichtet. In meinem wurden die sechs Schaufenster eingeschlagen, [sie] drangen hierdurch ein, und nicht ein Stückchen blieb am Platze. Über ein Meter hoch lag die Ware vollkommen zerstört herum, die Maschinen zerhackt, wichtige Bücher gestohlen. Millionenwerte wurden vernichtet, und zwar ausschließlich auf Befehl von oben, und das im Zeichen des Vierjahresplanes, nachdem tatsächlich die letzte ausgedrückte Zahnpastatube wieder der Verwertung zugeführt wurde. In manchen Wohnungen wurde gemein gestohlen, so bei Anna, deren Mann ein pensionierter Beamter war, 4000 Mark, bei anderen Leuten Schmuck, während bei anderen nicht das Geringste gestohlen wurde, sondern nur zerstört. Nun sitzen die armen Leute in ihren Wohnungen in der Kälte, da die Fensterscheiben auf Anordnung bisher nicht repariert werden durften.
Schlimmer jedoch als alles sind die Verhaftungen, während in N[ürnberg] alles zerstört wurde, wurde wenig verhaftet, während in F[ürth] alles verhaftet [wurde], auch die Ausländer, wurden keine Wohnungen zerstört, nur die Geschäfte. In M[ünchen ?] wurde jeder Mann verhaftet (in F. sogar vorübergehend die Frauen), und [es] wurden die Verhafteten fast ausnahmslos nach Dachau verbracht, dort durften sie alle 14 Tage einen Brief von 15 Zeilen empfangen und absenden. Etwas Geld durfte ihnen gesandt werden. Unser Schwager Herbert ist auch dort.
So ganz unblutig ging die Sache auch nicht ab. Ein Freund von mir, Juwelier F. L., lag frisch operiert im jüdischen Krankenhaus in F., die Schwestern wollten ihn nicht herausgeben, und erlitt er einen tödlichen Schlaganfall, Paul Lebrecht wurde die Treppe herabgestürzt, tot. Bruder Langstadt Selbstmord. Wird nicht der letzte sein. Andere Leute ließen sich an Betttüchern zum Fenster herab und blieben in der Nachtbekleidung im Garten oder [in der] Garage. Die Beerdigung eines Bekannten, Beteiligung drei Personen, wovon einer ein paar Worte sprach, musste im Freien stattfinden, da auch die Friedhofshalle vollkommen zerstört ist.
Die Synagogen wurden schon in der Nacht vorher geplündert, in N. wurden von 40 Sepher Toras 27 zerstört, die Silbergehänge gestohlen, und das alles, obwohl in dieser Nacht dieses Quartier wegen Anwesenheit der Führer polizeilich bewacht und abgesperrt war. Durch die nun erfolgten drakonischen Maßnahmen ist es auch vielen Leuten, auch denen, die Geld haben, nicht mehr möglich, Lebensmittel zu kaufen, selbst Apotheken verweigern die Abgabe, und die ärztliche Versorgung ist vollkommen unzulänglich. Alle Wohnungen müssen bis zum t. Dezember geräumt sein, wohin jetzt, wohin später, das ist die Frage, die alle beherrscht, weder die materielle Frage noch die Magenfrage stehen im Vordergrund, diese Frage und die Verhafteten sind die bangen Fragen, die sich jeder stellt.
Also helft, helft, helfe jeder, wie er kann, und wer glaubt, genuggetan zu haben, möge das Gleiche nochmals tun, auch das ist zu wenig. Man muss zugeben, dass durch die heimliche Hilfe und [den] Trost, die heute viele Christen den Juden zukommen lassen, bewiesen ist, dass dieser Vandalismus nicht von dem deutschen Volk geschieht. Viele Kreise müssen, wenn auch in anderer Form, ebenfalls Schlimmstes erdulden. Vielen Rabbinern wurden die Bärte abgeschnitten, und [sie wurden] verhaftet.
Berichterstatter: ungenannt, übersandt von [gestrichen: S. I. G.] Juna, St. Gallen