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Chronik und Quellen
1935
Februar 1935

Bericht aus Ziegenhain

Am 19. Februar 1935 erstattet der Landrat des Kreises Ziegenhain folgenden Bericht für Januar und Februar 1935:

Ende voriger Woche wurde durch die Gendarmerie festgestellt, daß SA -Leute und Parteigenossen fortgesetzt in Oberaula bei 2 Juden eingebrochen waren und Sägen, Beile, Hobel, Porzellan und sonstige Gegenstände entwendet hatten. Die SA-Leute und Parteigenossen wurden sofort aus der SA bzw. der Partei entfernt. Die Vernehmung der Beschuldigten wurde zu größten Teil am Sonntag, dem 10. d. Mts., im Amtsgericht Oberaula durchgeführt. Die Personen waren geständig. Die Beschuldigten waren zuerst dort festgehalten worden. Gegen Abend zog nun eine große Volksmenge vor das Amtsgericht und verlangte die Freigabe der Beschuldigten. Da nach Ansicht des Amtsrichters Verdunkelungsgefahr nicht vorlag, fand eine Inhaftnahme der Personen nicht statt, so daß nach der Vernehmung die Entlassung erfolgte.

Weil die Bevölkerung auch gegen die bestohlenen Juden eine drohende Haltung einnahm, wurden diese von mir veranlaßt, Oberaula zu verlassen. Diesem Rate sind sie auch nachgekommen.

Ich habe den Herrn Oberstaatsanwalt in Marburg a.L. veranlaßt, daß er die Verhandlung gegen die Beschuldigten nicht in Oberaula, sondern in Marburg durchführt, um der Bevölkerung nicht zu neuen Unbesonnenheiten Anlaß zu geben. (…)

Von den Parteidienststellen wird immer wieder vorgebracht, daß Beamte, wie Dorfschulzen usw. noch mit Juden handeln. So wurde mir auch der Fall bekannt, daß der Dorfschulze [N.N.] von Spieskappel an einen Juden eine Kuh verkauft hat. Der Dorfschulze hierzu gehört gibt an, daß er die Kuh wegen Futtermangels habe verkaufen müssen. Als Zuchttier wäre er diese nicht los geworden, und er habe sie dann dauernd der Viehverwertung angeboten, um sie nicht an einen Juden verkaufen zu müssen. Die sei ihm aber von der Viehverwertung nicht abgenommen worden und sei es ihm auch nicht möglich gewesen dieselbe an Private zu verkaufen. Der Dorfschulze gab dann weiter an, daß es unbedingt erforderlich sei, daß der Handel mit Zuchttieren auch in deutsche Hände komme, und zwar durch Gründung von Genossenschaften oder Unterstützung von deutschen Händlern. Der Absatz von Vieh sei dadurch erschwert, daß die Abmelkstellen in Rheinhessen (Mainzer Gegend) in jüdischen Händen seien. Dort werde das überzählige Vieh (besonders frischmelkendes) untergebracht, gefüttert und die Milch verwertet. Wenn sie abgemolken seien, würden sie evtl. wieder als Zuchtvieh verkauft oder als Schlachttiere an Metzger abgegeben.

Die hiesigen Viehjuden hätten mit diesen Abmelkstellen Verbindung, und könnten sie immer wieder Vieh, welches sie hier selbst nicht los würden, dorthin abgeben. Diese Verbindung und die Praxis fehle zum größten Teil den deutschen Händlern.

Wenn nun von den Genossenschaften auch solche Abmelkstellen errichtet würden, um das Vieh, das der deutsche Händler in seinem Bezirk nicht los werden, aufzunehmen, so bekäme der deutsche Händler mehr Sicherheit und Zutrauen zu dem Handel.

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