Die Gestapo berichtet
Die Gestapo für den Regierungsbezirk Arnsberg berichtet für April 1935 aus Dortmund:
Wie bereits im Vormonat, so blieb auch in der Berichtszeit die Versammlungstätigkeit der Assimilanten äußerst gering. Nach wie vor herrscht unter den Assimilanten eine sehr niedergedrückte Stimmung. Die meisten sehen allmählich ein, daß in Zukunft eine gewisse Existenz für ihre Kinder in Deutschland nur in den seltensten Fällen in den kaufmännischen Berufen möglich sein wird. Aus diesem Grunde sind sie bestrebt, bei ihren Kindern eine Berufsumschichtung vorzunehmen. Viele versuchen, sich dem Handwerk zu widmen, um entweder in Deutschland eine Beschäftigung zu erhalten, oder später nach Palästina auswandern zu können. Desgleichen sind viele Eltern bestrebt, ihren Kindern eine landwirtschaftliche Ausbildung zu geben, um ihnen eine etwaige spätere Auswanderung nach Palästina zu ermöglichen. In den akademischen Berufen verspricht man sich für Nichtarier in Deutschland keine Existenzmöglichkeit mehr.
Größere Versammlungen der Assimilanten haben im Berichtsmonat nicht stattgefunden. An den vom jüdischen Kulturbund veranstalteten Vorträgen zeigen die Mitglieder immer weniger Interesse. So haben an dem am 11., 13. und 14. April im hiesigen Gemeindehaus abgehaltenen Offenbach Abende von insgesamt 700 Mitgliedern nur etwa 340 Personen beiderlei Geschlechts teilgenommen. An dem am 27., 28. und 29. April seitens des Kulturbundes veranstalteten Vorträgen über das Thema ''Der Widerhall der Bibel in der europäischen Literatur'', gehalten von Julius Bab Berlin haben sogar nur 150 Personen teilgenommen.
Eine recht rege Propaganda haben dagegen die Zionisten entfaltet. Am 7.4. fand in Dortmund eine Kreistagung, einberufen von der Zionistischen Vereinigung , statt, zu der ca. 120 Delegierte aus Rheinland und Westfalen erschienen waren. Von den Rednern, Dr. Josef Neuberger Düsseldorf , Dr. Hans Capell Düsseldorf und Pollack Jerusalem wurde über ''Die Aufgaben der zionistischen Arbeit, Kritik und Arbeit, Erez Israel Hoffnung und Verpflichtung'' gesprochen. Dabei wurde scharf Stellung gegen die Assimilanten genommen und zum Ausdruck gebracht, daß die Lage des Judentums nicht nur in Deutschland, sondern auch in den übrigen Staaten hoffnungslos sei. Am Abend fand ein öffentlicher Vortrag statt, zu dem ca. 200 Personen, darunter sehr viele Jugendliche, erschienen waren.
Weiter veranstaltete der Bund der Werkleute am 31.3. im hiesigen jüdischen Gemeindehaus einen Elternabend, verbunden mit einer Palästinaschau. Es wurden von der Kindergruppe Lieder und Gedichte in zionistischem Sinne vorgetragen und an Hand von Bildern und Skizzen der Aufbau Palästinas veranschaulicht. An der Veranstaltung haben ca. 100 Personen teilgenommen. Sie wurde am 14.4.35 wiederholt.
Desgleichen veranstaltete der ''Zeire Misrachi '' (Jugend der religiösen Bewegung) am 18.4.1935 im Gemeindehaus eine Pesachfeier, an der ca. 100 Personen beiderlei Geschlechts teilgenommen haben. Die Beobachtungen außerhalb des engeren Ortsbereichs der Stapo sind gleichartig.
Bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß sich die Juden im öffentlichen Verkehr sehr zurückhalten und im allgemeinen öffentliche Lokale nur sehr spärlich besuchen. Jüdische Geschäfte, insbesondere Warenhäuser , werden jedoch nach wie vor recht rege in Anspruch genommen. Auch wird in zunehmendem Maße darüber geklagt, daß der Vieh und Landesproduktenhandel nach wie vor fast völlig in jüdischen Händen liegt und den Bauern das nötige Verständnis und Rassebewußtsein fehle, um diesem Mangel entgegenzutreten.