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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht aus Mannheim

Ausführlicher Bericht eines Pfälzers über die Zeit von August 1938 bis zur Abreise in die Niederlande am 7. Dezember: Der Berichterstatter, im Oktober 1938 aus der Pfalz nach Mannheim übergesiedelt, beschreibt die Zerstörung der dortigen Geschäfte, Wohnungen und Synagogen, die Ankunft von Flüchtlingen aus der Saarpfalz in Mannheim, darunter die Bewohner des Altersheims in Neustadt an der Weinstraße, die Pogromereignisse an seinem Pfälzer Heimatort, die mühsame Suche nach Auswanderungsmöglichkeiten und die vielen damit verbundenen Behördengänge:

New York City, 29. Dezember 1938

Meine Lieben,

Unsere Luftpostbriefe von hier werdet Ihr inzwischen erhalten haben, woraus Ihr entnehmen konntet, dass wir nun hier gut angekommen sind. In diesem Brief erwähnte ich, dass [ich] Euch eigentlich auf dem Schiff schreiben wollte, was jedoch infolge einer ziemlich stürmischen Überfahrt nicht geschehen ist. Ich will nun mein Vorhaben nachholen und Euch schildern, was seit der Krise mit der Tschechei bei uns vorgegangen ist. Dies kann ich natürlich nur in ganz großen Zügen tun, da ich sonst einen ganzen Roman schreiben müsste.

Wie Ihr wisst, sind wir am 10. Oktober nach X. [Mannheim] übergesiedelt. Der Grund hierfür war, dass ich in Z. unter keinen Umständen mehr bleiben wollte. Als die Mobilmachung angeordnet wurde, ging in Z. die Rederei, sofern es zum Krieg kommt, bekommen die Juden den Hals abgeschnitten, da sie am Kriegsausbruch die Schuldigen seien. Dies wurde verschiedenen Bekannten von anständigen Leuten zugetragen, und [deshalb] hatten verschiedene Bekannte in diesen Tagen auch Z. verlassen. Wir machten dies jedoch nicht, doch war man Tag und Nacht am Radio, was kommen wird. Zunächst betrachtete ich diese Sache als Rederei, und hat sich ja alles zum Guten geregelt, da es nicht zum Krieg kam. Daraufhin habe ich mich jedoch kurzerhand entschlossen, nur noch möbliert zu wohnen, damit man bei derartigen Situationen beweglicher ist. Wir stellten also unsere Möbel beim Spediteur unter und mieteten zwei möblierte Zimmer. In X. war ich immer hinterher bei den Ämtern, dass unsere Auswanderungsvorbereitungen vorwärtsgehen. Dies ist aber alles viel schwieriger und langwieriger wie früher, da man auf viel mehr Ämtern Sachen erledigen muss. Wir hatten auf den 28. Dezember Schiff belegt und wollten mit A. zusammen fahren. Dies haben wir jedoch infolge der Ereignisse geändert.

Bevor ich nun von den Ereignissen vom 10. November (genau vier Wochen nach unserer Übersiedlung nach X.) erzähle, möchte ich erwähnen, dass auf dem Schiff eine einfache, aber ganz besonders erhebende Chanukka-Feier stattfand. Ein Herr, der schon fünf Jahre in Jerusalem lebt und Redakteur gewesen sein soll, hielt eine Ansprache, und dessen Motto möchte ich vor meiner Schilderung als Überschrift nehmen, und zwar auch deshalb, weil Du, liebe ..., und auch Du, lieber ..., geschrieben haben, wir sollen vergessen, was war. Sicherlich muss man vorwärts schauen, aber ich möchte Euch doch, nachdem Ihr das Folgende gelesen habt, anheimstellen, ob es nicht richtig ist, das Gewesene nicht zu vergessen, sondern dies auch die Kinder späterhin wissen zu lassen.

Das Motto der Rede des Herrn lautete: „Kinder Israels, vergesset nicht, was Amalek Euch angetan hat.“ Bisher haben wir dies nur aus der Schule gewusst, aber jetzt wissen wir, was es heißt, einen Pogrom durchzumachen, bei dem die Tempel zerstört wurden. Am 10. November fuhr ich morgens mit dem Auto zum Spediteur in die Stadt, um wegen der Lifts Verschiedenes zu erledigen. Ich fuhr an einem jüdischen Juweliergeschäft vorbei, und waren an demselben die Läden geschlossen, und Glasscherben lagen auf der Straße. Ich dachte mir, es sei ein Einbruch gewesen, denn man hatte zu Hause noch nichts gehört, was vorgeht. Auf meinem Wege zum Spediteur sah ich dann, wie an den jüdischen Geschäften die Fenster eingeschlagen wurden und die Ware teils auf die Straße geworfen wurde. Kurzum, es begegneten mir Trupps von ca. 15 bis 25 Mann mit Äxten und Pickeln dabei, welche die Sachen zusammenschlugen. Als ich beim Spediteur ankam, prasselten an der Klauß (fromme Synagoge), welche direkt neben dessen Büro ist, die Fensterscheiben herunter. Innen war schon viel zerstört und schauten viel Neugierige durch die mit Äxten zusammengeschlagene Tür.

Dies war also zunächst mein Erlebnis am Morgen auf dem Wege in die Stadt. Man war zunächst der Meinung, die Synagogen und Geschäfte werden zerstört, und damit ist alles erledigt. Daraufhin wollte ich aber schnellstens den Spediteur und auch unsere Schiffskarten bezahlen, damit wir gegebenenfalls plötzlich abreisen konnten. Ich telefonierte mit Amsterdam mit..., da man hörte, es sei nicht so leicht, dort hineinzukommen. Aus diesem Grunde buchte ich sofort um auf die Holländische Linie, da ich ja zur Einschiffung nach Rotterdam musste. Bei Benutzung der Amerikanischen Linie hätte nämlich passieren können, die Holländer würden sagen, wir sollen uns in Hamburg einschiffen.

Inzwischen wurden die Konten von Juden besonders überwacht. Über unser Guthaben in Z. zu verfügen, gelang erst nach verschiedenen Telefongesprächen und nachdem ich den Spediteur auch veranlasst hatte zu telefonieren. Trotzdem musste der Betrag für den Lift erst von der Gestapo und Kreisleitung genehmigt werden. Bei der Bank konnte man über sein Guthaben auch nicht frei verfügen und musste man öfters kleine Beträge holen. Ebenso war von der Bankenvereinigung in Berlin ein Erlass heraußen, dass Juden ihre Effekten nicht verkaufen dürften, um Kursstürze zu vermeiden. Effekten durfte man nur bis zu RM 1000 - Wert verkaufen, wenn auf dem Konto kein Guthaben mehr war. Aus diesem Grunde brauchte ich mein Guthaben auf, damit ich von meinen Papieren für RM 1.000 verkaufen konnte. Man musste sehen, wie man sich durchlaborierte, da oft mittags schon wieder andere Anweisungen da waren als morgens.

Vom Spediteur fuhr ich nach Hause und brachte die Neuigkeit aus der Stadt mit. Daraufhin holte ich Lebensmittel zu unseren Hausleuten, da wir ja infolge der Demolierung des jüdischen Restaurants nicht mehr wie bisher dort essen konnten. Einen guten Bekannten besuchte ich bei dieser Gelegenheit, da er zu Mutter telefoniert hatte, ich soll nicht in die Stadt gehen. Als ich bei diesem war, kam noch ein Herr und brachte uns die Nachricht, dass diese Trupps nun auch in die Privatwohnungen gingen und dort alles kurz und klein schlagen würden und die Männer würden verhaftet werden. Daraufhin fuhr ich sofort zu Mutter nach Hause und bereitete sie und unsere Hausleute auf einen evtl. Besuch dieser Gesellschaft vor. Als ich hinter den Vorhängen dann auf Posten stand, kam auch solch ein Trupp durch unsere Straße, ging jedoch an unserem Haus vorbei und um die Ecke. Drei Häuser neben unserer Wohnung sahen wir dann die Bücher, Kissen, Kleider, Hausrat etc. durch die Fenster auf die Straße fliegen. In diesen Minuten hieß es dann zu handeln. Mutter hatte keine Ruhe, ich soll nicht in der Wohnung bleiben. Demzufolge fuhr ich eine Zeitlang mit dem Auto kreuz und quer in X. umher und sah, dass diese Zerstörungen in den Wohnungen nun voll im Gange waren. Ich stellte nun das Auto zu anderen auf der Straße, da man sich im Auto nicht mehr sicher fühlte.

Als ich nun zu Fuß mit der Aktentasche, in welcher unsere Pässe und Visen für USA waren, umherlief, musste ich mich natürlich zusammennehmen, nicht wegzulaufen, wenn mir solch ein Trupp in die Quere kam. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mit den Zuschauern mitzulaufen und mich dann allmählich wieder zu verduften. Obwohl ich mich immer in der Nähe der Wohnung aufhielt, war es mir doch nicht recht, Mama allein bei den alten Leuten in der Wohnung zu wissen. Ich telefonierte Mama, und wir trafen uns in der Stadt, da es hier so ziemlich vorbei war und die Trupps nun mehr in die Wohnviertel gingen. Mama kam sofort, für jeden eine Wurst und ein Stück Brot als Mittagessen dabei. Wir fuhren am Möbellager vorbei und sahen, dass hier nichts passiert war. (Wie ich später hörte, wollten sie auch dort alles zerstören, jedoch konnte dies der arische Spediteur verhüten.) Nun entschlossen wir uns, nach Z. zu fahren, da wir ja nicht wussten, ob es in X. nur örtliche Maßnahmen seien. Ohnedies war Mutter an diesem Tage zum Arzt nach Z. bestellt, da er die Wunde an der Hand frisch verbinden wollte. Wir riefen in Z. an und erfuhren, dass B. verhaftet war. Wir wussten jedoch nicht, dass alle Männer geholt werden sollten, denn sein Angestellter war am Telefon. Unterwegs verzehrten wir das, was Mama mitgebracht hatte, im Auto. In Z. rief ich bei Bekannten an und erfuhr, dass dort die Männer auch geholt seien und in den Wohnungen dasselbe war. Wir entschlossen uns, zunächst einmal nach Y. zu fahren und, wenn es geht, von dort aus zum Arzt nach X. In Y. erfuhren wir dann bei..., dass die Juden sofort bis abends die Stadt verlassen müssen. ... war nicht geholt und grade in unserem Beisein kam ein Schupo, bei dem er unterschreiben musste, dass er die Stadt bis abends verlässt. Wir fuhren dann zu Onkel C., der auch am Packen war und nach... abends fuhr. (Er ist mit Tante inzwischen in Detroit eingetroffen.) C. und D. nahmen wir nach X. zu deren Bekannten mit. Abends, als wir in X. eingetroffen waren, riefen wir unsere Hausleute an und erfahren, dass dort in der Wohnung nichts vorgekommen war. Der Tag war also zu Ende, und wir fuhren in die Wohnung zurück. Man hörte, dass nachmittags alles abgeblasen sei, jedoch traute man nicht, ob nicht doch noch jemand kommen könnte, der einen holt, da man ja vergessen wurde. Mitunter schlief man nicht, konnte nicht essen vor Aufregung, oder man schlief fest und konnte auch essen vor Aufregung.

Jetzt konnte man jedoch erst Elend sehen. Es kamen ständig Leute aus... in X. und anderen Städten an, da doch die Juden aus dem Gau [Saar-Pfalz] ausgewiesen waren. Das Altersheim in [Neustadt] wurde auch ausgebrannt, und kamen die alten Leute nach [Mannheim] ins jüdische Altersheim und Krankenhaus. Es wurden Matratzen, Wäsche etc. schnellstens gesammelt, und das Heim, an dem nichts passiert war, war das reine Flüchtlingslager und derart überfüllt, dass die Matratzen auf dem Boden lagen für die Flüchtlinge. Wer Bekannte hatte außerhalb, suchte zu diesen zu kommen, um Schlafgelegenheit und Essen zu haben. Bei uns kamen auch dauernd Leute an, bis sie allmählich Bekannte erreichen konnten. Die Leute kamen mit einem kleinen Köfferchen oder einem Bündel - wie man im Krieg Flüchtlingsbilder gesehen hat. Es wird Euch ja sicherlich interessieren, was in ... alles vorgegangen ist, und hat man so allerhand erfahren, da dauernd Leute kamen. Schlimm war es, da viele nicht wussten, wo ihre Angehörigen oder Bekannten hin waren. Es hat sich alles derart überstürzt, dass sich jeder um seine Sachen zunächst kümmern musste, und oft hat man dann zufällig jemand getroffen, der einem wieder Auskunft geben konnte, wo die anderen waren. Von... haben wir nun Folgendes, durch die Bekannten, die von... kamen, erfahren. Die Synagoge stand morgens schon in Flammen, und [es] sei nachts schon Petroleum zu diesem Zwecke hineingegossen worden. Nachdem diese ausgebrannt war, wurde die Synagoge gesprengt, dieselbe ist nur noch ein Steinhaufen, mit einem Bretterzaun umgeben. Am Friedhof ist nichts geschehen, und waren wir sonntags vor unserer Ausreise nochmals auf Papas Grab und auf dem der Großeltern. Am 6. Dezember waren es zehn Jahre, dass Papa gestorben ist, und konnte ich diesmal nicht zum Kaddischsagen in eine Synagoge gehen, da diese alle zerstört waren. Am 7. Dezember sind wir nachts um 2 Uhr nach Amsterdam gefahren in..., da ich mittags noch eine Besprechung mit... hatte und ich nach derselben nicht mehr länger in Deutschland bleiben wollte. In... wurden die Leute ausgewiesen und mussten mittags... verlassen. Bevor sie jedoch zum Zuge durften, war an der Perronsperre eine Kontrolle für die Männer durch SS und für die Frauen durch die Frauenschaft. Den Juden wurde dabei der Schmuck sowie das Geld bis auf einen kleinen Betrag abgenommen, sodass diese so ziemlich mittellos ankamen. Die Leute waren froh, ihr Leben gerettet zu haben, die Bilder waren schrecklich. Die Männer waren verhaftet, und die Frauen kamen in dieser Verfassung mit den Kindern an. Auch wusste man zunächst nicht, wohin die Männer gebracht wurden und was sie mit diesen vorhatten. In... wurde ein Teil der Männer ins Gefängnis und die anderen in das jüdische Café gebracht. In dem Café lagen sie zunächst auf Stroh und sollen sie auch dort nicht so schön behandelt worden sein. Von da wurden die Männer nach... und dann nach Dachau abtransportiert. Drei Männer, unter anderen auch..., hatten ihr Visum für USA und wurden deshalb in... entlassen.

Zunächst traute sich niemand mehr nach... zurück. Eines Tages jedoch wurden die Flüchtlinge in... von der Gestapo wieder ausgewiesen und sollten zurück nach ihrem früheren Wohnort. Man wusste also nicht, was die Leute eigentlich machen sollten, und hatte jede Stadt ihre eigenen Anordnungen, denn von Gesetzen war ja nicht mehr zu reden. In... war es besonders schön, denn der Kreisleiter dort ist ein besonderer Held in dieser Art. Die Wohnungen waren fast alle mehr oder weniger demoliert und nicht zu wenig gestohlen. Die Frauen durften zunächst in die demolierten Wohnungen und wussten nicht, wo anfangen mit Aufräumen. Die Wohnungen waren durch die Polizei versiegelt, und musste man dort erst den Schlüssel bekommen, damit man hineinkonnte. Mama war mit..., die öfter bei uns war und mit... in ... bei Verwandten mit der Schwiegermutter wohnte ... Sie musste auch nach... zur Gestapo, bis sie in die Wohnung konnten. In dieser Wohnung hatten sie vergessen zu demolieren, und hatten wir auch hierin Dusel, da wir dort unsere Uhr etc. liegen hatten, denn ich hatte diese Sachen noch nicht in..., da ich am Anfang, solange Mama im Krankenhaus war, bei... und auch in... wohnte. Ich hatte in... das reinste Anwaltsbüro, nachdem die Frauen erfahren hatten, ich sei nicht geholt worden, und ich hatte immer zu tun außer meinen Sachen, Gesuche zu schreiben für Bekannte an die Gestapo wegen Entlassung der verhafteten Männer. Die Männer wurden mitunter auch entlassen, wenn diese zum Konsulat vorgelassen waren. Hier hörte ich auch, ... sei entlassen worden, ich weiß nicht, ob es stimmt, jedoch kann es auch sein, da er auch seine Auswanderung nach USA betrieben hat. Bei der Demolierung bekam der alte X., der herzkrank war, einen Herzschlag. Wer ihn beerdigt hat, weiß man nicht, da keine Männer mehr in... waren. Ein Herr Z. in ... starb auch an einem Herzschlag. Y. soll im Konzentrationslager gestorben sein. P. soll auf der Flucht erschossen worden sein.

Was alles passiert ist, konnte man überhaupt nicht feststellen, und schwirrten natürlich in diesen Tagen allerhand Gerüchte in der Aufregung umher, die sich später als falsch herausstellten. Ich selbst konnte nicht mehr nach... bis zu dem Sonntag vor unserer Ausreise. Es wurde mir von Bekannten und auch von jemand auf der Kreisleitung, mit dem ich telefonierte, abgeraten, nach ... zu gehen. Bei uns im Haus ist die ganze erste Etage an ein Militärbüro vermietet. In der zweiten Etage wurde am Korridor die große Scheibe eingeschlagen, und gingen die feinen Herren weiter, nachdem sie sahen, dass unsere Wohnung leer war. In der dritten Etage hätten sie die Möbel auch demoliert. Frau... war zu ihren Verwandten gefahren. Die Wohnung ist an einen Feldwebel vermietet, und hatte Frau... die Absicht, die Wohnung aufzugeben, nachdem wir nach... gezogen waren.

Vom Friedhof gingen wir an dem Sonntag zu ..., die an diesem Tage da war.... ist auch in Dachau und... mit... bei ihren Eltern. Der Vater von ihr war auch geholt, jedoch wieder entlassen, während der Bruder noch geholt war. Wie die Wohnung bei... aussah, ist kaum zu schildern. Die schweren Möbel waren zu Brennholz zusammengehackt, die Bilder aufgeschlitzt, alles Geschirr und Spiegel in tausend Stücke geschlagen. Dieses Durcheinander lag in allen Zimmern umher. An Wäsche war nur da, was alt und dreckig war, ebenso an Anzügen. Silber und was neu war, fehlte alles. Es ist nicht vorzustellen, wie es aussah, und könnt Ihr durch meine Schilderungen Euch nicht vorstellen, wie die demolierten Wohnungen aussahen. Es hat auch keinen Zweck, es weiter zu erzählen, sonst findet man kein Ende. Bei... haben wir gegessen, und [es] ist auch bei diesem viel demoliert.

... ging mit seiner Familie nach... zu dem Schwager und war auch bei uns im Logis. Er wird jetzt unterwegs sein hierher und hatte zuerst die Absicht, bis Abgang des Dampfers nach Luxemburg zu gehen, wo ... hin ausgewandert ist. Onkel... war auch noch bei uns, und haben sie ihm auch alles demoliert. Er will auch hierher, hat jedoch eine hohe Registrierungsnummer beim Konsulat. Die Bürgschaft hat er durch Elsbeth und deren Bekannten.

In... waren wir eine Nacht, da ich unter Tag keine Zeit hatte und jeden Tag unterwegs war wegen der Auswanderung. Dort hatten sie keine Wohnungen demoliert, und Kurt wurde auch nicht geholt. Tante Frieda soll nächstens nach Schweden zu... Für... hat... die Bürgschaft besorgt. Für... und... hat es noch nicht mit der Bürgschaft geklappt, jedoch hoffen wir, auch dies fertigzubringen, denn diese haben eine niedere Nummer beim Konsulat. Wir hoffen, dass es gelingen wird, dieselben bald herauszubekommen.

In... traf ich... aus Amsterdam auf der Straße, und kam er gleich mittags zu mir. Ich erzählte ihm, dass wir das Visum für USA haben und nach Holland wollen. Er schrieb mir von zu Haus gleich einen Einladungsbrief, und hatte ich auch einen von... auf mein Telefongespräch hin. Mit uns fuhr nach Holland auch Familie ... Er war von Mannheim weggefahren zu Verwandten und war dort im Gefängnis bis zur Vorladung beim Konsulat. Er hatte es dort aber nicht schlecht, und war er froh, nicht in das Konzentrationslager zu kommen.

Jetzt möchte ich aber aufhören mit Schilderung dieser schönen Sachen, da ich hierüber noch Seiten schreiben könnte und dies keinen Zweck hat. Nach diesen Zeilen könnt Ihr Euch ein Bild machen, unter was für feinen Leuten wir gelebt haben. Sicherlich gibt es auch noch anständige dort, jedoch ist es einmal Tatsache, dass in Deutschland so etwas im 20. Jahrhundert passiert ist.

Ihr werdet sicherlich nun auch verstehen, warum ich eingangs das Motto des Redners bei der Chanukkafeier auf dem Schiff zitiert habe, und möchte nur nochmals erwähnen, dass diese Vorkommnisse nicht nur unsere Generation, sondern auch die folgenden im Gedächtnis behalten sollen und etwas Derartiges kein Jude vergessen soll.

„Kinder Israels, vergesset nicht, was Amalek euch angetan hat.“

Jetzt will ich aber kurz noch erwähnen, was in dieser Zeit für die Auswanderung alles zu erledigen war. Dies will ich aber nicht tun, um Euch mitzuteilen, was ich alles zu tun hatte, sondern damit Ihr verstehen könnt, wenn Ihr evtl. Euch Gedanken macht, es hätte dies oder jenes noch erledigt werden können.

Wie Ihr wisst, waren wir am 9. August beim Konsulat auf Grund der von... besorgten Bürgschaft vorgeladen. Da noch eine Formalität bei den Bürgschaften zu erledigen war, bekamen wir unsere Visen erst am 12. September. Das Schreiben ans brasilianische Konsulat habe ich selbstredend seinerzeit sofort in Frankfurt abgegeben. Seinerzeit sagte mir der Sekretär beim Konsulat, es könnte drei Monate dauern und Mama soll froh sein, wenn sie überhaupt das Visum bekäme, da es nur ein Empfehlungsschreiben sei. Wie ich Euch ja mitgeteilt habe, hat Mama das Visum noch erhalten und erübrigt sich's, hierüber nochmals zu schreiben.

Außerdem habe ich die Einwanderung nach Uruguay betrieben. Hierfür habe ich für uns beide auch ca. RM1000.- bereits ausgegeben. Das Visum sollte erst in Hamburg erteilt werden, und sagte mir der Konsul in Frankfurt, ich solle alles packen und dann nach Hamburg fahren. Dort bekäme ich nach Erledigung verschiedener Formalitäten das Visum. In dieser Zeit war aber auch die Sache mit Argentinien, dass nämlich die Leute alles vorbereitet hatten, und dann kam die Sperre, und die Leute erhielten das Visum in Hamburg nicht und hatten die Wohnung aufgegeben und kein Visum.

Aus diesem Grunde war mir die Sache mit Uruguay etwas riskant und konnte ich hierfür das Visum in Frankfurt nicht vor der Packerei erhalten. Dies ist ja nun erledigt, und habe ich diese Unterlagen mitgenommen, wenn man sie evtl. einmal brauchen kann.

Mama hatte also in diesen kritischen Tagen zunächst ihr Visum für USA und ich dasselbe. Nach Frankfurt mussten wir noch verschiedene Male, bis Mama das brasilianische Visum erhalten hat. Wir waren z. B. in Frankfurt an einem Tage, als sie dort immer noch Leute verhafteten, obwohl die Aktion, wie sie das Ganze nannten, abgeblasen sein sollte. Der Konsul von Uruguay bat mich, ich solle sofort nach Hamburg fahren und mit dem nächsten Schiff ausreisen, denn in Frankfurt würden sie immer noch Leute holen. Es bedurfte natürlich allerhand Anstrengung, in dieser Zeit nicht den Kopf zu verlieren. Auf den Konsulaten und auf den Büros der Schifffahrtslinien sah man die Juden in Schlangen stehen, und waren die Gesichter dieser gehetzten Menschen fürchterlich anzusehen.

Über die Visenfrage seid Ihr nun orientiert. Nun waren noch die Lifts abzufertigen, da wir ja das Glück hatten, dass unsere Möbel nicht zusammengeschlagen wurden. Da wir am 10. Oktober nach [Mannheim] übergesiedelt waren, war für uns die Devisenstelle in... zuständig, und ist dieses Amt konzilianter als die Devisenstelle in... Nachdem wir vier Wochen in... gemeldet waren, hatte ich die Absicht, für die Packerlaubnis in... einzureichen. Das Geschirr und die Wäsche wurden beim Umzug in... schon für den Lift richtig verpackt. Nach dem 10. November reichte ich also die Liste, was wir mitnehmen, sofort in... ein, da man erst einige Zeit in... wohnen musste, um da zuständig zu sein. Wir hatten bei einer jüdischen Familie verschiedene elektrische Geräte gekauft, jedoch wurden am 10. November inzwischen die Leute verhaftet. Nachdem wir alsdann die gekauften Sachen von den Frauen der Geschäftsinhaber erhalten hatten, mussten wir hierfür nochmals eine Nachtragsliste einreichen. Ich wollte für mich noch Photosachen kaufen, jedoch wurde mir die Mitnahme von der Devisenstelle abgelehnt. Abgabe für die neuen Sachen hatte wir an die Golddiskontbank sehr wenig zu zahlen, und sind wir hierbei ganz günstig weggekommen.

Wie Du weißt, hatte ich für uns beide ja den Unbedenklichkeitsschein vom Finanzamt... und der Stadt... Man hörte nun, Unbedenklichkeitsscheine würden keine mehr ausgeteilt werden, und müssten die Leute vor der Ausstellung erst die 20% Kontribution bezahlen. Wie ich Euch aber geschrieben habe, konnte man auch keine Papiere verkaufen, und mit was sollte ich also diese 20% und außerdem die Reichsfluchtsteuer für Mama, die auch von mir nicht bezahlt wurde, bezahlen. Sicherheit ist ja durch die Sperre da, ich ließ ja die Unbedenklichkeitsscheine immer wieder prolongieren. In diesen Tagen ging man aber nur mit Zagen zu irgendeiner Behörde, denn man wusste ja nicht, ob man nicht doch noch verhaftet werden kann, wenn man dort gesehen wird. In der.. d gingen sie auch dazu über, in letzter Zeit erst noch eine Buchprüfung zu machen. Dann kam gewöhnlich noch die Zollfahndung, die alle Ausgaben und alles bis auf die Nieren prüfte.

Ich ließ also von den in Händen habenden Unbedenklichkeitsscheinen Photokopien mit notarieller Beglaubigung machen und operierte mit diesen Unterlagen. Zu der Devisenstelle nach... musste ich des Öfteren und erhielt dann die Erlaubnis, dass Mama packen kann, jedoch bei mir seien noch Rückfragen. Nach verschiedenen Vorsprachen bei der Devisenstelle sagte mir der Beamte, sie würden mich nicht kennen. Auf Grund des Unbedenklichkeitsscheines brachte ich es dann fertig, dass ich auch packen konnte. Als er mir jedoch sagte, die Rückfrage sei noch nicht erledigt, hatte man schon wieder die Meinung, man könnte mich verhaften.

Als wir die Packgenehmigung hatten, packten wir gleich am übernächsten Tag die beiden Lifts und die Koffer und ließen alles nach Rotterdam absenden. ... hatte ich schon durch einen Notar Vollmacht über alles zusenden lassen und verabredete mit ihm, dass ich ihm von Holland aus schreibe. Alsdann sollte er beim Finanzamt die Reichsfluchtsteuer und die 20% Kontribution erledigen. Ich warte nun auf Antwort, ob er dies erledigt hat. Von Holland aus schrieb ich ihm, nachdem die Lifts in Rotterdam eingegangen waren, damit diese nicht evtl. zurückgehalten werden können. Transferieren konnten wir nichts unter diesen Umständen, und sagte man mir, dass vorübergehend keine Sperrmark zu verkaufen seien. In Holland hörte ich jedoch, es ginge, und will ich sehen, was nach Bezahlung der Steuern durch... noch übrig bleibt und was und wie etwas zu transferieren ist.

In Holland waren wir eine Woche und schifften uns am 13. d.M. in Rotterdam ein.

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