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Chronik und Quellen
1935
Februar 1935

Bericht aus Stettin

Der Regierungspräsident Stettin erstattet am 1. März 1935 folgende „Wichtige Ereignismeldung“ für den 28. Februar 1935:

Am 28. d. Mts. nachmittags fanden vor dem Schuhwarengeschäft des Juden Lindner in Stettin, Kundgebungen der Bevölkerung statt. Die demonstrierende Menge wird von dem Polizeipräsidenten in Stettin auf etwa 4 5.000 Personen geschätzt. Die Kundgebung gegen Lindner fand statt, weil dieser eine arische Verkäuferin entlassen und gegenüber einem Ortsgruppenwalter der Deutschen Arbeitsfront das Deutsche Volk beschimpft haben sollte. (Ausverkaufsgeier, Schweine). Lindner wurde aus seinem Laden auf die Straße geholt, wo er ein Transparent mit der Aufschrift: ''Jud Lindner beschimpft Dich Ausverkaufsgeier'' tragen mußte. Lindner und seine Ehefrau wurden in Schutzhaft genommen. Die Ermittlungen hierzu schweben noch.

Nach diesem Vorfall zog ein Teil der Demonstranten zu dem Konfektionsgeschäft des Juden [N.N.], wo sie die Entfernung einer schwarz weiß roten Fahne verlangte, die [N.N.] bei der Dekoration seines Schaufensters verwendet hatte. Da [N.N.] sich weigerte, griff ihn die Menge an und schlug ihn. Auch [N.N.] wurde in Schutzhaft genommen.

Von verschiedener Seite wurde dem Polizeipräsidenten gemeldet, daß außerdem auch andere Schaufenster jüdischer Geschäfte mit Inschriften bemalt und mit Exemplaren der Zeitschrift ''Stürmer '' beklebt worden waren. Hierbei ist es zu Zwischenfällen nicht gekommen.

Schon vor einigen Tagen fand in Stettin eine große Kundgebung gegen die Jüdin Rosa Rosenbaum statt, weil sie der Winterhilfe ein Paar völlig unbrauchbare Schuhe zur Verfügung gestellt hatte. Es ist anzunehmen, daß für die Zukunft häufig mit derartigen Zwischenfällen zu rechnen ist, sodaß eine allgemeine Anweisung über Verhaltungsmaßnahmen [sic] seitens der Polizeidienststelle zweckmäßig erscheint. Solange die Kundgebungen gegen Volksschädlinge ohne ernste Folgen sind bezw. nicht die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, wird gegen sie nichts einzuwenden sein. Es ist aber leicht möglich, daß bei der Erregung der Volksgenossen anläßlich derartiger Kundgebungen die normalen Grenzen überschritten werden und Ausschreitungen ernster Natur möglicherweise unter dem Einfluß von Staatsfeinden zu befürchten sind.

Der Zusammenstoß anläßlich der Schaufenster Dekorierung mit schwarz weiß roten Fahnen durch einen Juden kann bereits als eine Auswirkung der vor kurzer Zeit an die Polizeibehörden ergangenen und wohl der Bevölkerung bekannt gewordenen Anordnungen des Geheimen Staatspolizeiamtes angesehen werden. Das Zeigen schwarz weiß roter Fahnen durch Juden entweder bei nationalen Feiertagen oder zu geschäftlichen Zwecken, ist schon immer, insbesondere von überzeugten Nationalsozialisten als ein Mißstand empfunden worden. Eine allgemeine, auch der Öffentlichkeit bekannte Regelung erscheint notwendig.

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